Übersicht, Bezeichnung
Beim Riedöschinger Travertin handelt es sich um einen hell- und dunkelrot sowie weiß gebänderten oder gefleckten, kavernösen Kalksinter. Entstanden ist er wie der Böttinger „Marmor“ an einem geysirartigen Oberflächenaustritt von warmen, mineralisierten Wässern, vermutlich während der Abklingphase des Hegau-Vulkanismus. Es handelt sich um einen Thermalsinterkalk und somit um einen echten Travertin, sowohl im technischen wie im geologischen Sprachgebrauch.
Das westlich von Blumberg-Riedöschingen auf der Hegaualb gelegene Vorkommen wurde bis ca. 1995 zeitweise genutzt. Es erstreckt sich, soweit es durch Oberflächenkartierung und mit Hilfe von Luftbildern erkennbar ist, über mindestens 350 m in Nord–Süd- und 150 m in Ost–West-Richtung. Im Osten und Süden wird es durch Schotter und Mergel der Jüngeren Juranagelfluh überdeckt (Franz & Rohn, 2004), so dass die tatsächliche Ausdehnung der Thermalsinter unbekannt ist. (Als „Juranagelfluh“ werden Lockersedimente der Molasse am Südrand der Schwäbischen Alb bezeichnet. Es handelt sich dabei um tonig-schluffigen und grobkiesig-steinigen Abtragungsschutt, der bei schichtflutartigen periodischen Schüttungen in Decken und Rinnen abgelagert wurde. Die erhaltene Restmächtigkeit dieser Sedimente beträgt im Raum Blumberg–Riedöschingen 50–70 m (Franz & Rohn, 2004). Die Ältere Juranagelfluh ist während des Untermiozäns, die Jüngere Juranagelfluh überwiegend im Mittel- und Obermiozän entstanden (s. Geyer & Gwinner, 1986). In der Juranagelfluh befinden sich teilweise umgelagerte Travertine, die anzeigen, dass Teile des Vorkommens bereits im Altquartär abgetragen wurden. Nach Schreiner (1984, 1992b) und Schweigert (1996a) besteht das Steinbruchprofil von oben nach unten aus folgenden Einheiten:
- 3,0 m |
Jüngere Juranagelfluh (Mergel mit Geröllen von Muschelkalk und Hauptrogenstein) |
- 3,3 m |
Rote Mergel mit abgerolltem Travertin (Abtragungs- und Umlagerungshorizont) |
- 23,0 m |
Travertin, rot, weiß, z. T. violett, überwiegend horizontal geschichtet, im tiefsten Teil des Steinbruchs mit kuppelartiger, leicht einfallender Schichtung |
- 24,0 m |
Knollenkalk („Albstein“) – eine fossile karbonatische Bodenbildung auf geringmächtigen Sanden der Oberen Meeresmolasse |
Darunter |
Bankkalksteine des Oberjuras (Wohlgeschichtete Kalk-Formation). |
Das Travertinvorkommen ist also im Bereich des damals aufgeschlossenen Profils etwa 20 m mächtig. Aufgrund der Geländemorphologie ist anzunehmen, dass die Travertinmächtigkeiten vom Steinbruch aus in alle Richtungen abnehmen. Nach der Morphologie und dem oben wiedergegebenen Profil ergibt sich das Bild einer kuppelförmigen Travertinablagerung.
Geologisches Alter, Entstehung
Der Riedöschinger Travertin entstand während der Zeit des Deckentuff-Vulkanismus im Hegau im Mittel-Miozän an der Grenze Badenium/Sarmatium (Koban & Schweigert, 1993a; Franz & Rohn, 2004), d. h. vor etwa 13–14 Mio. Jahren (Hegauvulkan-Untergruppe). Anders als bei Münsingen-Böttingen ist die unmittelbare Beziehung zum Vulkanismus nicht belegt, auch geomagnetische Messungen konnten keine vulkanischen Gesteine im unmittelbaren Umfeld oder Untergrund des Vorkommens wahrscheinlich machen. Nach der detaillierten Analyse der landschaftlichen Entwicklung des Gebiets ist jedoch zu vermuten, dass der Hegau-Vulkanismus und die Hydrothermaltätigkeit in etwa zusammenfallen (Schweigert, 1998b).
Für die N–S-verlaufende, steil stehende Thermalspalte sind hohe Temperaturen und rascher Wasseraufstieg anzunehmen, worauf abiotisch gefällte Kalksinter hinweisen; erst in einiger Entfernung spielten Bakterien eine Rolle bei der Fällung von Karbonaten (Schweigert, 1996a). Nach Untersuchungen der Strontiumisotopen dürften die austretenden kalkreichen Wässer aus einem tiefen Hydrothermalsystem gespeist worden sein (Franz & Rohn, 2004). Die überlagernde Jüngere Juranagelfluh ist nur unwesentlich jünger als der Travertin; während der Schüttung dieser Abtragungssedimente durch die unmittelbar südlich des kartierten Vorkommens verlaufende „Tengener Rinne“ wurde sicher auch ein beachtlicher Teil des Travertins erosiv entfernt. Der Riedöschinger Travertin erfuhr bereits synsedimentäre Verkarstung. Die Hauptverkarstungszeit, auf die einige kleine, im Steinbruch angeschnittene Höhlen zurückgehen, ist vermutlich ältestpleistozänen Alters (Koban & Schweigert, 1993a).
Vorkommens- und Gesteinsbeschreibung, Verwendung
Aufgeschlossen ist ein flach kuppelförmig abgelagerter Travertin, der im Osten des Bruchs durch die beschriebene, etwa 170° verlaufende Quellspalte begrenzt wird. Diese enthält blockige, von unregelmäßigen Klüften durchzogene Kalksinter, die nicht für die Gewinnung von Werksteinmaterial geeignet sind. Als Beleg für die Entstehung aus einem Geysir werden die als „Mikroterrassen“ bezeichneten Strukturen angesehen. Schweigert (1998b, S. 113) erklärt diese Strukturen auf den Spaltensintern dadurch, dass die Karbonatfällung bevorzugt beim „Zurücklaufen des ausgestoßenen Wassers erfolgte“.
Im Gegensatz zum Böttinger Marmor wurden beim Riedöschinger Travertin ausschließlich die horizontal liegenden bis leicht geneigten, geschichteten Ablagerungen außerhalb der Thermenspalte genutzt. Die heutigen Bruchwände im Süden und Norden erschließen horizontal gelagerten Travertin. Dieser besteht überwiegend aus laminaren Karbonatkrusten, die lagenweise milchigweiß oder durch Hämatit kräftig rot gefärbt sind. Bei den Karbonatkrusten handelt es sich, wie im Cannstatter Travertin, um Tiefmagnesium-Kalzit. Die kräftig rote Bänderung wird auf den schubweisen Eintrag von eisenreichen Rotsedimenten zurückgeführt. Diese gehen vermutlich auf im Zuflusssystem angereicherte rote und braune Schlämme zurück, die aus der lateritischen Verwitterung stammen und jeweils zu Beginn der niederschlagsreichen Jahreszeit ausgetragen wurden (Koban & Schweigert, 1993a).
Gesteinstechnische Daten liegen für den Riedöschinger Travertin nicht vor. Mineralzusammensetzung und Gefüge sind jedoch dem Cannstatter Travertin ähnlich, so dass zumindest für die weniger porösen Partien von ähnlich günstigen Werten ausgegangen werden kann. Allerdings treten auch abschnittsweise sehr hämatitreiche, „erdige“ und daneben verlehmte Partien auf. Im Nordteil des Bruchs wurden verkarstete Bereiche mit lehmgefüllten Spalten und Höhlen nicht abgebaut.
Verwendungsbeispiele sind wenig sicher belegt. Sakristei und Altarraum der St. Martinskirche in Riedöschingen wurden mit Platten aus diesem Travertin gestaltet. Ansonsten findet man das Gestein in Hausmauern und als Gestaltungselement in den Gärten von Riedöschingen und Umgebung.
Gewinnung und Verarbeitung
Dem Travertin von Riedöschingen blieb im Gegensatz zum Böttinger oder Cannstatter Travertin trotz großer gewinnbarer Rohblöcke bislang die Würdigung als hochwertiger Werkstein verwehrt, vermutlich weil das in der Grenzregion am Hochrhein versteckt gelegene Vorkommen den Baumeistern der fernen Barockresidenzen im 18. Jh. nicht bekannt war und das Gestein später, z. B. für die monumentalen Bauten des Dritten Reichs, wegen seiner rot und rosa Bänderung nicht gefragt war. Durch auffällige Lesesteinblöcke in den sonst grauen Gesteinen des Oberjuras sind die Einheimischen sicher schon früh auf den Travertin aufmerksam geworden. Aufgeschlossen wurde das Vorkommen aber erst, als man Ende des 19. Jh. für die Bahnstrecke durch das Wutachtal zwischen Fützen und Immendingen Mauersteine und Schotter brauchte. Schweigert (2003, S. 45) konstatiert die „ungeheuere Verschwendung dieses kostbaren Materials, neben dem Böttinger Marmor wohl einem der schönsten Natursteine Südwestdeutschlands“.
Abgebaut wurde der Riedöschinger Travertin im sog. Rotsteinbruch (RG 8117‑302) im Zeitraum von ca. 1870 bis 1995, allerdings mit längeren Unterbrechungen. Ab 1887 betrieben die Fa. Haas aus Stuttgart-Bad Cannstatt (die dort lange den Cannstatter Travertin abbauten) und die Fa. Mullert aus Wiesbaden den Steinbruch. Diese Firmen hatten Aufträge für Bauwerke entlang der strategisch wichtigen Bahnlinie Weizen–Zollhaus, wo sie z. B. den Buchbergtunnel ausbauen sollten. Nach Mitteilung des Stadtbauamts Blumberg (Brief von Stadtbaumeister A. Zeller, 27.07.2009) wurde jedoch nur wenig Material aus dem Rotsteinbruch verwendet, weil der in dieser Zeit anstehende Travertin für die geforderte Frostbeständigkeit zu viele Lehmeinschlüsse enthielt; daraufhin wurde Freudenstädter Buntsandstein für die Bahnbauwerke verwendet. Nach dem Bahnbau nutzte die Fa. Albert Lauster, ebenfalls aus Stuttgart-Bad Cannstatt, den Bruch, vor allem um Fassadenplatten und Bossensteine zu gewinnen.
Nach Fotografien der Fa. Lauster aus der Zeit des Abbaus von 1938/39, Luftbildern und dem Antrag der Fa. Rösch von 1992 zu schließen, war der Abbaubereich etwa 70 x 100 m groß. Im Nordwest-Teil des Steinbruchs befinden sich mächtige Abraumhalden, die wahrscheinlich auch alte Abbaubereiche überdecken. Die nutzbare Mächtigkeit des horizontal geschichteten Travertins beträgt nach den aktuellen Aufschlüssen bis zur heutigen tiefsten Sohle etwa 10–12 m. Schreiner (1984) nennt aus der Zeit des Abbaus eine maximale Travertinmächtigkeit von 20 m. Im Umfeld lagen noch weitere kleine Abbaustellen oder Versuchsgrabungen, die heute nicht mehr zugänglich sind.
Abgebaut wurde zur Zeit der Werksteingewinnung der Fa. A. Lauster um 1938/39 auf drei Sohlen mit Loch-an-Loch-Bohren und Keilen. Die Travertinblöcke wurden mittels eines großen Krangerüsts aus Holz, das am südlichen Bruchrand stand, verladen. Abraummaterial wurde mit gleisgebundenen Förderwagen auf die Halden im Westen des Bruchs geschafft. Diese Phase der Werksteingewinnung endete spätestens während des Zweiten Weltkriegs. Danach lag der Steinbruch bis 1975 still. Im Zeitraum 1975–1985 betrieb die Baufirma Treinen aus Blumberg den Bruch zur Gewinnung von Straßenbaustoffen; an Werksteinen war man nicht mehr interessiert. In diese Abbaugenehmigung trat die Fa. Rösch ein, die bis 1995 in geringem Umfang Steine für Gartengestaltung gewann. Die Fa. Rösch beantragte 1992 eine Verlängerung der Abbaugenehmigung, die vom damaligen Geologischen Landesamt auch unterstützt wurde (Gutachten vom 28.5.1993 (Az. 0083.01/93‑4762)). Das Landratsamt des Schwarzwald-Baar-Kreises lehnte den Antrag 1995 jedoch mit der Begründung ab, dass man das Travertinvorkommen als geologische Besonderheit erachte und die verbliebenen Bereiche deshalb schützen wolle (Mitt. A. Zeller, Stadtbauamt Blumberg).
Potenzial
Rote Travertine sind in Europa selten. Der Böttinger Marmor dürfte künftig – sofern entsprechende Vorräte durch Erkundung nachgewiesen werden können – nur im Untertageabbau gewinnbar sein; der Riedöschinger Travertin steht hingegen unter geringer Bedeckung an und könnte daher eine relativ leicht gewinnbare Alternative bieten. Obwohl Erkundungsdaten fehlen, so lassen doch die morphologischen Verhältnisse und die Verbreitung von Lesesteinen aus Travertin vermuten, dass nur ein Teil der Lagerstätte abgebaut wurde. Allerdings ist nicht bekannt, welche Materialqualitäten unter der Bedeckung noch anstehen, wie stark die Verkarstung des Vorkommens ist und wo im dicht bewaldeten Gelände wieder verfüllte Entnahmestellen existieren. Unmittelbar südlich des bekannten Vorkommens verläuft nach der Geologischen Karte (Franz & Rohn, 2004) eine jungmiozäne Erosionsrinne, die sog. Tengener Rinne, die mit Abtragungsschutt der Jüngeren Juranagelfluh verfüllt wurde. Es ist also möglich, dass schon ein Teil des Travertinvorkommens kurz nach der Ablagerung wieder abgetragen wurde. Angesichts des zu erwartenden Wertes des Gesteins dürfte sich allerdings eine engmaschige Erkundung mit Bohrungen und geophysikalischen Methoden lohnen.
Wegen seiner besonderen Bedeutung für die Entwicklungsgeschichte des Jungtertiärs in Baden-Württemberg und für die Erforschung von Travertinlagerstätten muss aber auch langfristig ein großer Teil der Lagerstätte erhalten bleiben. Schweigert (1998b) weist darauf hin, dass ein Vorkommen, das sowohl die fossile Quellspalte als auch die zugehörige Travertinkuppel aufweist, nur noch aus Kenia bekannt ist.
Kurzfassung
Der als Riedöschinger Travertin bezeichnete, westlich von Blumberg-Riedöschingen durch den sog. Rotsteinbruch erschlossene Thermalsinter ist wie der Böttinger „Marmor“ während des Jungtertiärs an einem geysirartigen Austritt von mineralisierten Tiefenwässern entstanden. Es handelt sich um einen kuppelförmigen Travertinkörper, der von einer Thermenaustrittsspalte durchzogen wird. Die bekannte Erstreckung beträgt etwa 150 x 350 m. Das kavernöse Gestein zeichnet sich durch eine auffallende, hell- und dunkelrote sowie weiße Bänderung bzw. Fleckung aus. Naturwerksteine dieser Art treten außer in Münsingen-Böttingen und Riedöschingen sonst nirgends mehr in Europa auf. Zur Zeit der größten Nachfrage nach ungewöhnlichen und farbigen Gesteinen, dem Barock, war das entlegene Vorkommen vermutlich noch unbekannt. Zeitweise gewonnen wurde der Riedöschinger Travertin wohl erst ab ca. 1870; am intensivsten wurde er in der kurzen Zeit von 1938–1939 durch die Fa. A. Lauster aus Stuttgart abgebaut. Bis 1995 gab es mehrere kurzzeitige Abbauarbeiten. Über die noch gewinnbaren Vorräte liegen nur vage Vorstellungen vor, da es bislang weder bohrtechnische noch geophysikalische Erkundungsdaten gibt. Der alte Steinbruch gehört zu den besonders bemerkenswerten Geotopen des Landes.
Literatur
- (2004). Erläuterungen zu Blatt 8117 Blumberg. – 3. Aufl., Erl. Geol. Kt. 1 : 25 000 Baden-Württ., VII+196 S., 2 Beil., Freiburg i. Br. (Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau Baden-Württemberg).
- (1986). Geologie von Baden-Württemberg. 3., völlig neu bearbeitete Aufl., VII + 472 S., Stuttgart (Schweizerbart). [254 Abb., 26 Tab.]
- (1993a). Süddeutsche Travertinvorkommen im Vergleich – Stuttgarter Travertine (Mittel-Pleistozän) und Riedöschinger Travertin (Mittel-Miozän). – Neues Jahrbuch für Geologie und Paläontologie, Abhandlungen, 189, S. 171–197. [6 Abb.]
- (1984). Hegau und westlicher Bodensee. – Sammlung geologischer Führer, 62, 93 S., Berlin, Stuttgart (Borntraeger). [22 Abb.]
- (1992b). Erläuterungen zu Blatt Hegau und westlicher Bodensee. – 3. Aufl., Geologische Karte 1 : 50 000 von Baden-Württemberg, 290 S., Freiburg i. Br., Stuttgart (Geologisches Landesamt Baden-Württemberg).
- (1996a). Vergleichende Faziesanalyse, Paläoökologie und paläogeographisches Umfeld tertiärer Süßwasserkarbonate auf der westlichen Schwäbischen Alb und im Hegau (Baden-Württemberg). – Profil, 9, S. 1–100. [101 Abb.]
- (1998b). Der Riedöschinger Travertin – eine fossile Geysir-Ablagerung im Randengebiet. – Jahreshefte der Gesellschaft für Naturkunde in Württemberg, 154, S. 107–120. [5 Abb.]
- (2003). Der Riedöschinger Travertin bei Blumberg – auch eine fossile Geysirbildung. – Rosendahl, W., López-Correa, M., Gruner, C. & Müller, T. (Hrsg.). Der Böttinger Marmor. Bunter Fels aus heißen Quellen, S. 45–47, Stuttgart (Grabenstetter höhlenkundliche Hefte, 6). [4 Abb.]