Übersicht
Der Crailsheimer Muschelkalk ist ein hochwertiger, sehr widerstandsfähiger, witterungsbeständiger und polierfähiger Schillkalkstein. Er kommt im Gebiet um Crailsheim in den Crailsheim-Schichten der Trochitenkalk-Formation des Oberen Muschelkalks vor. Sie beinhalten stratigraphisch den Abschnitt der Trochitenbänke 1–6 und bestehen vorwiegend aus Schillkalksteinen (s. u.). Untergeordnet treten feinkörnige Kalksteine und geringmächtige Tonsteinlagen auf. Die ca. 7–8 m mächtige Werksteinzone umfasst den Abschnitt der Trochitenbänke 2–6, in dem die Schillkalksteine teilweise mittel-/dickbankig entwickelt sind. Die überregionale Bedeutung und Verwendung des Crailsheimer Muschelkalks in Deutschland und auch darüber hinaus als attraktiver Naturwerkstein für den Außen- und Innenbereich setzte Anfang des 20. Jahrhunderts ein, als leistungsfähige Gesteinssägen zur Verfügung standen. Vorher wurden aus diesem Kalkstein, der im Jagsttal zwischen Crailsheim und Mistlau in mehreren kleinen, hangparallel angelegten Steinbrüchen gewonnen wurde (LGRB, 2005a), in Handarbeit vorwiegend Mauer- und Randsteine für den örtlichen Bedarf hergestellt. Größere ehemalige Steinbrüche liegen bei Mistlau, bei der Gaismühle und nordöstlich von Wollmershausen (RG 6826‑10, ‑110 und ‑111). Der Steinbruch bei Mistlau wurde von der Fa. Schön + Hippelein von 1930 bis Anfang der 1990er Jahre betrieben. In der Gewinnungsstelle bei der Gaismühle wurden bis in die 1950er Jahre Kalksteine durch die Fa. Burrer gewonnen (Frank, 1944). Ebenfalls bis in die 1950er Jahre wurden bei Wollmershausen im Muschelkalksteinwerk G. Ley Crailsheimer Muschelkalk abgebaut.
Derzeit (Stand 2021) wird Crailsheimer Muschelkalk ausschließlich im seit 1903 bestehenden Steinbruch Satteldorf-Neidenfels („Kernmühle“; RG 6826‑3) der Fa. Schön + Hippelein GmbH & Co. KG Natursteinwerke, Satteldorf, gewonnen. Ergänzend ist anzuführen, dass für den Steinbruch östlich Mistlau, der im Landschaftsschutzgebiet „Jagsttal mit Seitentälern zwischen Crailsheim und Kirchberg“ liegt, in der Schutzgebietsverordnung ausdrücklich eine Ausnahmeregelung festgeschrieben ist. Dort ist die Entnahme von höchstens 200 m3 Steinen im Einzelfall und pro Jahr zulässig, „sofern nur dieses Steinmaterial für Reparaturen an mit diesem Material errichteten Bauten verwendet werden kann“.
Geologische Entstehung
Der Raum Crailsheim lag zur Bildungszeit dieser Schillkalksteine ungefähr 50 km nordwestlich der Küste des Muschelkalkmeeres auf einer der Vindelizisch-Böhmischen Insel vorgelagerten, SW–NO-streichenden Flachwasserbarre (Karbonatrampe sensu Aigner, 1985) von einigen hundert Quadratkilometern Ausdehnung. Hier wurden im turbulenten Milieu bei wenigen Metern Wassertiefe Bruchschillkalksteine und z. T. auch oolithische Kalksteine abgelagert. Nach Norden und Westen folgte der Übergang in tieferes Wasser, wo unter dem Einfluss von kleinzyklischen Meeresspiegelschwankungen Wechselfolgen von Schillkalksteinen und Tonmergelsteinen abgelagert wurden.
Gesteinsbeschreibung
Der Crailsheimer Muschelkalk ist ein mariner Trochiten- und Schalentrümmerkalkstein. Die Varietät Crailsheimer Muschelkalk kalzitgelb ist gelbgrau bis bräunlich, die Varietät Crailsheimer Muschelkalk jagstblau ist von blaugrauer Farbe. Die Schalenbruchstücke stammen von Muscheln, Brachiopoden und Schnecken. Das Verhältnis von Trochiten und Schalentrümmern wechselt sowohl vertikal als auch lateral. Neben den vorherrschenden biogenen Komponenten (ca. 98 %) kommen akzessorisch Kalkschlammgerölle, Ooide und Peloide vor (Lukas, 1990b). Stellenweise treten auch vorwiegend oolithische Abschnitte auf (Carlé, 1980). Die Komponenten sind dicht gepackt und häufig über Punktkontakte verbunden; das Gefüge ist daher vorwiegend komponentengestützt. Der Porenraum zwischen den Komponenten ist mit feinkörnigem Kalkschlamm verfüllt. Nur untergeordnet treten Bereiche auf, in denen der Kalkschlamm vorherrscht und die Komponenten in dieser Grundmasse schwimmen; man spricht von einem matrixgestützten Gefüge. Die Porengröße beträgt im Mittel 0,5 mm. Der Porenraum ist ungleichmäßig verteilt, überwiegend handelt es sich um Zwickel-, Hohlform- und Partikellösungsporen (Lukas, 1990b).
Gesteinstechnische Daten
Tabelle: Die Angaben für die gesteinstechnischen Werte der Varietäten „Crailsheimer Muschelkalk jagstblau“ und „Crailsheimer Muschelkalk jagstgelb“ stammen aus Prüfzeugnissen aus den Jahren 2006–2008 der Fa. Schön + Hippelein. Weitere Werte finden sich bei Frank (1944) und Lukas (1990b):
Gesteinstechnische Werte |
Crailsheimer Muschelkalk jagstblau |
Crailsheimer Muschelkalk jagstgelb |
2,33–2,47 g/cm3, Mittelwert 2,40 g/cm3 |
2,17–2,24 g/cm3, Mittelwert 2,21 g/cm3 |
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2,64–2,68 g/cm3, Mittelwert 2,65 g/cm3 |
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Gesamtporosität |
3,51–11,01 Vol.‑%, Mittelwert 6,54 Vol.‑% |
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Wasseraufnahme unter Atmosphärendruck |
2,18–2,80 M.‑%, Mittelwert 2,42 M.‑% |
3,33–3,98 M.‑%, Mittelwert 3,56 M.‑% |
Masseverlust durch Frosteinwirkung |
0,02–0,04 M.‑%, Mittelwert 0,04 M.‑% |
0,00–0,07 M.‑%, Mittelwert 0,04 M.‑% |
71,7–82,3 MPa, Mittelwert 79,2 MPa |
24,8–29,5 MPa, Mittelwert 26,2 MPa |
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10,2–12,0 MPa, Mittelwert 11,3 MPa |
6,4–7,2 MPa, Mittelwert 6,8 MPa |
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Biegefestigkeit nach Frosteinwirkung |
5,6–7,6 MPa, Mittelwert 6,7 MPa |
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Die Witterungsbeständigkeit des Crailsheimer Muschelkalks ist im Allgemeinen gut. Die Gesteinsoberfläche wird jedoch bei langer Exposition angelöst, wodurch es zum Verlust der Politur, zur Ausbleichung und zum Mikrokarst kommt; die Trochiten und Schalentrümmer werden dabei herauspräpariert. Die Kalksteine sind weitgehend frostbeständig.
Gewinnung und Verarbeitung
Im Steinbruch Kernmühle werden in der Werksteinzone nach interner Gliederung der Fa. Schön + Hippelein von oben nach unten die Formationen I-VI unterschieden. Für die Werksteingewinnung werden die Bänke I, II und IIIa und die ebenfalls dickbankige Formation VI genutzt. Die Formationen I, II und IIIa werden als oberes Lager und die Formation VI als unteres Lager bezeichnet. Auch aus der Formation IV wurden zeitweise Werksteine gewonnen (z. B. Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung). Die weniger mächtigen und z. T. engständiger geklüfteten Formationen I und V wären für die Herstellung von kleineren Platten, z. B. für den GaLa-Bau, sowie von Mauer-, Pflaster- und Randsteinen geeignet. Sie werden aber wegen des rasch voranschreitenden Gesteinsabbaus für die Natursteinproduktion und wegen der vorrangigen Gewinnung von Rohblöcken von 2–3 m3 aus den beiden dickbankigen Lagern für die Verarbeitung im Natursteinwerk Satteldorf vollständig der Herstellung der gebrochenen Körnungen zugeführt.
Die Gewinnung der großen Werksteinblöcke erfolgte bis zum Jahr 2009 ausschließlich im Ostteil des Steinbruchs aus den zwei sehr schwach geklüfteten Formationen II und VI in den Oberen und Unteren Encrinusbänken (Bock & Werner, 2005; Bock & Hagdorn, 2009). Das obere, dort ca. 1,3 m mächtige Lager liegt unterhalb der Trochitenbank 6. Das Gestein ist durch Eisenoxidhydrat teilweise schwach gelblich gefärbt (Varietät „Crailsheimer Muschelkalk kalzitgelb“). Das untere, dort ca. 1,5 m mächtige Lager, die Trochitenbank 2, folgt unter den Encrinusplatten am Top der Unteren Encrinusbänke. Im Gegensatz zum oberen Lager ist das Gestein von grauer bis blaugrauer Farbe (Varietät „Crailsheimer Muschelkalk jagstblau“).
Im Zuge der im Westteil des Steinbruchs rasch voranschreitenden Gesteinsgewinnung für die Produktion gebrochener Körnungen und der damit verbundenen Vertiefung des Abbaus hat sich die Werksteingewinnung dorthin verlagert. Seit 2010 wird das ca. 2,8 m mächtige obere Lager abgebaut, das aus den Formationen I, II und IIIa besteht. Die beiden Formationen liegen hier ohne die im Ostteil des Steinbruchs zwischengeschaltete dünne Tonsteinlage direkt aufeinander. Die Grenzfläche ist jedoch deutlich erkennbar und teilweise als Ablösefläche entwickelt. Der Abbau der Blöcke orientiert sich am Kluftnetz. Er geht durch randliches, perforierendes Bohren und nachfolgendes sanftes Ablösen durch Sprengen mit Sprengschnur und z. T. Schwarzpulver vonstatten. Die Blöcke werden im Natursteinwerk der Fa. Schön + Hippelein in Satteldorf weiterverarbeitet.
Die im Steinbruch aufgeschlossene, ca. 1,5 m mächtige Spiriferina-Bank am Top der Trochitenkalk-Formation wurde bis etwa zur Mitte des vorigen Jahrhunderts ebenfalls zur Werksteingewinnung abgebaut, sie wurde als Bildhauerfelsen bezeichnet (Frank, 1944; dort auch gesteinstechnische Werte). Die z. T. dicht gepackten Komponenten bestehen aus Bruchschill, Trochiten, Ooiden und Peloiden (Carlé, 1980; Hagdorn, 2005). Da die Spiriferina-Bank innerhalb der für die Schotter- und Splittproduktion genutzten Schichtenfolge liegt, unterliegt sie dem raschen Abbaufortschritt und wird nicht mehr für die Werksteingewinnung genutzt.
Verwendungsbeispiele
Der „Crailsheimer Muschelkalk“ ist das traditionsreichste Gestein des 1903 gegründeten Natursteinwerks der Fa. Schön + Hippelein. Die Referenzliste für dieses Gestein ist umfangreich. Beispielhaft seien folgende Objekte genannt:
- Stuttgarter Hauptbahnhof (1914–1928)
- Glockenturm Olympia-Stadion Berlin (1934–1936)
- Rheinbrücke in Köln-Rodenkirchen (1936–1938, 1990–1994)
- Wirtschaftsministerium Stuttgart (1991)
- Congress Centrum Ulm (1992)
- Staatskanzlei/Hofgarten in München (1992)
- Zeppelin-Museum, Friedrichshafen (1995)
- Bundesministerium für Finanzen, Berlin (1997–2000)
- Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Berlin (1999)
- Museum Würth, Schwäbisch Hall (1999–2000)
- Neubau der Volksbank im Kocherquartier in Schwäbisch Hall (2009–2010)
- Neubau des Kronprinzenbaus in Stuttgart (2006/7)
- Deutsche Botschaft, Tokyo (2004)
Weiterführende Links zum Thema
Literatur
- (1985). Storm depositional systems. Dynamic stratigraphy in modern and ancient shallowmarine sequences. – Lecture Notes in Earth System Sciences, 3, S. I–VII + 1–174. [83 Abb.]
- (1999). Dynamische Stratigraphie des Oberen Muschelkalks am Beispiel Süddeutschlands. – Hauschke, N. & Wilde, V. (Hrsg.). Trias – Eine ganz andere Welt – Mitteleuropa im frühen Erdmittelalter, S. 115–128, München (Pfeil). [12 Abb.]
- (2009). Naturwerksteine in Württembergisch Franken: Crailsheimer Muschelkalk – Krensheimer Quaderkalk – Roter Mainsandstein (Exkursion 2 am 29.10.2009). – Grassegger, G., Werner, W. & Wölbert, O. (Hrsg.). Die Naturwerksteinvorkommen Baden-Württembergs und ihr Einsatz für Denkmalpflege, Technik und Architektur – Tagungsband ARKUS-Tagung 2009, S. 93–110, Stuttgart (Fraunhofer). [9 Abb.]
- (2005). Oberflächennahe mineralische Rohstoffe im oberen Jagsttal zwischen Crailsheim und Ellwangen (Württembergisch Franken) (Exkursion I am 1. April 2005). – Jahresberichte und Mitteilungen des Oberrheinischen Geologischen Vereins, N. F. 87, S. 255–285. [12 Abb.]
- (1980). Erläuterungen zu Blatt 6826 Crailsheim. – Erl. Geol. Kt. Baden-Württ. 1 : 25 000, 138 S., 1 Taf., 3 Beil., Stuttgart (Geologisches Landesamt Baden-Württemberg). [Nachdruck 1991]
- (1944). Die natürlichen Bausteine und Gesteinsbaustoffe Württembergs. 340 S., Stuttgart (Schweizerbart). [17 Abb.]
- (2011). Geologie von Baden-Württemberg. 5. völlig neu bearb. Aufl., 627 S., Stuttgart (Schweizerbart).
- (2005). Der Obere Muschelkalk im Hohenloher Land (Exkursion F am 1. April 2005). – Jahresberichte und Mitteilungen des Oberrheinischen Geologischen Vereins, N. F. 87, S. 177–197. [10 Abb.]
- (2005a). Blatt L 6926 Crailsheim, mit Erläuterungen. – Karte der mineralischen Rohstoffe von Baden-Württemberg 1 : 50 000, 132 S., 20 Abb., 5 Tab., 1 Kt., 1 CD-ROM, Freiburg i. Br. (Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau). [Bearbeiter: Bock, H.]
- (1990b). Geologie und Naturwerksteine Baden-Württembergs. – Grimm, W.-D. (Hrsg.). Bildatlas wichtiger Denkmalgesteine der Bundesrepublik Deutschland, S. 147–162, 2 Taf., München (Arbeitsheft Bayr. Landesamt Denkmalpflege, 50). [2 Abb.]