Verbreitung
Die Gesteine der Grabfeld-Formation (ehemalige Bezeichnung: Gipskeuper) aus dem untersten Mittelkeuper neigen aufgrund ihres Sulfatgehalts in sehr hohem Maße zur Verkarstung bzw. unterliegen der Auslaugung. Eine maximale Tiefenlage verkarstungsfähiger Gesteinshorizonte der Grabfeld-Formation von 110 m unter Geländeoberkante (GOK), von der aus sich Verkarstungsstrukturen noch bis an die GOK durchpausen können, wurde empirisch durch Auswertung der bekannten Verkarstungsobjekte bestimmt. In Baden-Württemberg wird eine Verkarstungsgefährdung aufgrund der im Untergrund anstehenden Gesteine der Grabfeld-Formation im Bereich der Gäulandschaften sowie dem Keuperbergland in der ingenieurgeologischen Gefahrenhinweiskarte für Baden-Württemberg (IGHK50) ausgewiesen.
Verkarstungsfähige Schichten
Die Grabfeld-Formation ist zwischen 50 m und 165 m mächtig und umfasst die Schichten des Unteren Mittelkeupers. Sie besteht in erster Linie aus Wechselfolgen dolomitischer Tonsteine und toniger Sulfatgesteine.
Die Grabfeld-Formation gliedert sich in drei Subformationen – die Untere, Mittlere und Obere Grabfeld-Formation. Jede dieser drei Subformationen zeichnet sich wiederum durch eine mehrfache Abfolge von Tonsteinen, Sulfatbänken/‑lagen, häufig eingelagerten Dolomitsteinbänken und bunten (seltener grauen) ungeschichteten Tonsteinen mit Sulfatknollen bis Gekrösegips aus.
Untere Grabfeld-Formation
Den größten Anteil an sulfatführenden/verkarstungsfähigen Gesteinen nehmen in der Unteren Grabfeld-Formation die bis mehr als 20 m mächtigen Grundgipsschichten ein, deren Sulfatgesteine die größte nutzbare Sulfatlagerstätte in Süddeutschland darstellen. Die Grundgipsschichten bestehen im unteren Teil aus einer Wechselfolge aus massiven dolomitischen Sulfatbänken und mehreren kleinräumig auskeilenden Dolomitsteinbänken, dem Felsengips, sowie im mittleren bis höheren Abschnitt aus feingeschichteten Sulfat-Tonstein-Wechselfolgen, dem Plattengips (Geyer et al., 2011). In der Umgebung von Stuttgart erreichen die Grundgipsschichten z. B. einen Sulfatanteil von ca. 60 % (Rogowski, 2002). Im höheren Abschnitt der Unteren Grabfeld-Formation sind als verkarstungsanfällige Gesteine Sulfatknollen in dezimeter- bis metermächtigen Tonsteinbänken, einzelne geringmächtige Sulfatbänke (Bochingen-Horizont) sowie ein 3–4 m mächtiger Plattengips-Horizont, das Entringen-Sulfat ausgebildet (Geyer et al., 2011). In ausgelaugtem Zustand kann sich die Mächtigkeit der Grundgipsschichten auf rund 6–8 m reduzieren (Brunner, 1998b).
Mittlere Grabfeld-Formation
Eine starke Verkarstungsgefährdung wird in der Mittleren Grabfeld-Formation durch den Mittleren Gipshorizont hervorgerufen. Dabei handelt es sich um eine etwa 35 m mächtige Abfolge von metermächtigen geschichteten Sulfatbänken (Ausbildung: Plattengipse, untergeordnet Felsengipse) und ähnlich mächtigen Tonsteinen (häufig mit Sulfatknollen durchsetzt.
Obere Grabfeld-Formation
Im Vergleich zur Unteren und Mittleren Grabfeld-Formation ist die Gefährdung durch Sulfatverkarstung in der Oberen Grabfeld-Formation weitaus geringer. Zumeist sind lediglich Sulfatknollen in den Tonsteinen der Unteren Bunten Estherienschichten sowie der Oberen Bunten Estherienschichten ausgebildet (Geyer et al., 2011).
Stadien der Gipsauslaugung in der Grabfeld-Formation und deren Verkarstungsphänomene
In Gebieten, in denen gips- und anhydritführendes Gebirge unter mächtigen höheren Keuperschichten liegt, hat die Gipsauslaugung meist noch nicht eingesetzt (Rogowski et al., 2017).
An der Oberfläche oder oberflächennah ist die Sulfatgesteinsauslaugung zumeist weit fortgeschritten oder bereits abgeschlossen, wie beispielsweise in alten Talauen (Brunner, 1998b). Im tieferen Untergrund hingegen hält der Auslaugungsprozess durch einsickerndes Niederschlagswasser noch an. Die Gipsauslaugung setzt hier vor allem an größeren Klüften (z. B. Entspannungsklüften an Talrändern) oder anderen Trennflächen an (Ströbel & Wurm, 1994). Auch führt die in den Grundwasserleitern der Grabfeld-Formation (z. B. Bleiglanzbänke, Bochingen Horizont) oder im Grenzdolomit des Unterkeupers zirkulierenden Wässer nach und nach zur vollständigen Gipsauslaugung (Rogowski et al., 2017). Dabei entsteht ein anfangs an den Hauptkluftrichtungen orientiertes netzartiges System aus ausgelaugten Zonen. Mit der Zeit verbreitern sich diese ausgelaugten Zonen immer weiter, bis schließlich nur noch einzelne unregelmäßige Gipsrelikte zurückbleiben (Ströbel & Wurm, 1994). Der Auslaugungsrückstand besteht meist aus verstürztem, bröckeligem Tonstein mit einzelnen Gipsknollen und Auslaugungsschluff (GAR). Besonders charakteristisch sind millimeterdünne Schichten aus hellgrauem oder rötlichem Quarzschluff, dem unlöslichen Rückstand ehemaliger Gipsbänke (Wagenplast, 2005).
Moorbildungen sind charakteristische Begleiterscheinungen der Sulfatgesteinsauslaugung in historischer Zeit. In größeren Senken und Wannen mit teils beachtlichen Ausmaßen, aber auch in eng begrenzten Dolinen können sich über den tonigen Keuperverwitterungsmassen flache Seen, Sümpfe und Moore entwickeln und Sumpfton sowie anmoorige Böden bilden, wie z. B. das etwa 9000 Jahre alte und rund 3,7 ha große Kupfermoor nördlich von Gailenkirchen im Lkr. Schwäbisch-Hall (Vollrath, 1977; Brunner, 1986b).
Das eindrucksvollste, durch Gipsauslaugung der Grabfeld-Formation entstandene Dolinengebiet Baden-Württembergs mit Hunderten von Dolinen und Senken jeglicher Größe umfasst ein ca. 2,5 km2 großes Gebiet bei Crailsheim, das Naturschutzgebiet Reußenberg.
In bebauten Gebieten können Auslaugungsvorgänge – vor allem in den Gesteinen der Grundgipsschichten sowie des Mittleren Gipshorizonts – erhebliche Probleme bereiten und zu Gebäudeschäden führen. Schäden in der Eltinger Altstadt (Leonberg, Lkr. Böblingen) oder in Stuttgart sind bekannte Beispiele hierfür. Auch mussten einzelne Gebäude bereits abgerissen werden (Ströbel & Wurm, 1994; Brunner, 1998b).
Der mit der Gipsauslaugung einhergehende Volumenverlust wird meist nicht kontinuierlich ausgeglichen. Häufig entstehen Hohlräume, die von sulfatfreien überlagernden Schichten, wie beispielsweise den Dolomitsteinbänken im Bochingen-Horizont überbrückt sind. Wird deren Tragfähigkeit überschritten, können die Hohlräume spontan bis an die Geländeoberfläche hochbrechen und zu Erdfällen (Sackungsdolinen) führen (Ströbel & Wurm, 1994). Schaaf (1925) berichtet vom Versinken eines Ochsengespanns beim Einbruch eines 13 m tiefen Erdfalls in der Nähe von Gaildorf. Der an die Geländeoberfläche hochgebrochene Hohlraum wies ein typisch glockenförmiges, sich nach unten erweiterndes Profil auf.
Ein dicht besiedeltes Wohngebiet in Stuttgart-Bad Cannstatt ist seit Jahrzehnten als Erdfallgebiet bekannt. Ein eindrucksvoller Erdfall entstand dort im Frühjahr 2000 auf dem Spielplatz eines Kindergartens. Dieses Bruchereignis war Anlass für eine umfangreiche Untersuchungskampagne zur Erkundung der Verkarstung im Untergrund im Umfeld des Wohngebiets. Unweit des Erdfalls vom Frühjahr 2000 wurde dabei ein ca. 600 m3 großer Hohlraum in rund 35–40 m Tiefe entdeckt (Rogowski, 2002; Rogowski & Schweikardt, 2006).
Auf landwirtschaftlich genutzten Flächen entstandene Erdfälle weisen häufig ein geringes Erhaltungspotenzial auf. Oft sind die Erdfälle bereits kurze Zeit später wieder verfüllt, bevor diese in der Ingenieurgeologischen Gefahrenhinweiskarte von Baden-Württemberg dokumentiert werden konnten.
Bautechnische Relevanz
Gebiete mit fossiler und rezenter Gipsauslaugung stellen stets einen schwierigen Baugrund dar. Rezente Gipsauslaugung, einhergehend mit meist ungleichmäßigem Volumenverlust führt zu ungleichmäßigen Setzungen des Untergrunds. Auch können ungleichmäßige Bauwerksetzungen und folglich Gebäudeschäden auftreten, wenn z. B. Bauwerke teils auf unverkarstetem hartem Fels, teils auf setzungsfähigen Auslaugungsrückständen mit unterschiedlichem Verwitterungsgrad oder gar auf lehmigen bis anmoorigen Dolinenfüllungen errichtet wurden (Carlé, 1980; Wagenplast, 2005).
Baumaßnahmen in Gefährdungsgebieten mit Sulfatverkarstung erfordern daher spezielle, auf den Einzelfall abgestimmte Sicherungsmaßnahmen unter Berücksichtigung der Tiefenlage und Größe der Auslaugungszone, der Beschaffenheit des Deckgebirges sowie der Grundwasserverhältnisse.
Sicherungsmöglichkeiten bestehen unter anderem aus:
- Verpressung von Auslaugungshohlräumen – wobei in der Regel mit sehr hohen und oft unkontrolliert abfließenden Verpressmengen zu rechnen ist und im Gipskarst neue Fließpfade erzwungen werden können
- Überbrücken von Gefährdungsbereichen mittels Tiefgründungen (z. B. Pfahlgründungen), um Bauwerkslasten auf tragfähigeren Untergrund abzutragen
- Konstruktive Verstärkung von Bauwerken, sodass die Bauwerke Geländesenkungen oder ‑einbrüche schadlos überbrücken können (Brunner, 1998b)
Literatur
- (1986b). Erläuterungen zu Blatt 7320 Böblingen. – Erl. Geol. Kt. Baden-Württ. 1 : 25 000, 128 S., 4 Beil., Stuttgart (Geologisches Landesamt Baden-Württemberg).
- (1998b). Erläuterungen zu Blatt Stuttgart und Umgebung. – 6. Aufl., Geologische Karte von Baden-Württemberg 1 : 50 000, 298 S., Freiburg i. Br. (Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau Baden-Württemberg).
- (1980). Erläuterungen zu Blatt 6826 Crailsheim. – Erl. Geol. Kt. Baden-Württ. 1 : 25 000, 138 S., 1 Taf., 3 Beil., Stuttgart (Geologisches Landesamt Baden-Württemberg). [Nachdruck 1991]
- (2011). Geologie von Baden-Württemberg. 5. völlig neu bearb. Aufl., 627 S., Stuttgart (Schweizerbart).
- (2002). Zur Problematik des Gipskarstes in einem Wohngebiet in Stuttgart. – Schad, H. (Hrsg.). Tagungsband 3. Kolloquium Bauen in Boden und Fels, Esslingen vom 22. – 23. Januar 2002, S. 213–219, Ostfildern (Technische Akademie Esslingen).
- (2006). Zur Standsicherheit von Gipsauslaugungshohlräumen unter Berücksichtigung geologisch-geotechnischer Einflussgrößen. – Schad, H. (Hrsg.). Tagungsband 5. Kolloquium Bauen in Boden und Fels, Esslingen vom 24. – 25. Januar 2006, S. 475–482, Ostfildern (Technische Akademie Esslingen).
- (2017). Der Baugrund von Stuttgart – Erläuterungstext und digitale Baugrundgeologische Karten. 157 S., Freiburg i. Br. (Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau; Landeshauptstadt Stuttgart).
- (1925). Hohenloher Moore mit besonderer Berücksichtigung des Kupfermoores. – Beilage zum Jahresheft des Vereins für Vaterländische Naturkunde in Württemberg, 80, 58 S., Stuttgart.
- (1977). Erläuterungen zu Blatt 7220 Stuttgart-Südwest. – Erl. Geol. Kt. Baden-Württ. 1 : 25 000, 191 S., 3 Taf., 6 Beil., Stuttgart (Geologisches Landesamt Baden-Württemberg). [Nachdruck 1994]
- (1977). Erläuterungen zu Blatt 6824 Schwäbisch Hall. – Erl. Geol. Kt. Baden-Württ. 1 : 25 000, 199 S., 5 Beil., Stuttgart (Geologisches Landesamt Baden-Württemberg). [Nachdruck 1993]
- (2005). Ingenieurgeologische Gefahren in Baden-Württemberg. – LGRB-Informationen, 16, S. 1–79.