Übersicht, Bezeichnung und Verbreitung
Der Böttinger Marmor, ein Thermalsinterkalkstein, gehört zu den auffälligsten und ungewöhnlichsten Naturwerksteinen Baden-Württembergs. Die polierfähige, dunkelrot und gelblich weiß gebänderte Varietät wird als „Böttinger Bandmarmor“ oder „Bändermarmor“ bezeichnet. Weil der Begriff „Marmor“ metamorphe Karbonatgesteine bezeichnet, ist er für den Böttinger Thermalsinter geologisch natürlich nicht korrekt; er geht im vorliegenden Fall auf die marmorartige Bänderung und gute Polierfähigkeit des Kalksteins zurück. Dieser sog. Bändermarmor war besonders im 18. und 19. Jahrhundert als repräsentativer Dekorationsstein begehrt. Randlich zu diesem tritt der horizontal gelagerte oder auch 30–40° von der Thermenspalte einfallende, unregelmäßige „Wilde Marmor“ auf, der im 20. Jh. ebenfalls Gegenstand des Abbaus war. Da er den wertvolleren Bändermarmor umgibt, wird er auch als „Mantelmarmor“ bezeichnet. Die Gewinnung beider Varietäten wurde Anfang der 1960er Jahre mangels Nachfrage nach roten Terrazzokörnungen eingestellt.
Das Vorkommen liegt im Randbereich eines Tuffschlotes. Die beiden Steinbrüche, in denen er gewonnen wurde, befinden sich östlich von Münsingen-Böttingen (Kreis Reutlingen, TK 25 Nr. 7523 Münsingen) auf der Mittleren Schwäbischen Alb.
Der Böttinger Tuffschlot ist Teil des Uracher Vulkangebiets, das sich noch heute durch deutlich erhöhten Wärmefluss auszeichnet (Haenel, 1982). Auch aus anderen Gebieten dieses Uracher oder Urach-Kirchheimer-Vulkangebiets, das auch als „Schwäbischer Vulkan“ bezeichnet wird, wird über Sinterkalke berichtet, die auf Thermalwässer zurückgehen, welche mit dem jungen Vulkanismus in Verbindung stehen. Der bei Laichingen nahe Blaubeuren auftretende verschiedenfarbige, oft pisolithische Sinterkalk („Erbsenstein“) bildet im Bereich des Laichinger Tuffschlotes „Sinterkuppeln und Sinterterrassen, die sich auf den Schlottuff legten und diesen mit Kalk versinterten“ (Gwinner, 1989, S. 17). Es treten dort auch horizontal gelagerte Sinterkalkbänke auf, die an Weißjura-Kalksteine grenzen. Wirtschaftliche Bedeutung haben aber nur die Thermalsinter bzw. Travertine von Böttingen erreicht.
Die dunkelgrauen vulkanischen Tuffe des Uracher Vulkangebiets spielten wegen ihrer wasserstauenden Eigenschaften im sonst überwiegend trockenen Karstgebiet der Schwäbischen Alb eine große Rolle für die Besiedlungsgeschichte – so auch in Böttingen. Infolge dieser Besiedlung eines solch fruchtbaren Fleckens wurde der Thermalsinter vermutlich zuerst entdeckt. Reguläre Gewinnung erfolgte wohl aber erst im 18. Jh. Abgebaut wurde der Travertin mindestens in zwei Steinbrüchen, wovon der nordwestliche „Alte Bruch“ schon seit langem aufgefüllt und überbaut ist. Der südlich davon gelegene, 140 m lange „Neue Bruch“ reicht von O 540863 / N 5362346 bis O 540977 / N 5362256. Dieser Spaltenabbau ist noch zugänglich und als Naturdenkmal geschützt. Wegen akuter Einsturzgefahr der alten Bruchwände, besonders im Bereich der senkrecht stehenden und in Platten aufspaltenden Bändermarmore, ist der interessante Aufschluss jedoch nicht für die Öffentlichkeit freigegeben.
Geologisches Alter, Entstehung
Die räumliche Bindung des Travertinvorkommens an den Randbereich des Böttinger Tuffschlotes legt einen genetischen Zusammenhang zwischen Vulkanismus und hydrothermaler Tätigkeit nahe. Schon Quenstedt (1872) formulierte in seinem Begleitwort zum geologischen Blatt Blaubeuren: „Wahrscheinlich mochten zur Tertiärzeit heiße Quellen nach Art heutiger Sprudel die merkwürdige Bildung veranlassen“. Nach Aigner (1975a) ist das Travertinvorkommen beiderseits der Spalte von Basalttuffen und nicht von Oberjurakalksteinen umgeben.
Er erkannte in der (seit 2006 durch einen Hangrutsch verschütteten) Nordwestecke des Steinbruchs, dass sich verlehmter Tuff und horizontal gelagerter Wilder Marmor verzahnen bzw. übereinander geschichtet auftreten können. Beim Böttinger Tuffschlot handelt es sich um ein Zeugnis eines heftigen explosiven Vulkanismus, der im weiten Umfeld von Urach zur Bildung zahlreicher Sprengkrater (Maare) führte. Die herausgeschleuderten basaltischen Tuffe sind zusammen mit großen Mengen an Nebengesteinsbruchstücken wieder in den Krater zurück gestürzt, es handelt sich also um eine vulkanische Schlotfüllung. Nur wenige Hundert Meter weiter südöstlich der Steinbrüche befindet sich eine kleinere, in NNO–SSW-Richtung gestreckte Intrusionsspalte. Nebengesteine beider Tuffvorkommen sind Massenkalke des höheren Oberjuras. Der Böttinger Thermalsinter verdankt seine Entstehung kalkhaltigen, warmen Quellen, die vor etwa 14 Mio. Jahren (Jungtertiär: Untermiozän) im Gefolge vulkanischer Aktivität zu Tage traten (Berckhemer, 1923a; Aigner, 1975a; Rosendahl et al., 2003).
Nahe am Austrittspunkt der warmen Quellen bzw. Geysire kam es zur Bildung der Kalksinter, so wie es rezent im Yellowstone Vulkangebiet oder auf Island beobachtet werden kann. Im Unterschied zu den kalkreichen Wässern, die zur Bildung von Quelltuffen und Seekalken beitragen, sind die Wässer, die zur Travertinbildung führen, stärker mineralisiert (mehr als 1 g/l), enthalten gelöste freie Kohlensäure und sind höher temperiert. Zahlreiche in den Sintern des Mantelmarmors eingebettete Tier- und Pflanzenfossilien erlauben eine Vorstellung davon, wie die Landschaft zur Zeit der Geysire ausgesehen haben mag. Nach Hofmann (1933) fand die Thermalsinterbildung inmitten eines Waldgebiets mit Eichen, Weiden, Ulmen, Buchen, Lorbeer- und Mandelbäumen statt. Hier lebten zahlreiche Tiere wie Insekten, Frösche, Eidechsen, Fledermäuse und Rotwild (Rosendahl et al., 2003). Der sicher sehr heftige und auf eine weite Umgebung zerstörerisch wirkende Maarvulkanismus muss also schon einige Zeit zurückgelegen haben, als der Böttinger Thermalsinterkalkstein in einer üppigen Waldlandschaft entstand.
Der Nachweis des faserigen Karbonatminerals Aragonit, das später zu Kalzit umgebildet wurde, zeigt, dass die aufsteigenden Wässer wärmer als 29 °C gewesen sein müssen (Aigner, 1975a); Pseudomorphosen von Kalzit nach Aragonit sind in den hellen Bändern oft gut erkennbar. So genannte Erbsensteine (Pisolithe), bestehend aus mm bis cm großen runden Kalkkörnern, belegen, dass das warme Wasser mit hoher Strömungsenergie turbulent ausgetreten sein muss, so wie es für Geysire typisch ist. Die hydrothermale Aktivität war ganz offensichtlich im Randbereich des Tuffschlotes von Böttingen besonders intensiv, während von den anderen, über 600 Tuffschloten des Uracher Vulkangebiets („Schwäbischer Vulkan“) nur sehr unbedeutende Thermalsintervorkommen bekannt sind. Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass viele, besonders am Albtrauf gelegene Sinterbildungen, bereits der Erosion zum Opfer gefallen sind. Im Südosten von Böttingen zwischen dem Gewann Krumme Äcker und dem Linsenberg wurden beispielsweise noch zwei kleine Sintervorkommen nachgewiesen, die an eine spaltenartige Intrusion gebunden sind (s. geologische Detailkarte).
Ein häufig diskutiertes Phänomen ist, dass der steil stehende Bändermarmor nicht in den horizontal gelagerten bis 45° einfallenden Mantelmarmor oder Wilden Marmor übergeht, sondern dass zwischen beiden scharfe Diskordanzen bestehen. Am Nordwest-Ende des Steinbruchs ist zu erkennen, dass zwei fast senkrechte Spalten den hier 35–45° nach Südwest und West einfallenden Mantelmarmor durchschlagen und dass der Mantelmarmor mit zunehmender Entfernung von der Hauptspalte mürber und toniger wird, weshalb auch der Abbau von Terrazzomaterial im Wilden Marmor auf einen schmalen Bereich begrenzt wurde.
Folgende Beobachtungen im heutigen Aufschluss, Berichte früherer Autoren und allgemeine Überlegungen zu Thermalsinterablagerungen sind zur Erklärung der Entstehung des Böttinger Marmors von Bedeutung:
- Der Wallsinter, der die Thermenspalte beidseitig umgibt, verzahnt sich und wechsellagert mit verlehmten (d. h. tonigen) vulkanischen Tuffen.
- Der Wallsinter enthält eine große Zahl von Fossilien, die auf eine üppige Waldlandschaft hinweisen.
- Anhand der Fossilführung ist zu erkennen, dass dieser Sinter schichtig an der Oberfläche abgelagert wurde.
- Thermalsinter und umgelagertes vulkanisches Material wurden gleichzeitig in einem Zeitraum abgelagert, in dem der explosive Maarvulkanismus schon lange beendet war (üppige Waldlandschaft).
- Im Niveau des Steinbruchs zeigen die Diskordanzen zwischen Spalten- und Wallsinter, dass beide Varietäten an dieser Stelle nicht gleichzeitig entstanden; der bereits bestehende Wallsinter wurde von neu aufgerissenen Spalten durchschlagen, in denen sich der Bändermarmor bildete.
- Das nach außen gerichtete Einfallen der Sinterschichten lässt vermuten, dass um die Austrittsspalte eine wallartige Erhöhung von Sintern entstanden war (s. schematische geologische Schnitte).
- Wellenartige Strukturen im Wilden Marmor zeigen an, dass dieser Travertin durch herabrieselndes bzw. beidseitig über die Wälle ablaufendes Wasser gebildet wurde.
Danach ist folgende Entstehung wahrscheinlich: Nach der Bildung des Tuffschlotes reißen während eines Erdbebens Spalten auf, die warmen Wässern den Aufstieg ermöglichen. Beim Durchwandern der mächtigen Karbonatgesteinsfolge des Oberjuras nehmen die CO2-reichen Thermalwässer aus diesen Calciumkarbonat auf. Die basaltischen Tuffe liefern den Großteil des Eisens für den Hämatit des Sinters (Berckhemer, 1921a). Während des schrittweisen Wachstums des Sinterwalls werden in Folge von Niederschlägen und durch die herausgeschleuderten Wässer des Geysirs umgebende Aschentuffe abgetragen und in Richtung Thermalspalte gespült; dort werden sie zusammen mit frisch entstandenen Sintern abgelagert (die Wässer müssen an anderer Stelle einen Ablauf gefunden haben, da sonst ein See entstanden wäre). Im Tuffschlot bereits vorhandene Kalksteinbrocken geraten so auch in die Sinter. Bei weiteren Beben reißen neue Spalten auf, die den bereits verfestigten Wallsinter durchschlagen. Die alte Förderspalte wird dabei erweitert, so dass lokal einige Meter breite gebänderte Sinter ohne Fossilinhalt entstehen. Daher ist kein harmonisches Umbiegen der Sinterschichten an der Spalte zu erkennen.
Nach Abschluss der hydrothermalen Aktivität setzt die Abtragung der jüngsten Sinterschichten ein. Besonders starke Erosionsphasen waren sicher die Warmzeiten des Pleistozäns. Das heutige Aufschlussniveau liegt also unterhalb der miozänzeitlichen Landoberfläche.
Gesteinsbeschreibung, technische Eigenschaften und Verwendung
Abgebaut wurde bei Böttingen am Sternenberg einerseits der rot und weiß gebänderte Travertin der etwa senkrecht stehenden Thermenspalte und der bis etwa 4 m mächtige Bändermarmor. Schreiner (LGRB-Archiv), der 1951 den Abbau noch erlebt hat, beschreibt diesen als harten, grobkristallinen, weiß-rosa farbenen Sinterkalk mit kräftig rosa farbenen und dunkelroten Bändern. Auffällig ist die scharfe Trennung von weißen bzw. gelblich weißen Lagen und tiefroten, eisenreichen Lagen im Bändermarmor. Berckhemer (1921a) geht davon aus, dass nach der erst gemeinsamen Ausfällung von Kalk und kolloidalem Eisenhydroxid (Rotocker) „durch das Zusammentreten der Karbonatteilchen zu Kristallen Entmischung stattfand“. Der Bändermarmor besteht aus feinen, engverzahnten Kalzitkristallen in dichter Packung, die im Bereich der Bänder noch feiner und mit Eisenhydroxiden vermengt sind. Daneben tritt gelegentlich Aragonit auf. Außerdem wurde der Wilde Marmor genutzt, ein überwiegend mürber, kavernöser Sinterkalk gelbroter, rotvioletter bis hellrosa Färbung, der beiderseits der senkrechten Thermenspalte entstand.
Der Wilde Marmor besteht aus einer Wechsellagerung von roten und weißen, 1–10 cm breiten Bändern von kavernösem Travertin mit harten Kalksteinkernen, ockerbraunen Kalksanden und poröstuffigen Lagen. Letztgenannte ähneln stark den Quelltuffen. Der Wilde Marmor enthält, wie erwähnt, zahlreiche Fossilien, Brekzien älterer Travertine, ganze Weißjurablöcke und Einschwemmungen von Tuffen. Er bietet also in der Tat ein recht uneinheitliches, „wildes“ Bild. Die enthaltenen Travertinlagen weisen zahlreiche kleine Hohlräume auf, sind aber wegen der überwiegend guten Verzahnung der Kalzitkristalle oft fest. Beide Travertintypen zusammen waren auf einer Breite von 6–10 m nutzbar (Schreiner, LGRB-Archiv 1951). Daneben existiert als Folge der Verwitterung und Verkarstung der Sinterkalke ein tief roter, eisenreicher Grus. Teile der Spalte waren nicht mehr mit Kalksinter ausgefüllt worden, und junge Klüfte entlang der Spalte führten zu weiteren Wegsamkeiten für Tageswässer, so dass der gebänderte Travertin nicht selten mit rotem Karstlehm durchzogen ist (s. geologische Detailkarte).
Daten über die technischen Eigenschaften des Thermalsinterkalksteins liegen nicht vor. Zumindest der Bändertravertin der zentralen Quellspalte dürfte in seinen physikalischen Eigenschaften mit dem Cannstatter Travertin unmittelbar vergleichbar sein, worauf auch die Verwendungsbeispiele hinweisen. Bei Berckhemer (1921a) veröffentlichte chemische Analysen zeigen, dass der Bändermarmor aus fast reinem Calciumkarbonat besteht, daneben treten je nach Intensität der Rotfärbung 0,2 bis 1,9 % Eisenoxide hinzu.
Verwendung: Angeboten wurde der Böttinger Marmor in der dunkelroten und der hellen Varietät. Große, kompakte Blöcke von Bändermarmor wurden für Wandplatten, Säulen, Balustraden und Gesimse verwendet, kleinere für Schalen, Vasen und verschiedene Schmuckgegenstände wie Dosen, Schatullen und Teller. Schöne Beispiele für die Verwendung als Ornamentstein sind die Säulen und Wandverkleidungen im Stuttgarter Neuen Schloss und die beiden, ca. 80 cm hohen Prunkvasen am Nordwestportal der Neuen Aula der Universität Tübingen, einem in den Jahren 1841–1846 aus Stuben- und Schilfsandstein errichteten und 1932 erweiterten klassizistischen Prachtbau. Die zweite Qualität diente zur Fertigung von Randsteinen, Pflastersteinen, Abdeckplatten, Türschwellen und Treppenstufen. Der Wilde Marmor wurde als einfaches Baumaterial wie Mauersteine, vor allem aber für die Herstellung von Terrazzosplitt genutzt. Für die Terrazzoproduktion, zu der das Gestein zu 8–10 mm großen Körnern zerkleinert wurde, war besonders der rote Travertin begehrt.
Gewinnung und Verarbeitung
Der Abbau erfolgte hintereinander in zwei getrennten Steinbrüchen, dem Alten Bruch und dem weiter im Südosten gelegenen Neuen Bruch. Zwischen beiden ist eine Scheibe der Lagerstätte stehen geblieben, weshalb hier die Füllung der Thermalspalte auf ihrer ganzen Breite noch erhalten ist. Der erste Steinbruch wurde verfüllt und überbaut. Der noch zugängliche Neue Bruch ist etwa 30 m tief, 20–30 m breit und erstreckt sich über etwa 130 m in NW–SO-Richtung. Hier sind im Randbereich der Spalte die gebänderten Varietäten noch teilweise erhalten.
Über die Geschichte der Gewinnung und der Verarbeitung dieses Travertins berichten Reyer (1927) und Griesinger in: Rosendahl et al. (2003). Die Blütezeit des Abbaus ist mit dem Bau des Stuttgarter Neuen Schlosses 1746–1807 verbunden, für das Herzog Karl Eugen (1737–1793) vor allem einheimisches Material verwenden wollte. Um 1750 soll der gebänderte, bearbeitungsfähige Travertin zufällig beim Bau eines Wohnhauses in Böttingen, heute Bereich Steigstraße 11, entdeckt worden sein. Im Jahr 1756 erwarb das herzogliche Kameralamt Münsingen die Grundstücke, ließ das Haus gegen Entschädigung abbrechen und begann mit dem Abbau für die Ausstattung des Stuttgarter Neuen Schlosses. Dort wurde er in den Jahren 1760–1762 in Form von Säulen und Wandverkleidungen in Prunksälen und Treppenaufgängen verbaut. Danach scheint der Abbau aber wenig ergiebig gewesen zu sein, nur lokale Mauerer und Pflasterhersteller nutzten den Steinbruch weiter. Im Jahr 1872 wird der Steinbruch vom Kameralamt schließlich verkauft.
Die Familie Starzmann betrieb in der Zweiten Hälfte des 19. Jh. den Abbau zur Gewinnung von Travertin für Randsteine, Pflastersteine, Abdeckplatten, Türschwellen und Treppenstufen. Dieser Alte Bruch wurde nach vielen Jahren des Stillstands im Jahr 1911 eingeebnet und überbaut. 1920 wurde der Neue Bruch eröffnet, wobei der Gemeinderatsbeschluss, wonach ein Kriegerdenkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges aus Böttinger Marmor errichtet werden soll, ausschlaggebend gewesen sein mag (Griesinger in: Rosendahl et al., 2003). Im Zeitraum 1920–1926 betrieb die Fa. Rupp & Möller aus Karlsruhe den Steinbruch zur Gewinnung von Bandmarmor, aus dem Wandplatten, Schalen, Vasen und verschiedene Schmuckgegenstände hergestellt wurden. Im Jahr 1924 installierte diese Firma einen Schwerlastkran, mit dem bis 10 t schwere Blöcke aus dem immer tiefer werdenden Bruch gehoben werden konnten. Die meisten großen Blöcke erreichten nach Reyer (1927) etwa 1,5 m3, also etwa 4 t. Der Bauunternehmer und Böttinger Bürgermeister Friedrich Mang übernahm 1926 den Bruch. Er führte technische Modernisierungen durch und begann den Wilden Marmor zusammen mit den bei den Sägearbeiten anfallenden Reststücken von Bändermarmor in einer Brechanlage zu zerkleinern und zu Terrazzokörnung zu verarbeiten.
Bereits in den 1930er Jahren führten geowissenschaftliche Vereinigungen wie die Deutsche Geologische Gesellschaft und die Oberrheinische Geologische Vereinigung Exkursionen nach Böttingen durch, vor allem weil der Kalksinter zahlreiche sehr gut erhaltene Tier- und Pflanzenfossilien aufweist, welche Einblicke in die Lebenswelt des Tertiärs gewährten. Gemeinsam mit dem damaligen Landesamt für Landeskunde und Heimatschutz wurde im Jahr 1934 ein Teil des Steinbruchs in die Liste der staatlich geschützten Naturdenkmale aufgenommen. 1939 soll sich der Abbau entlang der Spalte auf einer Länge von ca. 500 m erstreckt haben. An der Sohle des Steinbruchs befand sich in dieser Zeit ein nach Nordwesten gerichteter, mit Stahlbögen ausgebauter Stollen mit Grubenbahn; offensichtlich fand also auch jenseits der heute erkennbaren Steinbruchgrenzen Travertinabbau statt. Mit dem Kriegsausbruch 1939 wurden die Arbeiten vorerst eingestellt.
Mit Genehmigung der französischen Militärregierung nahm Friedrich Mang 1947 den Abbau wieder auf, jedoch bestand in dieser Zeit nur Bedarf an kostengünstigem Baumaterial, weshalb nur mehr Terrazzosplitt produziert wurde (Griesinger in: Rosendahl et al., 2003). Das Marmor- und Terrazzowerk Friedrich Mang betrieb um 1951 den Steinbruch mit 8–10 Mann, die mit Bohren und Sprengen den Travertin abbauten, danach zerkleinerten und aus dem Splitt Terrazzoplatten herstellten. In großem Umfang wurde dieser „Travertinsplitt“ auch an andere Terrazzowerke in Süddeutschland verkauft. Der Abbau reichte damals 15 m tief, wovon 6–10 m nutzbar waren. Schreiner beschreibt den in dieser Zeit abgebauten Travertin als harten, grobkristallinen, weiß-rosa farbenen Sinterkalk mit rosa farbenen und dunkelroten Bändern, z. T. war er porös-tuffig, z. T. zu tiefrotem Grus verwittert. Für die Terrazzoproduktion wurde das Gestein zu 8–10 mm großen Körnern zerkleinert. Anfang der 1960er Jahre ließ das Interesse an Terrazzo nach. Eine letzte Gewinnung von Bändermarmor fand Anfang der 1960er Jahre statt, um Material für die Renovierung des Stuttgarter Neuen Schlosses zu erhalten. 1964 wurde der Abbau gänzlich eingestellt.
Potenzial
Ein dem Böttinger Marmor vergleichbarer Travertin steht in Deutschland nirgends in Abbau. Für künftige Restaurierungsmaßnahmen bliebe nur die teilweise Wiederinbetriebnahme des Neuen Steinbruchs in Münsingen-Böttingen. Nach den Erkundungsarbeiten von Berckhemer (1923a) erstreckt sich das Travertinvorkommen in Oberflächennähe in einer etwa 400 m langen, bogenförmigen Struktur, die im Randbereich des Tuffschlots entstand. Nach den obigen Beschreibungen soll der Abbau aber mindestes 500 m lang gewesen sein. Eine genaue Abgrenzung des Travertinvorkommens kann durch Oberflächenkartierung heute nicht mehr vorgenommen werden, da Sinterkalke aus den beiden Steinbrüchen und aus zahlreichen Baugruben in Böttingen von den Bauern auf die Äcker ausgebracht und weitflächig verteilt wurden.
Wie groß die Vorräte an Böttinger Bändermarmor in der lateralen Erstreckung der alten Steinbrüche und vor allem zur Tiefe hin sind, ist gänzlich unbekannt und müsste durch Schrägbohrungen erkundet werden. In jedem Fall ist wegen des Umfangs des 200-jährigen Abbaus und der Bindung der schmalen Thermalsinterspalte an einen kleinen Tuffschlot nicht mit größeren Vorräten zu rechnen, zumal ein nicht unbeträchtlicher Teil des ursprünglich gebildeten Vorkommens schon lange vor dem Abbau erosiv abgetragen worden sein dürfte.
Ein besonders dem Wilden Marmor von Böttingen ähnliches Gestein findet sich im Riedöschinger Travertin, der allerdings seit 1995 auch nicht mehr gewonnen wird. Dort stehen aber noch leichter erreichbare Vorräte an gebänderten Thermalsintern zur Verfügung.
Kurzfassung
Der als „Böttinger Marmor“ bezeichnete Thermalsinterkalkstein bzw. Travertin entstand in der jüngeren Erdgeschichte im Randbereich eines Tuffschlotes des Uracher Vulkangebiets („Schwäbischer Vulkan“). Die aufsteigenden warmen Wässer füllten eine steil stehende Thermalspalte mit Karbonatsintern aus. An der Oberfläche bildeten sich um den geysirartigen Austritt terrassen- und kissenartige Sinterablagerungen, die wegen ihrer unregelmäßigen Struktur und Kornbindung als „Wilder Marmor“ bezeichnet werden. Die als „Bändermarmor“ bekannte rot/weiß gestreifte, polierfähige Varietät war im 18. bis 20. Jh. als repräsentativer Dekorationsstein begehrt. Der Wilde Marmor wurde vor allem für Terrazzo verwendet. Die Gewinnung beider Varietäten wurde Anfang der 1960er Jahre mangels Nachfrage nach den auffälligen Bandmarmoren und nach roten Terrazzokörnungen eingestellt. Aus dem Böttinger Bändermarmor wurden Wandplatten, Säulen, Balustraden, Gesimse, Schalen, Vasen und Schmuckgegenstände wie Dosen, Schatullen und Teller hergestellt. Berühmtestes Verwendungsbeispiel sind die Säulen und Wandverkleidungen im Stuttgarter Neuen Schloss. Das oberflächennahe Vorkommen ist weitgehend ausgebeutet, kleinere Mengen für Renovierungszwecke können aus dem noch zugänglichen Steinbruch östlich von Böttingen aber entnommen werden. Die zur Tiefe zu erwartende Fortsetzung des Travertinvorkommens müsste mittels Schrägbohrungen erkundet werden.
Literatur
- (1975a). Der obermiozäne Thermalsinterkalk von Böttingen („Böttinger Marmor“) auf der Schwäbischen Alb. – Aufschluss, 26, S. 122–135. [12 Abb., 1 Tab.]
- (1921a). Ein Beitrag zur Kenntnis des „Böttinger Marmors“. – Jahresberichte und Mitteilungen des Oberrheinischen Geologischen Vereins, N. F. 10, S. 23–36. [4 Abb., 2 Tab.]
- (1923a). Die geologischen Verhältnisse des Thermalsinters von Böttingen. – Zeitschrift für Vulkanologie, 7, S. 218–225, 3 Taf.
- (1989). Erläuterungen zu Blatt 7524 Blaubeuren. – 2. erg. Aufl., Erl. Geol. Kt. Baden-Württ. 1 : 25 000, 64 S., 4 Taf., 10 Beil., Stuttgart (Geologisches Landesamt Baden-Württemberg).
- (1982). The Urach Geothermal Project (Swabian Alb, Germany). VIII + 419 S., Stuttgart (Schweizerbart). [220 Abb., 67 Tab.]
- (1933). Die Flora des Böttinger Marmors. – Jahresberichte und Mitteilungen des Oberrheinischen Geologischen Vereins, N. F. 22, S. 74–88, 1 Taf.
- (1872). Begleitworte zur Geognostischen Spezialkarte von Württemberg, Atlasblatt Blaubeuren. 28 S., Stuttgart.
- (1927). Die Bausteine Württembergs nach ihrer mineralogischen Zusammensetzung und ihrer Struktur in Bezug zu ihrer bautechnischen Verwendung und wirtschaftlichen Bedeutung. VIII + 138 S., 3 Taf., Halle/Saale (Martin Boerner Verlagsanstalt). [8 Abb.]
- (2003). Der Böttinger Marmor. Bunter Fels aus heißen Quellen. – Grabenstetter höhlenkundliche Hefte, 6, S. 1–54.