Übersicht, Bezeichnung und Verbreitung
In Baden-Württemberg treten erdgeschichtlich junge Travertine und travertinartige Karbonatgesteine in verschiedenen Gebieten auf. Der Cannstatter Travertin, bisweilen auch als „Deutscher Travertin“ (Mehling, 1986) bezeichnet, ist der bekannteste unter ihnen. Ähnliche Travertine pleistozänen und holozänen Alters werden seit über 100 Jahren auch in Thüringen abgebaut. Am bedeutendsten sind die Travertinbrüche bei Weimar-Ehringsdorf, die zugleich zu den wichtigsten Fundstellen der pleistozänen Fauna und Flora zählen (Kahlke, 1974, 1975; Kamradt, 2009). In Abbau stehen auch noch die hellgrauen bis gelblichbraunen Travertine von Bad Langensalza, die in den Brüchen „Milchgasse“ und „Parkbruch“ gewonnen werden. Die Brüche in Mühlhausen wurden hingegen schon um 1960 geschlossen (Mitt. U. Klösser, April 2012).Es handelt sich beim Cannstatter Travertin um einen harten, meist gelblich braunen, wechselnd kavernösen bis dichten, nicht-marinen Kalkstein quartären Alters, der an den Oberflächenaustritten von Kohlensäuerlingen entstanden ist; er wird daher auch als „Sauerwasserkalk“ bezeichnet. Die verschiedenen, während des Pleistozäns und Holozäns gebildeten Sauerwasserkalke in und um Stuttgart-Bad Cannstatt werden heute in der geologischen Literatur unter dem stratigraphisch-faziellen Begriff „Stuttgart-Travertin“ zusammengefasst. Darin enthalten sind auch solche Sinter- oder Sauerwasserkalke, die keine Werksteineignung besitzen, also keine Industrie-Travertine sind.
Daneben gibt es noch die Thermalsinter von Münsingen-Böttingen, den Riedöschinger Travertin sowie die Süßwasserkalksteine der Schwäbischen Alb aus der Umgebung von Zwiefalten und Riedlingen, die wegen ihres an echte Travertine erinnernden Erscheinungsbilds und ihrer guten Polierfähigkeit als Industrie-Travertine gehandelt werden. Die Entstehung der Travertinvorkommen von Cannstatt, Böttingen und Riedöschingen dürfte mit dem tertiärzeitlichen Vulkanismus auf der Schwäbischen Alb („Schwäbischer Vulkan“) in Verbindung stehen. Der Cannstatter Travertin ist über die Grenzen Deutschlands hinaus geschätzt. Seine Eignung als witterungsbeständiger und architektonisch attraktiver Werkstein wurde erst um 1890 erkannt, als für die Bearbeitung des harten, in großen Quadern brechenden Sinterkalksteins erstmals ausreichend leistungsfähige Gesteinssägen und Schleifmaschinen zur Verfügung standen und somit die großen Rohblöcke in Platten gesägt und anschließend geschliffen und poliert werden konnten; erst die Politur brachte die verschiedenartigen Strukturen und Farben zur Geltung.
Zuvor wurden aus ihm überwiegend Mauer- und Randsteine gefertigt. Die größte Travertinlagerstätte befindet sich westlich des Neckars bei Stuttgart-Bad Cannstatt und Stuttgart-Münster; das verbliebene Abbaugebiet liegt auf Gemarkung Bad Cannstatt, Restvorräte reichen noch bis in das angrenzende Stuttgart-Münster. Diese Sauerwasserkalke bilden beiderseits des Neckars bei Cannstatt mehrere Meter bis Zehnermeter mächtige Ablagerungen, die aus Travertinen, Kalktuffen, Kalksanden und Seekalken bestehen. Über die einzelnen Vorkommen, anhand oft kurzzeitiger Aufschlüsse untersucht und eingegrenzt, berichtet der nachfolgende Exkurs: Sauerwasserkalke oder Travertine von Stuttgart.
Die in Steinbrüchen und Bohrungen nachgewiesenen Mächtigkeiten von travertinführenden Sauerwasserkalken schwanken erheblich, wie das Blockbild für die Travertinlagerstätte von Bad Cannstatt verdeutlicht. Frank (1950) ermittelte um 1950 im Stbr. Haas 13–15 m, im Stbr. Schauffele 6–11 m und im Stbr. Lauster 10–15 m. Die zeitweise im Steinbruch Lauster aufgeschlossene Maximalmächtigkeit betrug 25 m, wovon etwa 18 m zu Werksteinzwecken verwendbar waren. Unmittelbar benachbarte Bohrungen trafen aber oft nur einige Meter Travertin an. Im Stbr. Biedermann in Untertürkheim waren etwa 7 m laminar geschichteter Travertin aufgeschlossen, wovon etwa 5–6 m nutzbar waren.
Der Begriff Travertin geht zurück auf das bereits zu römischer Zeit florierende Abbaugebiet bei Tivoli nahe Rom, früher Tibur. Von lapis tiburtinus leitet sich der Begriff „Travertin“ ab. Im Sprachgebrauch der Naturwerksteinindustrie werden, wie erwähnt, ganz allgemein alle polierfähigen, grobporigen bzw. kavernösen, meist jungen, terrestrischen Karbonatgesteine als Travertine bezeichnet, die dem Travertin von Tivoli, heute als „römischer Travertin“ im Handel, ähnlich sind.
Geologisches Alter, Entstehung
Grundsätzlich geht die Bildung von lockeren oder festen, aus Süß- oder Mineralwässern an der Oberfläche ausgeschiedenen Kalken auf folgenden Prozess zurück: Niederschlagswasser nimmt beim Durchsickern des Bodens hauptsächlich biogenes Kohlenstoffdioxid (CO2) auf. Dieses CO2-haltige Wasser löst im Untergrund Karbonatgestein. Am Ort des Quellaustritts wird jedoch CO2 durch biologische Vorgänge wieder entzogen oder entweicht infolge physikalischer Zustandsänderungen. Dabei wird aus dem abströmenden Wasser Kalk ausgeschieden. In den Stuttgarter Mineral- und Sauerwasserquellen ist das CO2 jedoch wesentlich höher konzentriert als in normalem Grundwasser.
Das mit Kohlenstoffdioxid angereicherte Grundwasser löst Calcium- und Calcium-Magnesium-Karbonate aus dem durchströmten Gestein. Bei diesem Lösungsprozess entstehen kleine und größere Hohlräume im Kalkgebirge (Verkarstung). Gelangt nun calciumbikarbonatreiches Wasser wieder an die Oberfläche, erniedrigt sich die CO2-Konzentration, weil sich das Wasser erwärmt, der Druck durch Ausströmen von leichtflüchtigem CO2 erniedrigt wird und vom Wasser überströmte pflanzliche Organismen bei der Photosynthese zusätzlich gelöstes CO2 verbrauchen. Dabei wird Calciumkarbonat ausgefällt, das sich bevorzugt an Moosen, Algen, Mikrobenmatten und Cyanobakterienlagen niederschlägt. Bei diesem Vorgang entstehen je nach Temperatur und Fließgeschwindigkeit der Wässer lockere Quelltuffe bzw. ‑sande und feste Kalksinter. Nach Koban (1993) gehen Kalktuffe, Seekalke und anorganisch gefällte Kalksinter vor allem auf Unterschiede im Geländerelief, in den Fließgeschwindigkeiten und der Beteiligung von Organismen zurück. Die festen Travertine von Cannstatt entstanden in flachen, pfannenartigen Tümpeln an zum Neckar hin entwässernden Hängen.
Im geologischen Sinne sind echte Travertine nichtmarine Kalksteine, welche infolge von vulkanischen Aktivitäten an heißen Quellen oder Kohlensäuerlingen an oder nahe der Oberfläche, meist in Tümpeln und Hangkaskaden durch weitgehend anorganische Kalkfällung entstehen (Pentecost, 2005). Besonders schöne Beispiele für rezente Travertinbildungen liefern die berühmten Sinterterrassen von Pamukkale in der Westtürkei und von Mammoth Hot Springs im Yellowstone Nationalpark. Sinterbecken, welche bei den genannten rezenten Beispielen an der Oberfläche entstehen, blieben aufgrund quartärzeitlicher Erosionsvorgänge in Stuttgart nicht erhalten, sondern nurmehr die darunter folgenden Sinterbänke (s. Blockbild).
Insgesamt 12 Vorkommen von Sauerwasserkalken sind zwischen der Stuttgarter Innenstadt, Untertürkheim und Münster nachgewiesen worden. Vor allem während der umfangreichen Baumaßnahmen nach dem Zweiten Weltkrieg wurden viele kurzzeitige Aufschlüsse geschaffen, die ein modellhaftes Bild von der Verbreitung und Zeitstellung der verschiedenen Sauerwasserkalke erlauben. Die Vorkommen von Stuttgart-Bad Cannstatt und -Münster lassen sich modellhaft zu fünf größeren Verbreitungsgebieten zusammenfassen (s. Karte der Verbreitung). Die ausgedehntesten werden dem Mindel-Riß-Interglazial zugeordnet. Zu ihnen gehört die wirtschaftlich wichtigste Travertinlagerstätte nordwestlich des Neckars. In diesen Ablagerungen wurden die Steinbrüche der Firmen Lauster, Haas und Schauffele angelegt. Auch die im Parkgelände am Kursaal aufgeschlossenen Bänke von Travertin gehören in diese Zeit. In ihrer Nähe entstanden auch im Riß-Würm-Interglazial Sauerwasserkalke, im Bereich Wilhelma und östlich des Neckars auch im Holozän.
Die Untersuchungen zur Zeitstellung der Travertine von Bad Cannstatt und Untertürkheim, wonach diese in die Mindel-Riß- und Riß-Würm-Interglaziale und in das Holozän gehören, sind bei Carlé et al. (1969), Reiff (in: Brunner, 1998), Frank (1950, 1960) und Geyh et al. (1999) näher beschrieben. Frank et al. (2000) untersuchten ein Profil im Travertin von Bad Cannstatt an der Deckerstraße und eines im alten Stbr. Biedermann in Untertürkheim mittels Uran/Thorium-Altersdatierung. Die Analysen erbrachten, dass die zwischen der riß- und der würmzeitlichen Vereisung gelegene Travertinbildung im Zeitraum zwischen 99 800 bis 125 000 Jahren stattfand (Geyh et al., 1999).
Die Bildungsgeschwindigkeit des Travertins lag während dieser warmzeitlichen Wachstumsphasen meist zwischen 1 und 5 mm pro Jahr (Reiff, 1955). Die Travertinbildung ist auf die Warmzeiten des Quartärs beschränkt, weil in den Kaltphasen durch geringe Niederschläge und Permafrostböden die Grundwasserneubildung gering war. Wegen des Fehlens von Aragonit ging Reyer (1927) bereits davon aus, dass es sich um kalte Sauerwasserquellen handelte, die den Sinterkalk ausschieden.
Die Travertinlager sind nicht in einem größeren See, sondern auf den verschiedenen, sich mit der Flussentwicklung verändernden Terrassen des Neckars in einem Bereich entstanden, in dem das Flusstal besonders breit war, dem sog. Cannstatter Becken (Reiff, 1986). In Folge von syn- und postsedimentärer Verkarstung in den unterlagernden Schichten des Gipskeupers und des Muschelkalks sind die sonst söhlig gelagerten Travertinlager bisweilen gekippt, verkarstet und verlehmt.
In den Sauerwasserkalken wurden neben Baumstämmen und Blattabdrücken von Eichen, Eschen, Pappeln, Ahorn, Weiden usw. auch Fossilien von Säugetieren und Vögeln nachgewiesen, was belegt, dass die Quellaustritte während der Warmzeiten von vielen Tieren aufgesucht wurden. So wurden z. B. Knochen und Stoßzähne von Waldelefanten, Hirschen, Wildpferden, Löwen, Hasen, Mäusen, Wildgänsen und Singvögeln freigelegt. Nach den Funden lässt sich eine Wald- und eine Steppenzeit unterscheiden. Die klimatischen Bedingungen der Waldzeiten entsprachen etwa denen des heutigen Mittelmeerraums (Adam et al., 1987).
In den Steinbrüchen Haas und Lauster wurden Artefakte des Homo erectus und im Stbr. Biedermann solche des Neandertalers ausgegraben. Feuersteine und kantige Bruchstücke von Muschelkalk, die eingebettet in Travertin im Stbr. Lauster gefunden wurden, werden als solche menschlichen Hinterlassenschaften gedeutet (Reiff, 1986).
Exkurs: Sauerwasserkalke oder Travertine von Stuttgart
„Sauerwasserkalk“ ist eine seit 1845 gebräuchliche, lokale Bezeichnung für die Kalkabsätze der Stuttgarter Mineralwässer, von Kohlensäuerlingen verschiedener Konzentrationen (von Seyffer, 1845). Die Austritte der Säuerlinge, in deren Umgebung sich manchmal auch Faulschlamm ansammelte, nannte man Sulzen, weil das austretende Wasser leicht salzig schmeckte. In den Warmzeiten, in einigen Zwischeneiszeiten und in der Nacheiszeit wurden Kalke verschiedener Ausbildung abgelagert. Die Vorkommen erstrecken sich vom Westen Stuttgarts über die Innenstadt, das Hauptbahnhofsgelände und die Unteren Anlagen sowie beidseits des Neckars. Sie sind begrenzt durch die Filder-Randverwerfung bei Münster und nahe dem Katzensteigle in Bad Cannstatt. Etwas abseits liegen die Sauerwasserkalke von Untertürkheim (s. Karten).
Die Travertine, wie die Sauerwasserkalke auch genannt werden, belegen frühere Austritte von Mineralwasser an Stellen, wo dieses heute meist nur noch durch Bohrungen erschlossen werden könnte. Die Römer, die auf der linken Neckarseite ein Kastell und eine Zivilsiedlung errichteten, verwendeten Travertin für ihre Bauwerke nur wenig, da die Gewinnung von gutem Werkstein infolge der meist mächtigen Überdeckung mit Löss, Lösslehm und Hangschutt aufwendig war und Prunkbauten nicht geplant waren. Dasselbe gilt für das Mittelalter und die frühe Neuzeit, als Schilfsandstein der wichtigste Stuttgarter Baustein war.
Aus dem Stuttgarter Talkessel sind zumindest holozäne und letztinterglaziale Travertine, deren Alter durch Fossilien belegt ist, bekannt. Es handelt sich um kleinere isolierte Vorkommen. Mächtigere und feste Travertine fehlen dort weitgehend. Meist findet man nur Sauerwassermergel und Tuffsand. Am Übergang vom Nesenbachtal ins Neckartal hatte sich eine Kalktuffschwelle aufgebaut, hinter der im flachen Wasser Kalktuff abgelagert wurde, eine Situation, wie wir sie aus verschiedenen Albtälern, etwa entlang der Erms, kennen und wie sie besonders lehrreich an den Plitvicer Seen in Kroatien im Entstehen zu beobachten ist. Die Ablagerungen in der Talaue von Cannstatt beidseits des Neckars einschließlich dem Wilhelmagelände sind durchweg holozän. Im Bereich der Wilhelma wurden Artefakte der altneolithischen La-Hoquette-Kultur gefunden.
Auf der rechten Neckarseite liegt in Untertürkheim ein größeres Travertinvorkommen mit sehr guter Steinqualität vor. Es ist im früheren Steinbruch Biedermann gut aufgeschlossen und deshalb auch eingehend untersucht. Die überaus reiche Überlieferung der damaligen Pflanzen- und Tierwelt sowie von Artefakten des Neandertalers (Adam & Berckhemer, 1983) erlaubte schon früh die Einordnung in das Riß-Würm- oder Eem-Interglazial, was durch radiometrische Altersbestimmungen (100 000–130 000 Jahre) bestätigt wurde. Einige Travertinstücke im unterlagernden Kiesfels belegen ein Vorkommen von noch älterem Sauerwasserkalk, wahrscheinlich aus der Holstein-Warmzeit, das aber nicht aufgeschlossen ist. Jungpleistozäne Sauerwasserkalke treten auch in Cannstatt mit dem Anstieg des Geländes aus der Talaue auf, sei es am Seelberg, im Gebiet zwischen Bahnhof und Waiblinger Straße, früher Chaussee, bis hin zum Sulzerrain, dem Gebiet des heutigen Kurparks. Am Seelberg wurden sie auch kurzzeitig abgebaut. Von diesen Vorkommen getrennt lag der städtische Steinbruch am Katzensteigle oberhalb der Hofener Straße und nordöstlich der heutigen Gnesener Straße. Hier wurde im frühen 20. Jahrhundert bereits in großem Stil abgebaut.
Im Kurpark und in entsprechender Höhenlage südlich und nördlich außerhalb desselben, sind Travertine aus dem Mindel/Riß- oder Holstein-Interglazial vorhanden. Am Rand vom Sulzerrain und beim Katzensteigle waren schon 1816 in der Duttenhoferschen Karte (Bräuhäuser, 1909a) Tuffsteinbrüche festgehalten. In einer Karte zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind mehrere Brüche beim Katzensteigle, je nördlich und südlich der Schmidener Straße, eingezeichnet. Sie sind aufgelassen und nicht mehr zugänglich bzw. verfüllt. Von den alten Brüchen am Sulzerrain, die z. T. schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts bestanden, sind zahlreiche Abdrücke von Pflanzen, z. B. auch von Buxus sempervirens, überliefert, was nur möglich war, weil der Travertin ohne größere Maschinen von Hand abgebaut und zugerichtet wurde.
In diesen Sauerwasserkalkvorkommen stieß man bei Bauarbeiten an verschiedenen Stellen auf alte Stollen, die seit Beginn des 19. Jahrhunderts zur Ockergewinnung angelegt wurden. Der Ocker wurde von einer kleinen Farbenfabrik in Stuttgart-Hofen geschlemmt und gemahlen und weithin verkauft. Unter dem Kurpark soll sich ein ganzes System solcher Ockerstollen befinden (Reiff, 1991).
Links des Neckars ist nur ein Travertinvorkommen bekannt, das nach seiner Höhenlage einigermaßen sicher ins Riß-Würm-Interglazial gestellt werden kann. Es bildet den Fuß des Bergsporns, der in Münster gegen den Neckar vorspringt und die Talaue dort abschließt.
Auf der linken Talseite von Cannstatt ist beim Rosenstein, früher Kahlenberg, ein Prallhang des Neckars entwickelt, der sich bis Münster hinzieht. Er ist am Rosenstein und oberhalb der Wilhelma aus Neckarschottern, die stellenweise zu Nagelfluh verbacken sind, gebildet. Flussabwärts der Wilhelma besteht der Hang aus Travertin über Neckarschottern und wird als „Halden“ bezeichnet. Das über den Halden anstehende Gebiet wird „Altenburg“, nach den Resten des römischen Kastells, und „Auf der Steig“ genannt. Der Travertin an den Halden wurde an mehreren Stellen abgebaut. Ein größerer Bruch erstreckte sich westlich der Brückenstraße in Richtung Steigfriedhof, doch wurde auch an verschiedenen anderen Stellen Sauerwasserkalk ergraben, abgebaut und die meist kleinen Brüche dann wieder aufgefüllt.
Bei den großen Brüchen von Lauster und dem von Haas auf der Gemarkung Münster, wurde der Abbau des Travertins schon Ende des 19. Jahrhunderts ebenfalls vom Hang her vorgetrieben. Beim neuen Steinbruch Haas (Gemarkung Cannstatt), jetzt Travertinpark, und dem Bruch Schauffele (verfüllt) hat man den Abbau von der mit Löss bedeckten Oberfläche der Terrasse aufgefahren. Weitere, meist kleinere „Tuffsteinbrüche“ lagen bei der Ziegelei Höfer „Auf der Steig“ am Rand der mit Löss bedeckten Terrasse auf den Gemarkungen Cannstatt und Münster. Die Travertine der Halden und der unmittelbar dahinterliegenden Travertin-Terrasse sind in der Holstein-Warmzeit entstanden. Dafür sprechen u. a. Funde von Buxus sempervirens, Pterocaria caucasica, Emis orbicularis, Dama dama und von Artefakten des Homo erectus. Oberhalb der Terrasse stehen noch ältere Travertine an, die wohl in der Cromer-Warmzeit gebildet wurden.
Die Abscheidung von Sauerwasserkalk in den Brüchen Lauster, Haas und Schauffele war mehrfach durch lokale Senkungen infolge von Gips- oder Kalklösung im Untergrund unterbrochen. Die Senken sind mit eingeschwemmtem Lehm plombiert. Die Lehmhorizonte im Travertin dieses Gebiets sind somit nicht ohne weiteres klimatisch zu deuten.
Gesteinsbeschreibung und technische Eigenschaften
Die Beschaffenheit der Sauerwasserkalke von Stuttgart ist recht vielfältig. Neben lagigem, festem Travertin, der zur Werksteingewinnung verwendbar ist, treten auch poröse Kalktuffe, lose Tuffsande, Ocker sowie Mergel auf (Reiff, 1955, 1965, 1986, 1991). Der bei Cannstatt in Abbau stehende Travertin ist ein meist gebänderter, teils dichter, teils porös-drusiger oder trauben- bis nierenförmig kristallisierter Kalkstein. Die Variationen in der Gesteinsfärbung reichen von fast weiß, hellgrau und hellgelblich zu kräftig gelb, gelbbraun oder rostbraun. Die oft rasch wechselnden Variationen beruhen auf unterschiedlichen Anteilen von Brauneisen im Kalkstein.
Reyer (1927) hat den Travertin eingehend mikroskopisch untersucht und festgestellt, dass die mikrokristallinen, richtungslos liegenden Kalkspatkörner innig miteinander verwachsen sind. Quarz und andere Minerale konnte er im festen Travertin auch in Spuren nicht feststellen. Aufgrund der engen Kornverzahnung der Kalkspatkristalle ist das Gestein polierfähig und weist hohe Verwitterungsbeständigkeit auf. Im Bereich des Steinbruchs Stuttgart-Bad Cannstatt (RG 7121‑6) erreichen die Sauerwasserkalkablagerungen Mächtigkeiten bis ca. 25 m. Gewinnbar sind für hochwertige Einsatzbereiche etwa 18 m. Zwischen 30 und 80 cm mächtige Lehmhorizonte und markante Wechsel in der Beschaffenheit der Sauerwasserkalke erlauben eine Unterscheidung von sechs Travertinlagern. Das oberste Travertinlager wird von 3 bis 4,5 m mächtigem Löss überdeckt. Wie Kernbohrungen der Fa. Lauster Steinbau zeigten, keilen die Travertinlager aber oftmals auf kurzer Distanz aus und werden von mächtigen tonig-lehmigen Zwischenschichten und Dolinenfüllungen vertreten. In einigen Bereichen sind die Travertinlager nur wenige Meter mächtig.
Technische Eigenschaften: Der Cannstatter Travertin steht in mehrere Meter mächtigen Bänken an, in einzelnen Abschnitten und im Randbereich der Vorkommen treten auch dickplattige bis dünnbankige Kalksteine auf. Ansonsten ermöglicht das Vorkommen die Gewinnung sehr großer Blöcke, weshalb in den 1930er Jahren Schwerlastkrane gebaut wurden, um die Rohblöcke weiterverarbeiten zu können. Viele große Rohblöcke hatten Volumina um 40–50 m3. Reyer (1927) berichtet, dass sogar Rohblockmassen bis 1000 m3 auftraten.
Als physikalisch-technische Werte können nach Reyer (1927) (R), Frank (1944, 1949) (F), Lukas (1990b) und anhand von Prüfzeugnissen der Fa. Lauster (L) von 1979, 1983 und 2007 angegeben werden:
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Physikalisch-technische Werte des Cannstatter Travertins |
2,30–2,52 g/cm3, Mittelwert 2,35 g/cm3 |
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Offene Porosität |
7,9–14,1 Vol.‑%, Mittelwert 11,6 Vol.‑% (7 Messungen) |
1,6–2,3 M.‑%, Mittelwert 2,1 M.‑% |
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Druckfestigkeit senkrecht zum Lager |
720–827 kg/cm2, entspricht 70,6–81,1 MPa (R, F) |
Druckfestigkeit parallel zum Lager |
656–807 kg/cm2, entspricht 64,3–79,2 MPa (R, F); 48,5–72,0 MPa, Mittelwert 64,0 MPa (L, 2007), 81–171 MPa, Mittelwerte 144–161 MPa (Travertin Typ Kupferbank, 1979, 10 Messungen) |
Frank (1949) ermittelte die Variationen der Druckfestigkeit. Er untersuchte die porösen und die dichten Lagen des Cannstatter Travertins in lufttrockenem und wassergesättigtem Zustand: Die porösen Lagen (mit Rohdichten 2,36–2,45 g/cm2) zeigten trocken 56–74 MPa, wassergesättigt 54–76,5 MPa; die dichteren Lagen mit einem spez. Gewicht von 2,43–2,52 g/cm3 wiesen trocken 98–129 MPa und wassergesättigt 102–145 MPa Druckfestigkeit auf. Die Wasseraufnahme in den porösen Lagen betrug 1,8 M.‑%, in den festen sogar nur 1,3 M.‑%. Biegefestigkeit: 9,0–13,3 MPa (Kupferbank-Travertin); Ausbruchslast am Ankerdornloch (Mittelwert): 1925 N (10 Messungen); Frostbeständigkeit: Nach 25 Frost-Tau-Wechseln keine Veränderungen feststellbar; Frost-Tausalz-Widerstandsfähigkeit: Nach 25 Frost-Tausalz-Wechseln keine Veränderungen feststellbar
Die hohe Witterungsbeständigkeit des Cannstatter Travertins wird darauf zurückgeführt, dass dieser völlig aus Kalzitkristallen mit guter Kornverzahnung besteht und er überwiegend große, vernetzte Poren und Kavernen aufweist (Frank, 1944). In den großen Poren ist die Bildung von Eiskristallen möglich, ohne dass es zur Entstehung von Rissen und Abplatzungen kommt. Der Calciumkarbonatgehalt der Travertine liegt meist zwischen 97 und 98 %, der Brauneisengehalt beträgt 0,8–1,3 % Fe2O3. Er enthält keine Eisensulfidbeimengungen und führt nur sehr geringe Mengen an Tonmineralen und Quarzkörnchen (Al2O3-Gehalt um 0,1 %, SiO2 0,3–0,9 %) (Frank, 1944; LGRB-Analytik, 2007).
Gewinnung und Verwendung
Die meisten ehemals für die Werksteingewinnung bedeutenden Travertinbrüche, genutzt von den Firmen Lauster, Haas und Schauffele, liegen nordwestlich des Neckars (s. Karten).
Die industrielle Gewinnung und Verarbeitung des Cannstatter Travertins begann durch die Fa. Lauster gegen Ende des 19. Jahrhunderts (genaues Jahr nicht bekannt). 1902 erwarb die Fa. Lauster den Blattner´schen Steinbruch. Um 1920/22 wurde die maschinelle Gewinnung und Bearbeitung des Travertins von Fritz und Adolf Lauster eingeführt. Besonders hervorgehoben werden in der Arbeit von Erwin Reyer (1927) Bruch und Betrieb der Fa. Adolf Lauster & Co., die zur Gewinnung und Verarbeitung des zuvor nur für Mauer- und Randsteine verwendeten Travertins eine Reihe technischer Erfindungen machte und umsetzte (s. u.). Der Westteil des Bruchs in Bad Cannstatt wurde um 1960 in Angriff genommen. Im Jahr 1987 wurde das große Werk im Travertinbruch in Stuttgart-Bad Cannstatt stillgelegt, seit 2007 ruht auch der Abbau im Steinbruch Bad-Cannstatt (RG 7121-6).
Nach Auskunft von Albrecht Lauster hat die Fa. Lauster zu Beginn des 20. Jh. eine Reihe von Erfindungen gemacht, welche die Gewinnung der großen Travertinblöcke wesentlich erleichterte; hervorzuheben sind die Erfindung von Rundlochbohrungen, Spaltkeilen und hydraulischen Pressen. Ausführlich beschreibt Reyer (1927, S. 80) die Gewinnung der Travertinblöcke durch die Fa. Lauster: „Die großen Blöcke (bis 1000 cbm in einer Mächtigkeit bis 5 m) werden ohne Pulver nach eigenem Verfahren der Firma gewonnen. Mit Hilfe eines 20‑P.S.‑Motors wird Wasser unter hohem Druck (bis 500 Atm.) in einen Stahlgußzylinder eingetrieben, der in einen natürlichen Abgang eingebracht wird. … Die großen Blöcke werden an Hand genauer Aufnahmen, gegebenenfalls nach Anfertigung von Modellen, zerteilt. In der letzten Zeit hat die Firma einen eisernen Kran aufgestellt, der 50 t 35 m zu heben imstande ist. Die bearbeiteten Blöcke werden direkt in Eisenbahnspezialwagen mit Hilfe des Krans verladen. Die Zerteilung der Blöcke erfolgt durch Abschroten mittels Luftdruckkompressoren; in die dicht aneinander gereihten runden Löcher werden zwei halbrunde Eisen eingesetzt, zwischen denen ein sehr flacher Keil unter geringer Kraftaufwendung eingetrieben wird. Der Nachteil dieses Verfahrens, dass Blöcke durch schräges Springen für den vorgesehenen Zweck unbrauchbar werden können, veranlasst die Firma, jetzt Drahtseilsägen einzuführen.“
Zu Beginn des 20. Jh. hatte die Fa. Haas gemeinsam mit der Fa. Lauster den Alten Steinbruch Haas genutzt. Im Jahr 1916 erschloss Eugen Haas einen neuen Steinbruch südlich von dem der Fa. Schauffele. Haas betrieb diesen bis 1988. Die Stadt Stuttgart verpachtete das Gelände Anfang der 1990er Jahre an die Fa. Lauster. Letztmals wurde 2007 dort von der Fa. Lauster Travertin entnommen. Friedrich Schauffele eröffnete seinen Travertinbruch um 1922, der wenige Jahre darauf von seinen Söhnen Richard und Wilhelm übernommen wurde. Fritz Schauffele gründete 1970 hier die Marmor und Treppen GmbH, die es zum Marktführer für freitragende Treppen aus Naturwerkstein brachte (Infotafeln im Travertinpark). Der Abbau wurde im Stbr. Schauffele um 1960 eingestellt, die Firma aber erst 1997 aufgelöst. Der aufgefüllte Stbr. Schauffele ist heute überbaut. Die restaurierte Kranbahn nebst Gattersäge sowie ausführliche Informationstafeln, die Teil des 2010 eröffneten Travertinparks sind, erinnern an die frühere Gewinnung und Verarbeitung. Der Travertinbruch der Fa. Biedermann in Untertürkheim wurde bereits 1941 aufgelassen (Frank, 1950, 1960). Im sog. Stuttgarter Travertinpark, der den neuen Steinbruch Haas und den Stbr. Schauffele einbezieht, wird die Entstehung dieses für die Landeshauptstadt so charakteristischen Gesteins erläutert und an seine Nutzung erinnert.
Verarbeitung: Die Fa. Lauster hat nicht nur, wie zuvor berichtet, bei der Gewinnung wichtige Erfindungen gemacht, sondern auch in der Verarbeitung in ihrem Cannstatter Werk wegweisende technische Innovationen umgesetzt. Sie führte in den 1920er Jahren erstmals Großkreissägen, Großbandsägen, Bandschleifmaschinen und hydraulische Spaltmaschinen ein. Die Bearbeitung der großen Rohblöcke von Cannstatter Travertin beschreibt Reyer (1927, S. 80 f) ausführlich: „Durch Krane werden die zerteilten Blöcke den Maschinen zugeführt. Gattersägen zerteilen den Stein in beliebig starke Platten (bis herunter zu 20 mm). Die 60 Sägeblätter einer Gattersäge, die unter Zuführung von Quarzsand und Wasser arbeiten, schneiden in der Stunde 16–20 mm tief in den Stein ein. Bei Blockarbeiten kommt die Kreissäge in Anwendung, deren Sägeblätter, die mit Diamantsplitter oder mit Korund besetzt sind, beliebig weit von einander einstellbar sind. Für runde Arbeiten, wie Säulen usw., ist eine Drehbank vorhanden, auf der auch poliert wird. Auf der Hobelmaschine werden besonders Profile vorteilhaft hergestellt. Schleifarbeiten werden auf Schleifmaschinen hergestellt, die mit künstlichem Korund arbeiten.“ Händische Schleifarbeiten wurden mittels der heute noch besonders für Polierarbeiten gebräuchlichen Zinnasche (Zinnoxid) vorgenommen. Die beim Sägen angefallenen Reststücke wurden für Vorsatzmaterial oder Terrazzokörnungen zerkleinert. Im Werk Maulbronn wurde aus dem Cannstatter Travertin, ebenso wie aus Blöcken von römischem und türkischem Travertin, vor allem Boden- und Fassadenplatten hergestellt. Die Blöcke wurden zuerst in Gattersägen zerteilt, die Platten dann geschliffen, poliert und zugesägt. Daneben wurden auch Werksteine für Massivarbeiten (z. B. Grabsteine) und für Restaurierungszwecke ausgeliefert.
Verwendung: Der Cannstatter Travertin kann aufgrund seiner guten Kornbindung innerhalb der dicken Bänke sowohl senkrecht als auch parallel zur Schichtung gesägt werden, was zu unterschiedlichen Erscheinungsbildern führt. Bemerkenswert ist auch seine langfristige Witterungsbeständigkeit, weshalb er sogar für Randsteine und Gehwegplatten eingesetzt wurde. Frank (1944) nannte als wichtigste Produkte aus Travertinen von Cannstatt und Untertürkheim: Bausteine, Wandbekleidungen, Tischplatten, Kamine und Brunnen sowie Denkmale und Bildhauerarbeiten. Muster für die verschiedenartigen Gestaltungsmöglichkeiten von Böden, Wänden, Treppen und Fenstergesimsen werden im Verwaltungsgebäude der Fa. Lauster Steinbau, Stuttgart-Münster, präsentiert. Verwendungsbeispiele sind im Stuttgarter Stadtbild an vielen Stellen zu finden. Auch in Berlin wurden mehrere Geschäfts- und Privathäuser mit Fassadenplatten aus Cannstatter Travertin verkleidet. Generell steht heute die Produktion von geschliffenen, polierten und gestockten Fassaden- und Bodenplatten sowie Treppensteinen und Fensterbänken im Vordergrund, kleinere Blöcke werden für den Gartenbau als Mauer- und Ziersteine eingesetzt. In letzter Zeit wurde der Travertin aus Cannstatt auch wieder für Grabstein- und Denkmalarbeiten nachgefragt.
An bedeutenden Bauwerken aus Cannstatter Travertin sind beispielhaft zu nennen (nach mündlichen Angaben der Fa. Lauster Steinbau, Lauster Steinbau (2009), Betriebsakten des LGRB und Reyer (1927)):
- Stuttgart: Mittnachtbau in der Königsstraße (erbaut 1926–1928, heute Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst), Herz-Jesu-Kirche in Stuttgart-Gaisburg, Neue Staatsgalerie (1984), Haus der Geschichte und Haus der Abgeordneten; Steigenberger Hotel Graf Zeppelin, (1931) am Hauptbahnhof, Kaufhaus Schocken (weitere Angaben für Stuttgart s. u.)
- Ludwigsburg: Stadthalle „Forum“
- Heidenheim a. d. Brenz: Industrie- und Handelskammer
- Lindau: Post- und Zollamt
- Frankfurt: I.G.‑Farbenhaus (1928–1931), heute Joh. Wolfgang v. Goethe-Universität
- Köln: Hotel Monopol
- Duisburg: DEMAG-Verwaltungsgebäude
- Düsseldorf: Foyer Fa. Henkel (1926)
- Berlin: Flughafen Tempelhof, Gesimse und Pilaster (1938/40), Geschäftshaus Gendarmenmarkt Berlin
- Breslau: Kaufhaus Petersdorff (1928)
- Den Haag: verschiedene Bankgebäude
- Rotterdam: Vorhalle des Postamts
- Zug in der Schweiz: Einkaufszentrum „Metalli“ (1987)
- Buenos Aires, Argentinien: Banco Popular Argentino (1931)
Reyer (1927) berichtet, dass außerdem eine große Zahl von Denkmalen und Grabsteinen sowie verschiedene kunstgewerbliche Arbeiten wie verzierte Kaminvorbauten, Vasen und Brunnen aus Cannstatter Travertin ausgeführt wurden. Weitere Beispiele sind die Einfriedungen und die Einsegnungshalle auf dem Waldfriedhof, die in den 1930er Jahren errichtete Wohnanlage Emser-, Waiblinger- und Nauheimer Straße mit Bruchsteinmauerwerk im „Stuttgarter Heimatstil“, Privathäuser in der Erzberger Straße 45–59, der Friedrich-Ebert-Str. 44–56, in der Austraße in Stuttgart-Münster sowie der Daimler-Turm im Kurpark, unterhalb dessen Travertinwände anstehen.
Beim Steinbruch Lauster erinnern 14 mächtige Travertinsäulen an der Neckartalstraße beim Kraftwerk Stuttgart-Münster, die oberhalb davon gelegene Fabrikantenvilla, die benachbarte Vierkranenhalle und das Verwaltungsgebäude in der Enzstraße 46 an die große Zeit der Travertingewinnung und ‑verarbeitung. Dieses Ensemble wurde 1987 „aus heimatgeschichtlichen, wissenschaftlichen und künstlerischen Gründen“ als Kulturdenkmal eingestuft (Pressler, 2010, S. 119). Die kuriose Geschichte der 14 Travertinsäulen, die heute reichlich verloren in einer nüchternen Industrieumgebung stehen, sollte nicht unerwähnt bleiben: Im Jahr 1939 wurden diese etwa 13 m hohen Säulen von der Stadt Berlin bei der Fa. Lauster für ein geplantes 45 m aufragendes, monumentales Denkmal auf dem „Mussolini-Platz“ in Berlin bestellt, dann aber nie abgeholt, weil auch dieses größenwahnsinnige Projekt der Hitler-Diktatur durch die Kriegsereignisse vereitelt wurde. Nach dem Krieg wurden sie von der Fa. Lauster zurückgenommen und am Eingang des Werksgeländes aufgestellt.
Varietäten und wichtige Steinbrüche
Als Werksteinqualitäten sind einerseits die hellen und gelblich braunen, gestreiften und wolkigen Varietäten zu nennen, andererseits die sog. Kupferbank-Varietät, die einen ocker- bis rotbraunen Ton aufweist. Alle werden geschliffen und poliert angeboten. Trotz der weiten Ausdehnung unterschiedlicher Sauerwasserkalkvorkommen im Cannstatter Becken erwiesen sich nur drei Bereiche als von wirtschaftlicher Bedeutung:
- Das Gebiet Untertürkheim mit dem Steinbruch der Fa. Biedermann (etwa 3,5 km südöstlich vom Stbr. Lauster)
- das Gebiet nordwestlich des Neckars beim heutigen Kraftwerk Münster, wo die Steinbrüche Haas, Lauster und Schauffele liegen
- das Gebiet Sulzerrain–Katzensteigle in Bad Cannstatt rechts des Neckars. In letztgenanntem Bereich lagen heute längst überbaute städtische Steinbrüche. Die am Katzensteigle waren noch in der ersten Hälfte des 20. Jh. in Betrieb, die am Sulzerrain wurden im 19. Jh. genutzt (s. Exkurs).
Bei Untertürkheim im ehem. Stbr. Biedermann treten über Neckarkiesen und ‑auemergeln etwa 9–10 m mächtige Sauerwasserkalke des Riß-Würm-Interglazials auf, die ein Oberes und ein Unteres Travertinlager enthalten. Die nutzbaren Mächtigkeiten lagen mit 6–7 m deutlich unter denen am linken Neckarufer bei Cannstatt.
Im ehemaligen Abbaugebiet der Fa. Lauster in Bad Cannstatt (RG 7121‑6) treten sechs Travertinlager aus dem Mindel-Riß-Interglazial (Holstein-Warmzeit) auf. Einschaltungen von Aue-, Hang- und Lösslehmen ermöglichten eine Korrelation benachbarter Steinbruchprofile. Für den Cannstatter Travertin im Steinbruch der Fa. Lauster Steinbau in Stuttgart-Bad Cannstatt stellte Reiff (1955) folgendes Idealprofil auf (Lage des Profils im Westteil des Bruchs Lauster bei O 515928 / N 5407195, Höhe = 250 m ü. NHN):
250,0–246,0 m ü. NHN | Löss, oben humoser Boden |
246,0–244,4 m ü. NHN | Travertinlager 6: Tuffsand, grauweiß, stellenweise fester Travertin |
244,4–240,8 m ü. NHN | Travertinlager 5 („Kupferbank“): Travertin, hellockerbraun, hart, enthält Schnecken und Hohlräume |
240,8–240,1 m ü. NHN | Lehm, gelbgrün („Oberer Lehmhorizont“) |
240,1–238,0 m ü. NHN | Travertinlager 4: Travertin, ockerbraun, meist geschichtet |
238,0–237,2 m ü. NHN | Lehm, grünlichgelb („Mittlerer Lehmhorizont“) |
237,2–232,9 m ü. NHN | Travertinlager 3: Travertin, ockerbraun, geschichtet, gelblicher Kalkstein mit ockerbraunem Kalk wechselnd |
232,9–232,6 m ü. NHN | Lehm, Weißjurakalkgerölle („Unterer Lehmhorizont“, Auemergel) |
232,6–230,3 m ü. NHN | Travertinlager 2: Travertin, ockergelb, teilweise unverfestigt, stark porös |
230,3–229,6 m ü. NHN | Untere Bank des Travertinlagers 2: Travertin, gelblichgrau bis weißlichgrau, dicht, enthält zahlreiche Schneckenkerne (Succineen) |
229,6–220,8 m ü. NHN |
Travertinlager 1: Travertin, weißgrau bis ockerbraun, geschichtet oder gebändert [Basis der Nutzschicht] |
220,8–220,4 m ü. NHN | Neckarauemergel, ockergelb mit rostfarbenen Flecken und Bändern (Auemergel) |
Nordnordwestlich des Lauster-Bruchs wurden im Zusammenhang mit einem Programm zur Altlastenerkundung Kernbohrungen abgeteuft, die belegen, dass die Überlagerungsmächtigkeiten durch Löss und die Travertinmächtigkeiten bereits im Abstand von nur 50–100 m raschen Schwankungen unterworfen sind. Die Travertinoberfläche muss ausgeprägte Höhenunterschiede aufweisen, Verkarstungserscheinungen im unterlagernden Gipskeuper tun ein Übriges. Die Bohrung Bo7121/3171 (Ansatzpunkt O 515818 / N 5407425, Höhe = 253,74 m ü. NHN) lieferte folgendes Profil:
0,0–1,7 m | Auffüllung |
1,7–5,5 m | Löss |
5,5–7,7 m | Travertin, dicht, feingeschichtet, kaum porös, braun und weißlich, gelbschlierig |
7,7–10,0 m |
Travertin, porös, feinschichtig, weiß, stark rotschlierig |
10,0–12,4 m | Travertin, weiß, stark rostig, porös, mit dünnen Schlufflagen |
12,4–13,8 m | Travertin, weiß-gelbfleckig, mit Schluffeinschaltung |
13,8–21,9 m | Travertin, z. T. stark schaumig, wechselnd porös, weiß, gelbschlierig |
21,9–23,7 m | Auelehm |
23,7–24,9 m | Neckarkies |
Darunter | Schluff- und Tonsteine des Gipskeupers (Grabfeld-Formation) |
Potenzial
Die Cannstatter Travertinvorkommen sowie die aus Münster sind in den Karten veranschaulicht (s. u.). Die wichtigste Lagerstätte nordwestlich vom Kraftwerk Münster ist weitgehend überbaut und allseitig von Siedlungs- und Gewerbeflächen sowie Verkehrswegen umgeben. Im Westen, Süden und Osten wurde der Travertin in den Steinbrüchen der Firmen Lauster, Schauffele und Haas bereits fast vollständig gewonnen. Die Restvorräte in diesem Gebiet sind gering, zumal einige größere Bereiche infolge von Verkarstung oder geringer Travertinmächtigkeit nicht für die Werksteingewinnung infrage kommen. Durch den erfolgten Rückbau der Gleisanlagen der Industriebahn stehen westlich und vor allem nordwestlich des Stbr. Lauster jedoch auf einem schmalen Streifen noch Vorräte an Travertin von nachgewiesenermaßen guter Qualität zur Verfügung. Das Gelände befindet sich im Besitz der Stadt Stuttgart, die seit 2010 allerdings eine Nutzung des alten Industriegeländes für Freizeit und Erholung favorisiert. Nur wenn es gelingt, einerseits eine wirtschaftlich realisierbare Gesteinsgewinnung und andererseits das geotouristische sowie industriegeschichtliche Konzept des Travertinparks einschließlich der Planung von Rad- und Spazierwegen zu verknüpfen, wird zumindest mittelfristig noch Werksteinmaterial zur gewerblichen und denkmalpflegerischen Nutzung zur Verfügung stehen können.
Kurzfassung
Es handelt sich beim Cannstatter Travertin um einen harten, lagenweise kavernösen oder dichten, witterungsbeständigen, architektonisch attraktiven Sinterkalkstein, der in weißlich grauen, hellbeigen und kräftig ockerbraunen Tönen vorkommt. Bei Cannstatt treten max. fünf Travertinlager in einer Gesamtmächtigkeit bis etwa 25 m auf. Die auch als Sauerwasserkalke bezeichneten Karbonatgesteine quartären Alters bilden beiderseits des Neckars bei Bad Cannstatt und Stuttgart-Münster Ablagerungen aus Kalktuffen, Kalksanden und Seekalken, in die gut verfestigte Travertine eingeschaltet sind. Ihre Entstehung ist auf ein aufsteigendes, hochmineralisiertes, CO2-reiches Fließsystem zurückzuführen, das bis in das Uracher Vulkangebiet der Schwäbischen Alb zurückverfolgt werden kann. Die festen Travertine von Cannstatt entstanden in Tümpeln und Kaskaden an zum Fluss hin entwässernden Hängen in der gleichen Weise, wie die berühmten Sinterterrassen von Pamukkale und im Yellowstone Nationalpark. Für große Werkstücke oder Wand- und Bodenplatten konnte dieser gut polierfähige Travertin erst verwendet werden, als nach 1890 leistungsfähige Abbau- und Verarbeitungsgeräte zur Verfügung standen. Berühmte Bauwerksbeispiele sind die Neue Staatsgalerie und der sog. Mittnachtbau auf der Königsstraße (Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst) in Stuttgart, das I.G.-Farbenhaus in Frankfurt a. M. (jetzt Universität) oder das Einkaufszentrum Metalli in Zug (Schweiz).
Weiterführende Links zum Thema
Literatur
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- (1949). Technologische Geologie der Bodenschätze Württembergs. 446 S., Stuttgart (Schweizerbart).
- (1950). Erläuterungen zu Blatt 7121 Stuttgart-Nordost. – Erl. Geol. Spezialkt. Württ., 137 S., 1 Beil., Stuttgart (Geologische Abteilung im württembergischen Statistischen Landesamt). [Nachdruck 1994: Erl. Geol. Kt. 1 : 25 000 Baden-Württ., Bl. 7121 Stuttgart-Nordost; Stuttgart]
- (1960). Erläuterungen zu Blatt 7221 Stuttgart-Südost. – 2. Aufl., Erl. Geol. Kt. Baden-Württ. 1 : 25 000, 72 S., Stuttgart (Geologisches Landesamt Baden-Württemberg). [Nachdruck 1990, 1994]
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- (1975). Das Pleistozän von Weimar-Ehringsdorf. Teil II. – Abhandlungen des Zentralen Geologischen Instituts, Paläontologische Abhandlungen, 23, 594 S., 60 Taf., Berlin (Akademie). [142 Abb., 81 Tab.]
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- (1993). Faziesanalyse und Genese der quartären Sauerwasserkalke von Stuttgart, Baden-Württemberg. – Profil, 5, S. 47–118. [80 Abb., 6 Tab.]
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- (1845). Beschreibung des Diluviums im Thale von Stuttgart und Cannstatt. – Jahreshefte des Vereins für vaterländische Naturkunde in Württemberg, 1, S. 183–208, 1 Taf.