Hergang des Ereignisses
In den späten Abendstunden des 26.12.2013 ereignete sich hinter einem Wohngebäude in der Jesinger Straße in Ammerbuch-Reusten nach langanhaltenden Niederschlägen ein Blockschlag aus einer ehemaligen Steinbruchwand. Dabei wurde das Dach des nahe zur Steinbruchwand gelegenen Wohngebäudes durchschlagen. Die Bewohner der betroffenen Wohnung waren zum Zeitpunkt des Schadensfalles glücklicherweise nicht anwesend, so dass kein Personenschaden zu verzeichnen war.
Geologische Verhältnisse und Abbruch
In der ehemaligen Steinbruchwand sind Gesteine des Oberen Muschelkalks aufgeschlossen. Es handelt sich dabei um annähernd horizontal gelagerte, dünn- bis mittelbankige, graugelbe Kalk- und Dolomitsteine mit Einschaltungen geringmächtiger, hellgrauer Mergel- und Tonmergelsteine des Trigonodusdolomits der Rottweil-Formation (Oberer Muschelkalk). Der Gebirgsverband ist von einem weit- bis mittelständigen Trennflächengefüge durchzogen.
Die Böschungsneigung der ehemaligen Steinbruchwand variiert in Teilbereichen zwischen ca. 70° (im oberen nordwestlichen und im unteren südöstlichen Bereich) bis 80–90° (im unteren nordwestlichen Bereich) bzw. ist teils leicht überhängend entwickelt. Die ehemalige Steinbruchböschung fällt in Richtung Südwesten ein.
Nach Geländebefund hat sich in etwa 7 m Höhe eine etwa 5 m hohe, bis 2 m breite und durchschnittlich 0,5 m mächtige Felsschale abgelöst (Gesamtvolumen ca. 5 m3). Die Felsschale war rückwärtig durch persistente Kluftflächen vom übrigen Felsverband abgetrennt und verfügte offensichtlich nur noch im Fußbereich über kleinere Materialbrücken. Im durch den Absturz freiliegenden Fußbereich war mergeliges Feinmaterial der früheren Kluftfüllung sowie ein insgesamt mergeliges Kalksteinband sichtbar. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass die Felsschale sich bereits seit langem in einem labilen Gleichgewichtszustand befand und es durch auftretenden Kluftwasserdruck der vorangegangenen, anhaltenden Niederschläge zum Versagen der Felsschale kam. Aus der Geometrie der Böschung und dem Verschnitt mit den großen Kluftflächen (K1 bis K3) ergibt sich der Hinweis auf einen aus der Wandtiefe ausgebrochenen tetraedrischen Felskörper, welcher im Vorfeld des Sturzereignisses vermutlich nicht unmittelbar als absturzgefährdeter Felskörper wahrnehmbar war.
Kinematisch handelte es sich bei dem Felssturz um ein „Kippen“ (Rotation, Fußlager als Drehpunkt), wobei die Sturzmasse nahezu vollständig auf dem Terrassendach des Wohngebäudes zu liegen kam und nur geringere Mengen in den Arbeitsraum (Zwischengang zwischen ehemaliger Steinbruchwand und Gebäude) gelangten.
Gefährdungen im Bereich der Steinbruchwand
Bei genauerer Begutachtung der übrigen Felswand des ehemaligen Steinbruchs wurden noch weitere Bereiche erkannt, von denen eine erhöhte Gefährdung ausgeht. Es handelt sich dabei insbesondere um
- stark aufgelockerte, gebräche Felspartien an der nordwestlichen Ecke der Steinbruchwand (A),
- einen in der nordwestlichen Böschungskrone sichtbaren Felsblock (B),
- eine angerissene große Kluftscheibe nordwestlich der aktuellen Ausbruchstelle (C)
- Felsbänke südöstlich der aktuellen Ausbruchstelle, die nach Auswitterung weicher Mergellagen hohlkehlenartig überhängend sind (D) sowie
- ein aufgelockertes Felsband im Kronenbereich der ehemaligen Steinbruchwand, von dem ebenfalls eine diffuse Stein- bis Blockschlaggefährdung für das Grundstück ausgehen kann (E).
Ausgeführte Beräumungs- und Sicherungsmaßnahmen
Aufgrund der erkannten, erhöhten Gefährdungen wurden in einem ersten Schritt folgende Maßnahmen vorgesehen:
- Erweiterung des Betretungsverbots auf alle Gefahrenbereiche
- Entfernen der Sturzmassen vom Terrassendach nach Sicherstellung eines ausreichenden Arbeitsschutzes gegen weiteren Steinschlag
- Herstellen eines temporären Prallschutzes für das Gebäude
- Durchsteigen der gesamten ehemaligen Steinbruchwand und des oberen Felsenkranzes durch eine Felssicherungs-Fachfirma mit dem Ziel, alle fraglichen Partien auf Verbandsfestigkeit zu prüfen und ggf. lose oder lockere Felsfragmente zu beräumen sowie Ausstocken des Bewuchses in der gesamten Felsböschung
Auf Grundlage des Beräumungsbefundes wurde ein Konzept für eine dauerhafte konstruktive Sicherung aller labiler Partien erarbeitet und umgesetzt:
- Der stark aufgelockerte nordwestliche Bereich der ehemaligen Steinbruchwand wurde mit einem hochfesten, kraftschlüssig verankerten Drahtnetzverbau gesichert.
- Der Fußbereich der Ausbruchsstelle sowie die überhängenden Felsbänke im südöstlichen Bereich des Grundstücks wurden nach Verlegen einer ausreichenden Kluftwasserdrainage mittels einer vernagelten, bewehrten Spritzbetonknagge kraftschlüssig unterfüttert.
- Unmittelbar oberhalb der Steilböschung wurde ein niedrigenergetischer Steinschlagschutzzaun (Ösenankerzaun) erstellt.
In einem weiteren Schritt wurden auch die übrigen Steilwandabschnitte (Sommergasse, Jesinger Straße) von einer Fachfirma durchstiegen, beräumt und auf Grundlage des Durchsteigungsbefundes notwendige Sicherungen erstellt. Durch Ausführung der Sicherungsmaßnahmen konnten die bestehenden, erhöhten Risiken dauerhaft auf ein akzeptables Maß gesenkt werden.
Nachfolgend sind die wichtigsten Merkmale des Blockschlags Ammerbuch-Reusten tabellarisch aufgelistet:
Stammdaten:
Objekt-ID |
7419_St00002 |
Objektname |
Blockschlag Ammerbuch-Reusten |
Lokalität |
Ammerbuch-Reusten, Jesinger Straße |
Gemeinde |
Ammerbuch |
Landkreis |
Tübingen |
TK25-Nr. |
7419 |
TK25-Name |
Herrenberg |
Datengrundlage |
Dokumentenrecherche, Geländebegehung, Geologische Karte, DGM |
Lage-Bezugspunkt |
Höchster Punkt des Abbruchgebiets |
Ostwert |
494116 |
Nordwert |
5376621 |
Koordinatenreferenzsystem |
ETRS89/UTM32 |
Koordinatenfindung |
Karte |
Höhe [m ü. NHN] |
390 |
Höhenermittlung |
Karte |
Allgemeine Fachdaten:
Entstehungszeitraum |
26.12.2013 |
Geländenutzung während der Entstehung |
Wohngebiet |
Schäden |
Gebäudeschäden |
Spezielle Fachdaten Massenbewegungen:
Primär-/Folgeereignis |
Primärereignis |
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Prozess der Hauptbewegung |
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Max. Reichweite [m] |
ca. 10 |
|
Max. Breite [m] |
ca. 10 |
|
Schattenwinkel [°] |
- |
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Geometrisches Gefälle (Fahrböschungswinkel) [°] |
- |
|
Kubatur der Sturzmasse [m3] |
ca. 5 |
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Höchster Punkt der Abbruchkante [m ü. NHN] |
ca. 390 |
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Höchster Punkt des Ablagerungsbereichs [m ü. NHN] |
Terrassendach ca. 3 m oberhalb Straßenniveau |
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Tiefster Punkt des Ablagerungsbereichs [m ü. NHN] |
ca. 370 |
|
Max. Höhenunterschied (H) zwischen dem höchsten Punkt der Abbruchkante und dem tiefsten Punkt des Ablagerungsbereichs [m] |
ca. 20 |
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Exposition zwischen höchstem und tiefstem Punkt des Ereignisses [°] |
220 |
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Hangneigung im Abbruchbereich [°] |
80–90 |
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Ursache |
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Auslöser |
geogen |
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Geologie |
Stratigraphie |
Petrographie |
Trigonodusdolomit (Oberer Muschelkalk) |
Kalk- und Dolomitsteine mit Einschaltungen von Mergel- und Tonmergelsteinen |
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Gefahrenbeurteilung |
erhebliche Gefahr |
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Überwachungsmaßnahmen |
- |
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Sicherungsmaßnahmen |
systematische Beräumung und Abtrag, Einzelsicherungen, Steinschlagschutznetze, Steinschlagschutzzäune |
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Sonstige Anmerkungen |
- |