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Der Kenntnisstand zum Schadensfall Rudersberg-Zumhof ist in einem LGRB-Sachstandsbericht zusammengefasst (LGRB, 2013).
Übersicht
Das Baugebiet „Im Kiesel“ im Wohnplatz Zumhof der Gemeinde Rudersberg (Rems-Murr-Kreis) wurde ab dem Jahr 2007 bebaut. Die neuen Einfamilienhäuser sollten teilweise mit Erdwärmetechnologie beheizt werden. Von September 2007 bis 2009 wurden insgesamt 20 Erdwärmesondenbohrungen mit Tiefen zwischen 38 m und 70 m abgeteuft. Dies führte in Rudersberg-Zumhof zu Geländeverformungen sowie zu Verformungen und Schäden an Gebäuden und Infrastruktur.
Geologische und hydrogeologische Verhältnisse
Das betroffene Gebiet „Im Kiesel“ liegt auf einem plateauartigen, etwa 500 Meter breiten Geländesporn, der sich 30 bis 40 Höhenmeter über das Tal der Wieslauf erhebt. Die Hänge fallen flach nach Westen zur Wieslauf und etwas steiler nach Süden zum Brunnenbach hin ab.
In Rudersberg und Umgebung besteht der tiefe Untergrund aus Gesteinen des Muschelkalks. Der obere Mittlere und der Obere Muschelkalk bilden häufig einen zusammenhängenden Kluft- und Karstgrundwasserleiter. Vor allem der obere Abschnitt, der Trigonodusdolomit der Rottweil-Formation (moD), ist häufig stark verwittert und verkarstet und hat daher eine sehr hohe Durchlässigkeit. Die Verkarstung führt bereichsweise zum Nachbruch der überlagernden Schichten der Erfurt-Formation und der Grabfeld-Formation. Es können sich Dolinen bilden, die sich allmählich verfüllen.
Darüber folgen die Schichten des Keupers. Die Erfurt-Formation des Unterkeupers (kuE) ist ein schichtig gegliederter Kluftgrundwasserleiter mit meist geringer Ergiebigkeit. Häufig bildet er eine hydraulisch wirksame Trennschicht zwischen den Grundwasserleitern der Grabfeld-Formation und des Oberen Muschelkalks. Die gering durchlässigen Grünen Mergel der Erfurt-Formation (kuGRM) bilden die Basis des grundwasserleitenden unteren Abschnitts der Grabfeld-Formation.
Die Grabfeld-Formation (kmGr, ehemals Gipskeuper) des unteren Mittelkeupers ist in der Umgebung von Rudersberg als Kluft- und Karstgrundwasserleiter ausgebildet. Insbesondere die leicht wasserlöslichen Sulfatgesteine der mächtigen Grundgipsschichten (kmGI) sind in der Talaue des Wieslauftals größtenteils ausgelaugt. Die Schichtenfolge ist daher häufig verstürzt und die Lösungsbrekzien sind grundwasserführend.
Die Keupergesteine werden von unterschiedlich mächtigen quartären Deckschichten überlagert. In der Talaue der Wieslauf besteht der Untergrund aus jungen, teils setzungsempfindlichen Talablagerungen. Sie können in der Umgebung von Rudersberg bis 13 m mächtig werden. Im Bereich des Baugebiets „Im Kiesel“ bestehen die quartären Ablagerungen demgegenüber aus geringmächtigen Fließerden und lokalen Auffüllungen. Die Hänge beidseitig des Wieslauftals bestehen aus Gesteinen der Grabfeld-Formation.
Nach den Ergebnissen der Erkundungsbohrung ist das Schichtenprofil im Neubaugebiet „Im Kiesel“ wie folgt aufgebaut:
- Von der Endteufe (94 m) bis 83,75 m Tiefe stehen die Schichten des Oberen Muschelkalks an. Im oberen Abschnitt befindet sich der Trigonodusdolomit der Rottweil-Formation (moR). Darüber folgen knapp 20 m der Erfurt-Formation des Unteren Keupers (kuE, ehemals Lettenkeuper). Ab dem unteren Gipsspiegel in 68,90 m Tiefe tritt Gips im sulfatführenden Gebirge auf.
- In 64,40 m Tiefe beginnt die Grabfeld-Formation mit den Grundgipsschichten und dem Bochingen-Horizont (kmBH). Hier markieren der untere und obere Anhydritspiegel das Vorkommen des quellfähigen Anhydrits. Bis zum oberen Gipsspiegel tritt Gips in den Dunkelroten Mergeln (kmDRM) auf. Darüber ist das Sulfat ausgelaugt.
Erkundungsmaßnahmen und Schadensbild
Zur Festlegung der notwendigen Untersuchungen hat das LGRB aus den Einzelhinweisen eine Arbeitshypothese aufgestellt. Danach werden die Gebäudeschäden durch Quellvorgänge im Untergrund verursacht, die zu einer anhaltenden Hebungsbewegung führen. Die Quellvorgänge finden in quellfähigen sulfatführenden Abschnitten (Anhydrit) und ggfs. begleitenden Lagen mit quellfähigen Tonmineralen in der Grabfeld-Formation (ehemals Gipskeuper) statt und werden zusammenfassend als „Gipskeuperquellen“ bezeichnet. Solche Quellvorgänge treten auf, wenn Wasser in vormals „trockene“ quellfähige Abschnitte eindringen kann.
Sowohl die räumliche Nähe als auch die zeitliche Abhängigkeit legten einen Zusammenhang mit den niedergebrachten Erdwärmesondenbohrungen nahe. Zudem stützten die erstmals im Juli 2013 in den Erdwärmesonden gemessenen Temperaturprofile die Arbeitshypothese. In fünf EWS wurde in einer Tiefe zwischen 50 m und 65 m eine positive Temperaturanomalie gemessen. Hier weicht das Ruhetemperaturprofil deutlich von dem zu erwartenden geothermischen Gradienten ab. Die freigesetzte Wärme deutet auf die Hydratation von Anhydrit zu Gips hin. Zur Klärung der Ursache der Geländehebungen war es wichtig, zu erfahren, wo und wie das Wasser in die quellfähigen Gebirgsabschnitte zutritt und wie es zu einer flächenhaften Ausbreitung im Bereich der bekannten Hebungsfigur kam.
Erkundung der geologischen und hydrogeologischen Verhältnisse
Zur Erkundung der geologischen und hydrogeologischen Verhältnisse brachte man im näheren Umfeld der Erdwärmesonden von September 2012 bis April 2013 eine ca. 90 m tiefe Erkundungsbohrung nieder. Die Bohrarbeiten wurden durch intensive geologische, geophysikalische und hydrogeologische Untersuchungen begleitet. Außerdem wurden die Bohrproben der havarierten EWS-Bohrung untersucht.
Die Erkundungsmaßnahmen lieferten folgende Ergebnisse:
- Von insgesamt sieben Erdwärmesonden-Anlagen haben drei die Schichtgrenze Grabfeld-/Erfurt-Formation durchteuft, die übrigen enden in der Grabfeld-Formation.
- Sulfat-führendes Gebirge wurde in der Grabfeld-Formation zwischen 37,6 m u. GOK (Oberer Gipsspiegel) und 68,9 m u. GOK (Unterer Gipsspiegel) angetroffen, Anhydrit zwischen 46,1 m u. GOK (Oberer Anhydritspiegel) und 63,6 m u. GOK (Unterer Anhydritspiegel).
- Das Bohrklein der havarierten EWS-Bohrung wurde mineralogisch untersucht und darin Gips und Anhydrit festgestellt.
- In der havarierten Bohrung fallen oberer Gips- und Anhydritspiegel sowie unterer Gips- und Anhydritspiegel zusammen. Ein Anhydritkern (Schichtenfolge mit reiner Anhydritführung) ist hier im Gegensatz zu der ausgeführten Erkundungsbohrung nicht nachweisbar. Wahrscheinlich ist in der nicht abgedichteten Bohrung im Laufe der Jahre der Anhydrit bereits teilweise in Gips umgewandelt worden.
- Es wurden drei hydraulisch und hydrochemisch voneinander getrennte Grundwasserstockwerke identifiziert.
- Es herrschen absteigende Druckverhältnisse vom obersten Grundwasserstockwerk in der Grabfeld-Formation über das mittlere Grundwasserstockwerk in der Erfurt-Formation bis ins untere Grundwasserstockwerk im Oberen Muschelkalk.
- Der Grundwasserstand in der Grabfeld-Formation schwankt von März bis August 2013 zwischen 20,8 und 22,3 m u. GOK. Starke Niederschläge zeichnen sich deutlich verzögert mit einem Anstieg des Grundwasserspiegels ab. Der Sulfatgehalt im Grundwasser nimmt zur Tiefe zu.
- Der Grundwasserstand in der Erfurt-Formation schwankt von März bis August 2013 zwischen 51,9 und 52,5 m u. GOK. Niederschlagsereignisse zeichnen sich kaum bzw. nur sehr gedämpft ab. Das Grundwasser ist gespannt und sulfatisch.
- Das Grundwasser im Oberen Muschelkalk ist gespannt, das Druckpotenzial reicht bis in den mittleren Bereich des Grundwasserstockwerks in der Erfurt-Formation.
- Eine Bewässerung des in Quellung befindlichen Gebirgsabschnitts erfolgt durch einen nach unten gerichteten Grundwasserabfluss aus der Grabfeld-Formation.
- Das Wasser in allen drei Grundwasserstockwerken ist deutlich untersättigt an Gips und Anhydrit. In allen beprobten Horizonten könnten sowohl Anhydrit als auch Gips gelöst werden.
- Die unterschiedliche Höhenlage der Schichtgrenzen in der Erkundungsbohrung und im Tiefbrunnen Rudersberg weist auf eine tektonische Störung im Bereich Rudersberg-Zumhof hin. Der Schichtenverlauf ist schwach geneigt.
- Eine Erdwärmesonde zeigte einen markanten vertikalen Abschnitt des Ruhetemperaturprofiles und drei weitere Erdwärmesonden fielen durch einen abschnittsweisen negativen Verlauf der Ruhetemperaturprofile auf, was auf einen Grundwasserfluss im undichten Ringraum der Erdwärmesonden und damit auf eine misslungene Ringraumabdichtung hindeutete.
- In mindestens acht EWS ist eine markante positive Temperaturanomalie ab etwa 48 m Tiefe zu erkennen, die im Anhydrit- und quellfähige Tonminerale führenden Gebirge im Bereich des Mittleren Gipshorizonts der Grabfeld-Formation (kmGI) ausgebildet ist. Sie geht auf die exotherme Reaktion bei der Umwandlung von Anhydrit in Gips zurück.
Maßnahmen zum Stoppen des Hebungsprozesses
Die Untersuchungen haben gezeigt, dass das „Gipskeuperquellen“ ursächlich für die Geländeverformungen in Rudersberg-Zumhof ist.
Die havarierte Bohrung war zwar geländegleich mit Bodenmaterial überdeckt, der Ringraum des Bohrlochs stand darunter allerdings über fünfeinhalb Jahre offen. Über das nicht abgedichtete Bohrloch ist Wasser in den quellfähigen Gebirgsabschnitt unterhalb des Oberen Anhydritspiegels eingedrungen. Außerdem zeigten einige Ruhetemperaturprofile der EWS (stockwerksübergreifende) Fließbewegungen.
Um den Hebungsprozess zu stoppen, mussten die nachgewiesenen Fließpfade durch technische Maßnahmen zuverlässig und dauerhaft abgedichtet werden. Dies dient dazu, die natürliche Grundwasserstockwerkstrennung wieder herzustellen. Hierzu wurden folgende Maßnahmen durchgeführt:
- Das havarierte Bohrgestänge wurde freigelegt, in mehreren Versuchen überbohrt, gefangen und zusammen mit dem zuvor im Gebirge eingeklemmten Bohrwerkzeug ausgebaut. Das Bohrloch wurde aufgewältigt und vollständig mit Quellton abgedichtet.
- Die als undicht erkannten Ringraumhinterfüllungen der EWS wurden nachträglich abgedichtet. Dies erfolgte in einem Fall nach erschwerter, jedoch erfolgreicher Überbohrung/Aufwältigung mit Ton, ansonsten mit der Schlitz-Verpress-Methode. Wegen des ursprünglich verwendeten nicht sulfatbeständigen Hinterfüllmaterials bildeten sich im Ringraum Thaumasit und Ettringit. Diese pastöse Masse erschwerte das Verpressen des Ringraums. Zur Verhinderung einer etwaigen späteren Wasserläufigkeit in den geschlitzten EWS wurde in die Sondenschläuche eine Bentonit-Spülung eingebracht („Sondenverwahrung“). Die Anlagen wurden stillgelegt.
Zur Überwachung der Temperaturentwicklung wird in allen EWS bis heute regelmäßig die Entwicklung der Ruhetemperaturprofile gemessen.
Zeitliche Entwicklung der Geländedeformation
Die Hebungsfigur war weitgehend ortsfest und hatte eine elliptische Form. Die ursprünglich 450 m lange Längsachse war annähernd Nord–Süd ausgerichtet, die Breite betrug maximal 300 m. Das Hebungszentrum lag in der Nähe der havarierten Bohrung.
Die maximale Hebungsgeschwindigkeit betrug im August 2012 6,9 mm/Monat. Bis November 2018 hat die maximale Hebungsgeschwindigkeit auf 0,7 mm/Monat abgenommen. Die Horizontalverschiebungen sind im Hebungszentrum am größten.
Die Entwicklung des Hebungsverlaufs ist eine wesentliche Grundlage zum Nachweis der Wirksamkeit der eingeleiteten schadensbegrenzenden Maßnahmen. Die Messergebnisse zeigen, dass die ergriffenen Maßnahmen erfolgreich waren und die Hebung nahezu zum Erliegen gekommen ist. Die geodätischen Messungen werden fortgesetzt.