Definition Sturzprozesse
Bei Sturzprozessen handelt es sich um schnelle Massenbewegungen, bei denen Fest- und/oder Lockergestein in einem steilen Hang entlang von Trennflächen ausbricht und überwiegend frei fallend, springend und/oder rollend abstürzt. Beim Aufprall des stürzenden Materials kann dieses (abhängig von der Untergrundbeschaffenheit und der Flugbahn) in kleinere Teile zerbrechen. Als potenzielle Ausbruchgebiete für Sturzprozesse gelten i. A. Hangbereiche mit Neigungen > 35°. Sogenannte „Stumme Zeugen“ – alte Sturzblöcke oder Einschläge (Schlagmarken) der Komponenten im Untergrund oder an Bäumen – lassen die Sprungweite und -höhe sowie die Reichweite von Steinschlägen bis Felsstürzen erkennen.
Sturzprozesse werden nach dem Volumen des herabgestürzten Gesteinsmaterials in drei Kategorien eingeteilt (AD-HOC-Arbeitsgruppe Geologie, 2016):
- Stein-/Blockschlag,
- Felssturz,
- Bergsturz.
Sturzereignisse mit Gesamtkubaturen von bis zu 10 m3 werden als Steinschlag bzw. Blockschlag bezeichnet. Bei einem Steinschlag sind alle abgestürzten Komponenten im Volumen kleiner als 0,25 m3. Bei einem Blockschlag besitzen die maßgeblichen abgestürzten Komponenten ein Mindestvolumen von 0,25 m3. Häufig lösen sich aufgrund von Verwitterung (insbesondere entlang von Trennflächen) einzelne Felskörper aus dem Gesteinsverband. Die Sturzbahn der abrollenden oder springenden Komponenten wird durch den Baumbestand und den Untergrund beeinflusst. Meist kommen die Komponenten bei einem Hangneigungswinkel von < 30° zum Stillstand. Wälder haben zudem eine besonders dämpfende Wirkung, da der Baumbestand abstürzende Gesteinskörper verlangsamen oder z. T. auch stoppen kann.
Bei einem Felssturz löst sich ein größeres Gesteinspaket von über 10 m3 Volumen aus dem Hang bzw. der Felswand. Felsstürze können sich im Vorfeld durch das Abstürzen kleinerer Komponenten – z. B. durch Steinschlagereignisse – ankündigen und teilweise höhere Reichweiten als Steinschlagereignisse erreichen.
Sturzmassen mit Volumen von > 1 Mio. m3 bezeichnet man als Bergsturz. Bergstürze sind seltene und aufgrund ihrer Masse hochdynamische Sturzereignisse, die Distanzen von mehreren Kilometern zurücklegen können. Insbesondere in schmalen Tälern können die Bergsturzmassen den Aufstau von Gewässern verursachen, was nach einem Durchbruch zu katastrophalen Überflutungen führen kann. Bergstürze kündigen sich meist durch Vorbewegungen an, wie durch vermehrten Steinschlag oder durch das Öffnen von Felsspalten.
Auslöser von Sturzereignissen
Die Stein-/Blockgrößen werden meist durch das Trennflächengefüge (Schichtung, Schieferung, Klüftung) der Gesteine und die entlang des Trennflächengefüges fortschreitende Verwitterung bestimmt. Sturzereignisse werden häufig durch Einwirkungen entlang der Trennflächen ausgelöst. Auslösende Faktoren sind dabei:
- Wasser
Aufstau in geöffneten Klüften (Kluftwasserdruck, hydrostatischer Druck)
Abspülen bereits gelöster Steine/Blöcke bei starken Regenfällen insbesondere in steilem Gelände
Aufweichen der Aufstands-/Auflageflächen von Felspartien
- Temperaturänderungen
gefrierendes Kluftwasser mit Volumenvergrößerung um 9 % (Eisdruck, Frostsprengung; Wagenplast, 2005)
Gefügeauflockerung durch Frost-Tau-Wechsel
- Vegetation
Wurzelsprengung (Dickenwachstum von in Trennflächen einwachsenden Wurzelsträngen)
dynamischer Lasteintrag durch Bäume (Hebelwirkung unter Windlast)
- Erschütterungen
Lostreten von Steinen/Blöcken durch Mensch und Tier
Erdbeben
Sturzprozesse in der Ingenieurgeologischen Gefahrenhinweiskarte von Baden-Württemberg (IGHK50)
Potenzielle Ausbruchgebiete für Sturzprozesse sind in der Ingenieurgeologischen Gefahrenhinweiskarte von Baden-Württemberg (IGHK50) des LGRB von 2014 im Maßstab 1 : 50 000 als Gefahrenhinweisflächen „Steinschlag/Felssturz“ erfasst. Die potenziellen Ausbruchgebiete für Sturzprozesse wurden mittels standardisierter Auswertung der Rahmenbedingungen (bestimmte geologische Formation/Gesteinseinheit, Hangneigung > 35°) teilautomatisiert abgeleitet. Angaben zur Geometrie des vollständigen Prozessraums und möglicher Sturzkörpervolumina werden dabei nicht gemacht.
Als Grundlagen zur Erstellung der Gefahrenhinweiskarte dienen die vorhandenen geologischen Kartenwerke sowie der geologische Basisdatensatz der integrierten Geowissenschaftlichen Landesaufnahme (GeoLa) des LGRB wie auch Daten des hochauflösenden Digitalen Geländemodells (DGM) des Landesamts für Geoinformation und Landentwicklung (LGL).
Die Gefahrenhinweiskarte ist auf die Belange der Raumplanung ausgelegt und deshalb nicht parzellenscharf. Bereiche, die unmittelbar an die ausgewiesenen Flächen angrenzen, können ebenfalls betroffen sein. Intensität und Wahrscheinlichkeit eines möglichen Ereignisses können aus der Karte nicht abgeleitet werden.
Nach der Ingenieurgeologischen Gefahrenhinweiskarte von Baden-Württemberg (IGHK50) sind rund 0,7 % (~23 000 ha, über 55 000 Einzelflächen) der Landesfläche potenzielle Ausbruchgebiete für Sturzprozesse.
Lockergesteinseinheiten sind bei der teilautomatisierten Auswertung zur Erstellung der Gefahrenhinweiskarte nur berücksichtigt, wenn diese nach petrographischer Beschreibung mindestens 40 % Kies oder größere Korngrößen (einschließlich Diamikt) enthalten, die z. B. zu nagelfluhartigen Bänken verbacken sein können.
Potenzielle Ausbruchgebiete und Fallbeispiele in Baden-Württemberg
In Baden-Württemberg besteht hauptsächlich in den steil eingeschnittenen Tälern und an Steilwänden im Ausstrichbereich des Grundgebirges (Schwarzwald, Odenwald), des Oberen Muschelkalks, des Mittelkeupers und des Oberjuras (insbesondere der Schwäbischen Alb) die Gefahr von Steinschlägen/Felsstürzen. Sofern durch Erosion oder künstliche Unterschneidung ein ausreichend steiles Relief entstanden ist, können Sturzprozesse ebenfalls in Lockergesteinen mit eingelagerten größeren Steinen auftreten (z. B. in der Molasse).
Nachfolgend werden Fallbeispiele zu Steinschlag-/Felssturzereignissen in Baden-Württemberg aufgeführt:
- Felssturz Eschachtal, Isny (Tertiäre Süßwassermolasse)
- Steinschlag Breisach Eckartsberg (Tertiäre Vulkanite)
- Felssturz Beuron Eichfelsen, Oberes Donautal (Oberjura)
- Felssturz Ratshausen, Plettenberg (Oberjura)
- Felssturz Ammerbuch-Breitenholz (Grabfeld-Formation)
- Blockschlag Ammerbuch-Reusten (Oberer Muschelkalk)
- Hessigheimer Felsengärten (Oberer Muschelkalk)
- Steinschlag Hirschsprung, Höllental (Grundgebirge)
- Felssturz Wehratal (Grundgebirge)
- Blockschlag Todtnau-Geschwend (Grundgebirge)
Literatur
- (2016). Gefahrenhinweiskarten geogener Naturgefahren in Deutschland – ein Leitfaden der Staatlichen Geologischen Dienste (SGD). 88 S., Stuttgart (Schweizerbart Science Publishers).
- (2016b). Homepage LGRB » Informationssysteme » Geoanwendungen » Geogefahren » Ingenieurgeologische Gefahrenhinweiskarte von Baden-Württemberg, verfügbar unter http://www.lgrb-bw.de/informationssysteme/geoanwendungen/geogefahren.
- (2005). Ingenieurgeologische Gefahren in Baden-Württemberg. – LGRB-Informationen, 16, S. 1–79.