Übersicht, Verbreitung
Als Hardheimer Muschelkalk wird ein max. ca. 4–5 m, örtlich auch nur 2–3 m mächtiges, vielfach zur Werksteingewinnung oder Herstellung von gebranntem Kalk genutztes Lager aus oolithischen Schillkalksteinen und oolithischen Kalksteinen bezeichnet, das im Bauland im Gebiet zwischen Hettingen, Walldürn, Höpfingen, Hardheim und Bretzingen (Barg, 1933) etwa in der Mitte der Orbicularis-Schichten an der Basis des Mittleren Muschelkalks auftritt. Das Liegende und Hangende besteht aus einer Wechselfolge von dünnschichtigen Dolomitsteinbänken und dolomitischen Mergelsteinlagen (Untere und Obere Orbicularismergel). Stratigraphisch entspricht der Horizont des Hardheimer Muschelkalks der Geislingen-Bank (Simon, 1982b). Nach Osten, in Richtung Königheim und Tauberbischofsheim, ist die Geislingen-Bank bei ähnlicher Ausbildung deutlich geringmächtiger (ca. 1–1,5 m; Barg, 1933; Spitz, 1933); sie wurde dort nur für den örtlichen Bedarf in etlichen kleinen Steinbrüchen als Baustein und für die Erzeugung von Branntkalk abgebaut.
Im Hardheimer Muschelkalk waren im oben genannten Gebiet insgesamt ca. 20 Steinbrüche angelegt. In über der Hälfte davon wurden Werksteine gewonnen. In den anderen Brüchen wurden die Kalksteine vorwiegend für die Herstellung von gebranntem Kalk abgebaut, so z. B. östlich Höpfingen im Gewann Kalkofen und in mehreren Gruben beiderseits der Straße von Walldürn nach Altheim (Barg, 1933, Profile 18 und 19; ein restaurierter Kalkofen ist im Steinbruch Schmittshöhe bei Walldürn zu besichtigen (s. weiterführende Links: Steinbruch Schmittshöhe); besonders gut geeignet hierfür waren die sehr reinen oolithischen Kalksteine, wie sie auch im unteren Teil des Stbr. Bretzingen vorkommen. Den spärlichen Informationen nach ist die Blütezeit der Hardheimer Steinindustrie zwischen 1890 und ca. 1920/1925 anzunehmen (Spitz, 1933). Bereits in den 1930er Jahren war die Werksteingewinnung stark zurückgegangen (Günzburger, 1936). Verantwortlich hierfür war wohl die erdrückende Konkurrenz durch den Quaderkalksteinabbau im nur 20–30 km entfernten Krensheimer und Kirchheimer Revier. Heute (Stand 2021) wird das Gestein nur noch in einem Steinbruch nordöstlich von Bretzingen (RG 6422‑7) in einer Mächtigkeit von ca. 2,5 m gewonnen und im Garten- und Landschaftsbau sowie als Wasserbaustein eingesetzt.
Ein bedeutendes Abbaugebiet für den Hardheimer Muschelkalk lag direkt südlich von Hardheim am Wurmberg und am Galgenberg. Vermutlich bauten dort mehrere Firmen gleichzeitig ab; 1895 wird nach Unterlagen des Archivs der Stadt Hardheim am Wurmberg der Steinbruch der Fa. Wimmel erwähnt, aus dem vermutlich das Material für die Kirche St. Alban in Hardheim stammt. Das Lager ist dort knapp 5 m mächtig (Vollrath, 1923; Günzburger, 1936). Der größte Teil des ehemaligen Abbaugebiets liegt im überbauten Bereich des Bundeswehrdepots; an der Westflanke des Wurmbergs ist aber noch ein größeres früheres Steinbruchareal gut zugänglich, in dem der dort über ca. 4 m aufgeschlossene Hardheimer Muschelkalk mit den überlagernden Oberen Orbicularismergeln ansteht (Hagdorn & Simon, 2005b). Weitere größere Werksteinbrüche lagen nordwestlich von Bretzingen im Gewann Hüttenberg (bis 1919 Abbau durch die Fa. Winterhelt/Miltenberg), direkt südöstlich von Höpfingen im Gewann Leutschenberg (Barg, 1933, Profil 17; ca. 2,5 m Oolith, lagenweise mit Schill; als Erdaushub- und Bauschuttdeponie genutzt) und zwischen Walldürn und Hettingen (Gewann „Lappen“; Mächtigkeit des Lagers vermutlich 5–6 m, Barg, 1933).
Geologische Entstehung
Die Kalksteine des Hardheimer Muschelkalks sind marine Sedimente des flachsten Subtidals. Die Oolithe und Schillkalksteine wurden im turbulenten, nur wenige Meter tiefen Wasser abgelagert. Auch die, vorwiegend am Top des Hardheimer Muschelkalks auftretenden, an die durchleuchtete Wasserzone gebundenen Bakterienlaminite (Stromatolithe) sind ein Anzeichen für einen flachmarinen Bildungsraum (Vollrath, 1923; Günzburger, 1936; Hagdorn & Simon, 1993b, 2005b). Die gelegentlich lagenweise vorkommenden Kalksteingerölle weisen auf Stürme hin, bei denen der bereits schwach verfestigte Kalkschlamm am Meeresboden erodiert und umgelagert wurde. Der schnelle vertikale und laterale Wechsel der o. g. Gesteinstypen (Vollrath, 1923; Barg, 1933) belegt einen kleinräumig gegliederten Bildungsraum. Anzeichen für ein kurzfristiges Trockenfallen des Ablagerungsraums, wie sie Hagdorn & Simon (1993b, 2005b) im Steinbruch Eberstadt am Top der Geislingen-Bank beschreiben, wurden bisher im Raum Hardheim nicht beobachtet. In Eberstadt werden schmale Rinnen mit eingeschwemmter Wirbeltierfauna als subaerische, durch Sturzregen entstandene Bildungen gedeutet. Nach Süden treten in der Geislingen-Bank zunächst Sulfatgesteinsknollen und ‑lagen auf, und vom südlichen Hohenlohe nach Süden geht sie in eine Sulfatgesteinsbank über (Simon, 1982b). Diese Gesteinsfazies entstand in einer ausgedehnten Küstensabkha, vergleichbar den heutigen am Persischen Golf, jedoch von ungleich größerer Ausdehnung.
Gesteinsbeschreibung
Der Hardheimer Muschelkalk besteht aus grauen und dunkelgrauen, z. T. auch gelblich grauen, unterschiedlich ausgebildeten Kalksteinen:
- Oolithische Kalksteine, meistens ohne oder nur mit wenigen Schalenbruchstücke(n)
- Kalksteine mit lagenweise wechselndem Anteil an Ooiden und Schalenbruchstücken
- oolithische Schillkalksteine und
- Schillkalksteine ohne oder nur mit wenigen Ooide(n)
Das Gestein ist teils mittel-/dünnbankig, teils mittel-/dickbankig. Am Wurmberg verändert sich die Bankmächtigkeit dieserart auf kurze Entfernung. Vorwiegend die Ooide, aber auch Schalenreste sind vielfach herausgewittert, und das Gestein erscheint dann schaumig-porös; daher wurde dieses Lager früher auch als „obere“ oder „dritte Schaumkalkbank“ bezeichnet (Vollrath, 1923; Günzburger, 1936; Barg, 1933, 1934). Die Komponenten sind dicht gepackt und häufig über Punktkontakte verbunden; das Gefüge ist vorwiegend komponentengestützt. In den reinen Oolithen ist der Porenraum durch Nadel- und Blockzement geschlossen, in den oolithischen Schillkalksteinen und in den reinen Schillkalksteinen ist er i. d. R. mit Kalkschlamm verfüllt (Barg, 1934).
Im noch zugänglichen Teil des Steinbruchs am Wurmberg (RG 6322-303) stehen meist oolithische Schillkalksteine an, in denen das Verhältnis von Ooiden und Schill lagenweise wechselt. Im Profil Bretzingen besteht der untere Teil des Hardheimer Muschelkalks aus einem dichten, reinen oolithischen Kalkstein. Darüber folgt ein ca. 0,9–1,4 m mächtiger, lagiger, weitständig geklüfteter z. T. dicht gepackter Schillkalkstein, der auch als Lumachelle bezeichnet wird, und aus dem sich große Blöcke gewinnen lassen.
Gesteinstechnische Angaben zum Hardheimer Muschelkalk fehlen. Günzburger (1936) bezeichnet ihn als vorzügliches und wetterbeständiges Bau- und Bildhauermaterial. Die vor knapp 120 Jahren im neoromanischen „Erftaldom“, die 1894 geweihte katholische Kirche St. Alban in Hardheim, verbauten Kalksteinquader zeigen nur geringe Verwitterungsspuren.
Gewinnung und Verarbeitung
Die derzeit (Stand 2021) einzige Abbaustelle von Hardheimer Muschelkalk ist der Steinbruch Bretzingen (RG 6422‑7), der von den Schotterwerken Hohenlohe-Bauland (SHB, Sitz Osterburken) betrieben wird. Die Gesteinsblöcke werden durch perforierendes Bohren und nachfolgendes nicht-brisantes Sprengen gewonnen und dann mit dem Radlader abgehoben. Die unbearbeiteten Blöcke und Platten werden als Wasserbausteine und für den Garten- und Landschaftsbau verkauft.
Verwendungsbeispiele
Hardheimer Muschelkalk fand im In- und Ausland Verwendung, so z. B. beim Bau des Reichstagsgebäudes, am Kölner Dom, bei der Mannheimer Kunsthalle, vielfach in Wiesbaden, am Suez-Kanal und am Moskauer Winterpalais. „Häufig gingen die Steine auch als Kirchheimer Material weg, da der eine große Steinbruch (am Wurmberg; Anm. d. Verf.) von dem gleichen Kirchheimer Unternehmen betrieben wurde“ (Fa. Wimmel; Anm. d. Verf., Günzburger, 1936). In Hardheim ist das beste Beispiel die katholische Kirche St. Alban.
Potenzial
Trotz seines ansprechenden Gesteinsbildes und der Verwitterungsbeständigkeit findet der Hardheimer Muschelkalk seit mehreren Jahrzehnten sowohl als Baustein als auch als Bildhauer- und Ornamentstein keine Verwendung mehr und ist daher derzeit nur von historischer Bedeutung. Ein größerer Bedarf an Austauschmaterial besteht nicht. Die Beschaffung von Original- oder ähnlichem Ersatzmaterial wäre im Einzelfall schwierig, da die früheren Werksteinbrüche alle seit Jahrzehnten aufgelassen und meist teilweise oder vollständig verfüllt sind. Aus der einzigen in Betrieb befindlichen Abbaustelle bei Bretzingen wurde in den letzten Jahren nur in geringem Umfang Material entnommen und vornehmlich für den privaten Gebrauch oder kleinere Projekte abgesetzt. Die Gewinnung großer Blöcke ist dort aber nachgewiesen, und das derzeit genehmigte Abbaugebiet birgt ein erhebliches Potenzial.
Langfristig böten der West- und Südrand der von Gesteinen des Mittleren Muschelkalks bedeckten Kuppe zwischen dem früheren Abbaugebiet am Wurmberg und dem Steinbruch Bretzingen ein großes Werksteinpotenzial (Gewanne Lichtenberg und Wacholder). Das Lager ist durch diese Abbaustellen nachgewiesen, und der Abraum nimmt nach Osten und Norden nur langsam zu. In der Südwestecke dieses Vorkommens ist aber örtlich eine Beeinträchtigung des Werksteinlagers durch eine vermutete West–Ost verlaufende Störung möglich. Am Westrand des Verbreitungsgebiets des Hardheimer Muschelkalks zwischen Höpfingen und Hettingen ist das Lager in erheblicher Mächtigkeit durch den früheren Abbau nachgewiesen. Die Beurteilung des Werksteinpotenzials ist aber dort wegen der anzunehmenden merklichen Störungstektonik und der dadurch bedingten Beeinträchtigung des Lagers und wegen fehlender Erkundungsdaten nicht möglich. Für die dortige Gewinnung der Kalksteine als Rohstoff für gebrannten Kalk (s. o.) war dieser Gesichtspunkt unerheblich.
Weiterführende Links zum Thema
Literatur
- (1933). Untersuchungen über Badischen Schaumkalk (Stratigraphischer Teil). – Jahresberichte und Mitteilungen des Oberrheinischen Geologischen Vereins, N. F. 22, S. 121–142, 3 Taf., 1 Kt.
- (1934). Untersuchungen über Badischen Schaumkalk. – Jahresberichte und Mitteilungen des Oberrheinischen Geologischen Vereins, N. F. 23, S. 62–77. [8 Abb.]
- (1936). Erläuterungen zur Geologischen Spezialkarte von Baden, Blatt Hardheim (Nr. 8). – Erl. Geol. Spezialkt. Baden, 44 S., 1 Beil., Freiburg i. Br. (Badische Geologische Landesanstalt). [Nachdruck 1985: Erl. Geol. Kt. 1 : 25 000 Baden-Württ., Bl. 6322 Hardheim; Stuttgart]
- (1993b). Rinnenbildung und Emersion in den Basisschichten des Mittleren Muschelkalks von Eberstadt (Nordbaden). – Neues Jahrbuch für Geologie und Paläontologie, Abhandlungen, 189, S. 119–145. [12 Abb.]
- (2005b). Der Untere und der Mittlere Muschelkalk im Taubergebiet und im Bauland (Exkursion C am 31. März 2005). – Jahresberichte und Mitteilungen des Oberrheinischen Geologischen Vereins, N. F. 87, S. 97–112. [8 Abb.]
- (1982b). Zur Fazies der orbicularis-Schichten im nördlichen Baden-Württemberg und eine neue Festlegung der Grenze zum Mittleren Muschelkalk. – Jahresberichte und Mitteilungen des Oberrheinischen Geologischen Vereins, N. F. 64, S. 117–133. [4 Abb., 1 Tab.]
- (1933). Erläuterungen zu Blatt Tauberbischofsheim (Nr. 9). – Erl. Geol. Spezialkt. Baden, 83 S., Freiburg i. Br. (Badische Geologische Landesanstalt). [Nachdruck 1985: Erl. Geol. Kt. 1 : 25 000 Baden-Württ., Bl. 6323 Tauberbischofsheim-West; Stuttgart]
- (1923). Beiträge zur Stratigraphie und Paläogeographie des fränkischen Wellengebirges. – Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geologie und Paläontologie, Beilagenband 50, S. 120–288, 3 Taf.