Einleitung
Im Bereich der Rebhänge am Neckar nordwestlich der Ortschaft Hessigheim befindet sich der Wurmbergweg, der als Wirtschaftsweg vor allen Dingen der Bewirtschaftung der steilen Reblagen am Neckar dient. Daneben wird der Weg von zahlreichen Touristen als Fahrrad- und Fußweg genutzt. Nachdem der Weg in den 50er Jahren geplant und gebaut worden war, kam es bereits kurze Zeit später zu ersten Schäden an dem Weg und seinen Stützmauern. Dies ist auf die am Wurmberg auftretenden Hangbewegungen zurückzuführen, welche durch die im Untergrund ablaufenden Auslaugungsvorgänge in den gipsführenden Schichten des Mittleren Muschelkalks induziert werden.
Geologischer Überblick
Die Umgebung von Hessigheim liegt im Bereich des „Hessigheimer Sattels", einer durch tektonische Kräfte entstandenen Aufwölbung der Gesteinsschichten. Der Neckar hat sich im Verlauf der jüngeren Erdgeschichte in diese Aufwölbung eingeschnitten und dabei ein etwa 100 m tiefes Tal mit außergewöhnlich steilen Talflanken ausgeräumt. Am östlichen Prallhang des Flusses beträgt die Hangneigung annähernd 90 %, was ca. 41° entspricht.
Der Untergrund der Talhänge wird fast ausschließlich von gebankten Kalksteinen des Oberen Muschelkalks gebildet, der in den Felstürmen des Naturschutzgebiets „Hessigheimer Felsengärten“ gut aufgeschlossen ist. Lediglich im tiefsten Hangbereich streichen bis etwa 10 m oberhalb des Neckarspiegels die Gesteine des Mittleren Muschelkalks aus. Diese bestehen aus einer Wechselfolge von Tonsteinen, Dolomitbänken und Gipslagen. Der ursprünglich etwa 40 m mächtige Gips wird jedoch im Grundwasserstrom, der in den Talablagerungen des Neckars fließt, allmählich aufgelöst. Hierbei entstehen zunächst einzelne trichter- oder gangförmige Hohlräume, die örtlich bis zur Geländeoberfläche hochbrechen und dort Erdfälle bilden.
Mit zunehmender Intensität der Lösungsvorgänge schwindet die Mächtigkeit des Gipslagers. Im Endstadium fehlt der Gips in Flussnähe bereits fast völlig, wogegen im Berginneren (d. h. außerhalb des Wirkungsbereichs des Talgrundwassers) noch die gesamte ursprüngliche Gipsmächtigkeit vorhanden ist. Die Gipsauslaugung unter den Talflanken hat zur Folge, dass hier das überlagernde Kalkgestein des Oberen Muschelkalks nachsackt, wobei sich umfangreiche Kalksteinpartien an talrandparallelen Klüften aus dem Gesteinsverband lösen und langsam talwärts kippen. Hinzu kommt ein gleichartig wirkender Vorgang, der als „Hangzerreißung" bezeichnet wird. Beim Einschneiden des Flusses in den Untergrund wird das talseitige Felswiderlager entfernt, wodurch sich die Felspartien am Talhang einseitig zum Tal hin entspannen und sich talrandparallele Klüfte öffnen.
Die Felsstürze in den Felsengärten in den Jahren 1924, 1983, 1988 und 2002 sind eindrucksvolle Beispiele für solche Kippbewegungen.
Der Talhang unterhalb des Wurmbergweges ist von einer wechselnd mächtigen Hangschuttauflage überzogen. Diese besteht vorwiegend aus steinigem Lehm, enthält aber auch zusammenhängende Kalksteinblöcke abgestürzter Felstürme. Die oben beschriebenen geologischen Vorgänge führen dazu, dass sich die Hangschuttauflage kriechend talwärts bewegt. Die Hangbewegung erstreckt sich über etwa 870 m entlang des gesamten Prallhanges. Die größten Verformungen sind im nordwestlichen Bereich des Wurmbergs zu beobachten. Dort führen diese zu starken Schäden in der Fahrbahn des Wurmbergweges und dessen Stützmauern.
Historie des Wurmbergwegs
Vor dem Bau des Wurmbergweges waren die Weinberge vor allem von der Straße zwischen Hessigheim und Besigheim am Fuß des Wurmbergs aus zugänglich. In den Reblagen existierte lediglich ein schmaler Fußweg. Im Zuge der Mechanisierung der Landwirtschaft in den 50er Jahren wurde die Notwendigkeit eines Wirtschaftsweges innerhalb der Reblagen des Wurmbergs größer. Im Jahr 1956 wurde mit der Planung des Weges begonnen. Die Bauzeit des Weges, welcher in sechs Bauabschnitten erbaut wurde, erstreckte sich von 1958 bis 1968. Durch die geologischen Gegebenheiten des Untergrundes traten bereits ab den frühen 1970er Jahren Schäden im Wurmbergweg auf, die Sanierungen erforderlich machten.
Grund hierfür war die unterschiedliche Gründung der Stützmauern – bergseitig wurde die Stützmauer auf anstehendem Muschelkalk-Fels, talseitig auf steinigem Hanglehm gegründet. An der talseitigen Mauer waren talwärtige Versätze entlang mit Teerpappe ausgelegten Trennfugen von bis zu 25 cm zu beobachten. Am Mauerfuß sind mehrere Meter tiefe klaffende Spalten im Hangschutt entstanden. Durch das Nachsacken der talseitigen Stützmauer traten Risse am Übergang der Fahrbahn zur Mauer auf, in welche anfallendes Regenwasser eindringen konnte. Auffallend war außerdem am südöstlichen Ende des Schadensgebietes eine die Straße diagonal durchziehende Stufe, deren südwestlich angrenzende Scholle tiefer sinkt.
Im Jahr 1973 wurde der beschädigte Teil der talseitigen Mauer entfernt und eine Probegrube ausgehoben, um die Untergrundverhältnisse genauer zu erkunden. Dabei wurde söhlig liegender bankiger Kalkstein des Oberen Muschelkalks angetroffen, der streckenweise an hangparallelen nahezu senkrecht stehenden Klüften abbricht. Unmittelbar anschließend wurde lehmig-steiniger Hangschutt aufgeschlossen, der mit einer nahezu senkrechten Grenze durch Einrammen einer Sonde bis in eine Tiefe von mind. 3 m unter Grubensohle nachgewiesen werden konnte. Des Weiteren wurde eine mit Ton gefüllte Gleitfläche zwischen Hangschutt und Muschelkalk festgestellt, die durch wasserführende Klüfte im Muschelkalk ständig durchfeuchtet wurde. Somit wurde die Ursache für die aufgetretenen Schäden gefunden. An der Grenze zwischen Fels- und Lockergestein konnte sich so durch zufließendes Wasser eine tiefreichende Gleitfläche ausbilden, an welcher der Hangschutt ständig tiefer sackt. Die untere talseitige Stützmauer des Weges ist auf diesem Hangschutt gegründet und sackt somit mit diesem tiefer.
Zur Sanierung des Wurmbergweges wurde eine elastische Bauweise mittels Gabionen durchgeführt. Es wurde angenommen, dass durch diese Sanierungsmethode zukünftig weniger Schäden am Bauwerk durch die Hangbewegungen entstehen würden. Andere Maßnahmen wie das Auffangen des Sickerwassers, Verpressung der linearen Hohlräume, Entwässerungsmaßnahmen durch Drainage, Pfahlgründung der Stützmauer u. a. wurden aufgrund der geringen Erfolgschancen als nicht geeignet erachtet. Dies wurde mit evtl. neu auftretenden Problemen und ggf. Beschädigungen der Sicherungselemente infolge von weiter anhaltenden Kriechbewegungen begründet.
In den Folgejahren und ‑jahrzehnten traten immer wieder Senkungen in der Fahrbahn des Wurmbergweges sowie Schäden an den tal- und bergseitigen Stützmauern auf. 2007 stürzte schließlich ein Teil der bergseitigen Stützmauer auf den Wurmbergweg. Etwas weiter westlich war der Hangschutt am Fuß der talseitigen Stützmauer aus Gabionen abgerutscht, sodass die Gabionen teilweise stark unterhöhlt waren und sich stark verformten. Die talwärts gerichtete Verformung der Gabionen führte in diesem Abschnitt zu einer großen Senkung des Wurmbergweges. Klaffende Risse in der Fahrbahn waren die Folge.
Da die Verkehrssicherheit in diesem besonders stark betroffenen Abschnitt im Westen des Wurmbergweges nicht mehr gegeben war, wurde dieser 2008/2009 schließlich aufwändig saniert. Um Bewegungen der talseitigen Stützmauer aufgrund des unterhalb gelegenen kriechenden Hanges zu minimieren, wurde die Mauer in dem Abschnitt der früheren Gabionen bis in den rückwärtig anstehenden Kalkstein rückverankert und auf einer Stahlbetonkonstruktion gegründet. Seit Fertigstellung der Sanierung werden der Wurmbergweg, die Stützmauern sowie der darunterliegende Hang mittels gesetzter Messpunkte regelmäßig geodätisch vermessen.
Aktuelle Situation
Nach der Sanierung eines Teilstücks des Wurmbergweges im Jahr 2009 kam es bereits wenige Jahre später zu Schäden am Übergang zum unsanierten Fahrbahnbereich des Wurmbergweges. Während der sanierte, rückverankerte Abschnitt des Wurmbergweges relativ lagestabil ist, bewegt sich der südöstlich angrenzende, nicht rückverankerte Bereich weiterhin talwärts. Risse am Übergang des rückverankerten zum nicht rückverankerten Bereich, sowohl in der talseitigen Stützmauer, als auch in der Fahrbahn waren und sind auch weiterhin die Folge. Regelmäßig durchgeführte tachymetrische Höhenmessungen an den Stützmauern, in der Fahrbahn und im Hang unterhalb des Wurmbergweges bestätigen diese Beobachtungen.
Bei dem in der Abbildung dargestellten diagonal verlaufenden Riss in der Fahrbahn ist anzumerken, dass sich dieser im Bereich der Anfang der 70er Jahre beschriebenen diagonal verlaufenden Stufe befindet. Es ist also anzunehmen, dass der Riss nicht nur im Übergang des rückverankerten zum nicht rückverankerten Teil der Mauer begründet ist. Womöglich befindet sich hier eine den Hang und den Wirtschaftsweg schneidende Hangzerreißung innerhalb des Muschelkalks, wie bereits 1972 vermutet wurde.
Der Hang unterhalb des Wurmbergweges bewegt sich ebenfalls weiterhin talabwärts. Dies ist vor Ort insbesondere im sanierten Abschnitt der talseitigen Stützmauer durch bis zu 120 cm tiefe Risse und Spalten sowie durch bis zu 60 cm vertikale Versätze zwischen Mauerfuß und dem gewachsenen Boden zu erkennen. Auch der darunterliegende Hangbereich zeigt weiterhin Anzeichen von Bewegungen (verschobene Trockenmauern, Risse, beschädigte Winzerhütten, oberflächennahe, kleinflächige Rutschungen etc.), die mit den Messergebnissen übereinstimmen.
Seit dem Bau des Wurmbergweges in den 50er und 60er Jahren treten also immer wieder Verformungen und Schäden an der Fahrbahn sowie an den Stützmauern auf, die durch konstruktive Maßnahmen und Verhindern von konzentriert eindringendem Wasser nur teilweise reduziert werden konnten. Die grundlegende geologische Situation hat sich jedoch nicht geändert und somit werden auch in Zukunft die Kriechbewegungen des Hanges sowie die Hangzerreißung und damit auch auftretende Schäden an den Bauwerken nicht vollständig zu unterbinden sein.
Jüngere sekundäre Rutschungen
Im Jahr 2018 kam es nach starken Niederschlägen in angrenzenden Rebflächen unterhalb des Wurmbergweges zu einer flachgründigen Rutschung. Neben dem allgemein labilen, sich in Bewegung befindenden Hang wird für die lokale Rutschung von mehreren Faktoren als Auslöser ausgegangen.
- In dem abgerutschten Bereich war die Hangneigung mit etwa 40° steiler als in den umgebenden Hangbereichen, in denen die Hangneigung zwischen ca. 25–32° schwankt.
- Die alten, gut verwurzelten Rebstöcke wurden im Frühjahr 2015 entfernt und erst etwa ein Jahr vor dem Rutschereignis durch junge Rebstöcke ersetzt.
- Neben der etwas steileren Lage ist hier die fehlende Wurzelkohäsion zu nennen.
Dies korreliert mit den bisherigen Erfahrungen des LGRB im Hinblick auf stabilisierende Eigenschaften von Wurzelwerk. Ca. drei Jahre nach Entfernen der Vegetation hat die Wurzelkohäsion von Rebstöcken soweit nachgelassen, sodass diese nicht mehr zur Stabilisierung des Untergrundes beitragen kann. Die ein Jahr zuvor gepflanzten neuen Rebstöcke besaßen demgegenüber noch kein ausreichendes Wurzelwerk, um den Hang entsprechend zu stabilisieren. Zu diesem Umstand kamen nun die starken Niederschläge hinzu, die schlussendlich die Rutschbewegung auslösten.
Die Rutschung wies im Januar 2018 eine Länge von 16 m und eine Breite von 20 m auf. Es rutschten insgesamt sechs Terrassen mit den sich darauf befindenden Trockenmauern ab. Innerhalb der Rutschung waren drei Abrisskanten vorhanden, welche jeweils 50–80 cm Versatz aufwiesen. Seitlich angrenzend an die Rutschung waren Zerrspalten im Boden zu erkennen, die auf eine potenzielle Verbreiterung der Rutschungsfläche hindeuteten.
Die genaue Tiefenlage der Rutschungsgleitfläche konnte nicht bestimmt werden, lag jedoch tiefer als die Mauergründungen. Es handelte sich somit nicht lediglich um Instabilitäten einzelner Terrassen und ihrer Mauern, sondern um eine zusammenhängende Instabilität dieses Hangbereiches.
Zur Sicherung der darunterliegenden Kreisstraße vor abstürzenden Mauersteinen wurde durch das THW unterhalb der Rutschung ein Holzdielenverbau errichtet. Die Rutschung selbst wurde mit einer Kunststofffolie abgedeckt, damit erneute Niederschläge nicht weitere Rutschbewegungen auslösen können. Ggf. auf der Folie anfallendes Wasser wurde gefasst und mittels PVC-Rohren schadlos in den Unterhang abgeleitet.
Nachfolgend sind die wichtigsten Merkmale der Hangrutschung am Wurmbergweg Hessigheim tabellarisch aufgelistet:
Stammdaten:
Objekt-ID |
6921_Ru00001 |
Objektname |
Hangrutschung Wurmbergweg Hessigheim |
Lokalität |
Wurmberg, etwa 800 m nordwestlich Hessigheim |
Gemeinde |
Hessigheim |
Stadt-/Landkreis |
Ludwigsburg |
TK25-Nr. |
6921 / 7021 |
TK25-Name |
Großbottwar / Marbach am Neckar |
Datengrundlage |
DGM, Geländebegehung, Detailuntersuchungen, Messungen, Dokumentenrecherche |
Lage-Bezugspunkt |
Höchster Punkt der Abrisskante |
Ostwert |
512971 |
Nordwert |
5427692 |
Koordinatenreferenzsystem |
ETRS89/UTM32 |
Koordinatenfindung |
Karte |
Höhe [m ü. NHN] |
277 |
Höhenermittlung |
Karte |
Allgemeine Fachdaten:
Entstehungszeitraum |
Unbekannt |
Aktivität |
andauernder Prozess |
Geländenutzung während der Entstehung |
Unbekannt |
Schäden |
Straßenschäden |
Spezielle Fachdaten Massenbewegungen:
Primär-/Folgeereignis |
Primärereignis |
||
Prozess der Hauptbewegung |
Rutschprozess |
||
Max. Länge [m] |
150 |
||
Max. Breite [m] |
870 |
||
Fläche der Hangbewegung [m2] |
106 000 |
||
Max. Tiefe der Gleitfläche [m] |
Unbekannt |
||
Durchschn. Tiefe der Gleitfläche [m] |
Unbekannt |
||
Fläche der Rutschmasse [m2] |
85 000 |
||
Kubatur der Rutschmasse [m3] |
Unbekannt |
||
Höchster Punkt der Abrisskante [m ü. NHN] |
277 |
||
Höchster Punkt der Rutschmasse [m ü. NHN] |
247 |
||
Max. Höhenunterschied zwischen Abrisskante und Rutschmassentop [m] |
30 |
||
Tiefster Punkt der Rutschmasse [m ü. NHN] |
180 |
||
Max. Höhenunterschied (H) zwischen höchstem und tiefstem Punkt der Rutschung [m] |
97 |
||
Exposition [°] |
245 |
||
Durchschnittliche Hangneigung zwischen Abrisskante und Rutschmassenfuß [°] |
30 |
||
Hangneigung [°] |
Oben (zwischen Abrisskante und Rutschmassentop) |
40 |
|
Mitte (oberer Teil der Rutschmasse) |
30 |
||
Unten (unterer Teil der Rutschmasse) |
25 |
||
Ursache |
Geogen |
||
Auslöser |
Geogen |
||
Geologie |
Stratigraphie |
Petrographie |
|
Trochitenkalk-Formation (moTK) |
Kalkstein |
||
Mittlerer Muschelkalk (mm) |
|||
Gefahrenbeurteilung |
Gefahr |
||
Überwachungsmaßnahmen |
Tachymetrische Höhenmessungen |
||
Sicherungsmaßnahmen |
Sicherung des Wurmbergweges mittels Gabionen, rückverankerter Stützmauer |
||
Sonstige Anmerkungen |
Gipsauslaugung im Untergrund, Kippbewegungen |