Das Bahnprojekt Stuttgart–Ulm beinhaltet die Neubaustrecke (NBS) von Wendlingen nach Ulm, welche über die Hochfläche der Schwäbischen Alb führt. Aufgrund der bekannten Verkarstungsfähigkeit der anstehenden Oberjura-Gesteine mit zahlreichen Verkarstungsphänomenen wurde bereits in der Planungsphase großes Augenmerk auf die Erkundung und mögliche Sicherungsmaßnahmen dieser Strukturen gelegt.
Während der baubegleitenden Erkundung wie auch beim Bau selbst wurden unterschiedliche Verkarstungsstrukturen, wie z. B. mächtige Dolinenfüllungen oder lehm- und lufterfüllte Hohlräume und Karstspalten im Trassenbereich angetroffen.
Geologie
Die Gesteine im Trassenbereich werden nach ARGE WUG (2006) aus Schichten des Oberen Oberjuras (Kimmeridgium) aufgebaut. Über weite Strecken der Bahntrasse treten die Schichtfolgen des Unteren Massenkalks sowie des Oberen Massenkalks auf. Diese Karbonatgesteine sind aufgrund ihrer überwiegend massigen Ausbildung als stark verkarstungsfähig einzustufen. Der Obere Massenkalk wurde zeitgleich zur Liegende-Bankkalke-Formation und Zementmergel-Formation und deren Zwischenkalke abgelagert, sodass diese Gesteine auf der Albhochfläche nebeneinander auftreten können. Die Kalk- und Kalkmergelsteine der Zementmergel-Formation/Zwischenkalke sind als mäßig bis stark verkarstungsfähig einzustufen.
Die Festgesteine des Oberjuras sind meist mit quartären Sedimenten (Lösslehm/Alblehm, holozäne Abschwemmmassen, Hangschutt und lössführende Fließerden) unterschiedlicher Mächtigkeit bedeckt. Im südöstlichen Abschnitt der Trasse in Richtung Albabstieg lagern tertiäre Gesteine der Bohnerz-Formation und der Unteren Süßwassermolasse. Die Lockergesteine der Bohnerz-Formation sowie der quartären Sedimente liegen im gesamten Bereich auch als Spaltenfüllungen innerhalb der Oberjura-Gesteine vor (ARGE WUG, 2006).
Erkundungsmaßnahmen
Aufgrund der bekannten Gefährdung durch die verkarsteten Gesteine des Oberjuras wurden bereits im Vorfeld umfassende Erkundungskampagnen ausgeführt, um das Gefährdungspotenzial für die geplante Bahnstrecke abschätzen zu können. Dabei wurden verschiedene Verkarstungsstrukturen wie Dolinen, Karstsenken/Karstwannen, Höhlen, Karströhren, Kluftkarst/Schichtkarst sowie Dolomitisierung/Dedolomitisierung festgestellt.
Die Karsterkundung wurde baubegleitend fortgeführt (Karstmanagement). Mithilfe geophysikalischer Verfahren sollten karstbedingte Schwächezonen und insbesondere (luft- und lehmerfüllte) Hohlräume im Einflussbereich der Bahntrasse detektiert werden (Raithel et al., 2015). Im Bereich von Linienbauwerken (Einschnitte, Dämme, Tunnel in offener Bauweise) kamen die oberflächengeophysikalischen Verfahren der Gravimetrie sowie der Refraktions-/Reflexionsseismik zum Einsatz. Die Erkundung von Gründungssohlen mit begrenzter Fläche (z. B. Brückenwiderlager) wurde mittels Bohrlochgeophysik (Cross-hole-/Down-hole-Tomographie) durchgeführt. Bei Indizien für vorhandene Verkarstungsstrukturen im Untergrund wurden zusätzlich direkte Aufschlüsse (Meißelbohrungen, vereinzelt auch Kernbohrungen) zur Verifizierung der Interpretation der geophysikalischen Messergebnisse ausgeführt (Raithel et al., 2015).
Ergänzend zur Erkundung wurde zur Kompensierung von insbesondere oberflächennahen Auflöseschwächen der Geophysik eine sogenannte dynamische Vorbelastung flächendeckend auf den Gründungssohlen ausgeführt. Durch Vorwegnahme der wirksamen Einwirkungen aus dem Hochgeschwindigkeitsverkehr sollten dabei mittels schwerer Walzen oberflächennahe Hohlräume zum Einsturz gebracht werden (Raithel et al., 2015).
Angetroffene Verkarstungsphänomene und Sanierung
Im Zuge der Bauausführung wurden, wie auch bei der Vorerkundung, verschiedenste Verkarstungsstrukturen angetroffen. Dabei überstieg die Anzahl der angetroffenen und erkundeten Hohlräume die Prognosen der Vorerkundungen (Stand: Dezember 2016; Kielbassa, 2016). Allerdings handelte es sich überwiegend um kleine Hohlräume ohne oder mit lediglich geringem Sicherungsbedarf. Mittlere und große Hohlräume wurden bis Ende 2016 in geringerer Anzahl als vorhergesagt angetroffen. Sogenannte „Mega-Hohlräume“ (große Höhlensysteme wie z. B. Laichinger Tiefenhöhle oder Blautopf) wurden nicht angetroffen.
Insgesamt wurden vier größere Hohlräume angetroffen. Einer davon befand sich in der Böschung des Tunnels Widderstall und besaß mit einem Durchmesser von ca. 15 m ein Volumen von etwa 500 m3. Der Hohlraum wurde nach Begehung und Vermessung verfüllt (Georesources, 2015; Raithel et al., 2015).
Die größten Sicherungsmaßnahmen wurden jedoch nicht durch Hohlräume, sondern durch mächtige Dolinenfüllungen und unerwartete lokale Tieflagen des Felshorizontes verursacht. Die stark setzungsempfindlichen Sedimente des auflagernden Alblehms und Felszersatzes mussten durch geeignetes Material ausgetauscht werden, um die hohen bautechnischen Anforderungen der Hochgeschwindigkeitsstrecke an den Baugrund sicherzustellen (Raithel et al., 2015).
Durch den Abtrag des Alblehms auf den Gründungsflächen mittels Bagger oder auch händisch wurden oberflächennahe Verkarstungsstrukturen freigelegt und mit Beton oder bindemittelstabilisierten Böden gefüllt.
Tiefer liegende Strukturen (> 2,5 m; Kallash et al., 2019) wurden je nach Art und Tiefenlage gesichert. Hohlräume wurden zunächst mit einem grobkörnigen Kies-Sand-Gemisch in der Sohle und nach oben hin mit Beton verfüllt. Der Einsatz des Kies-Sand-Gemisches sollte einem Absinken des Betons in tiefer liegende, teils wasserwirtschaftlich bedeutsame Gebirgshorizonte vorbeugen (Raithel et al., 2015). Bei schmalen, offenen Spalten wurde ein besonders steifes Material langsam mit geringem Druck zur Pfropfenbildung injiziert. Anschließend wurde der restliche Hohlraum mit Beton aufgefüllt (Raithel et al., 2015).
In Bereichen von Alblehmsenken und tief reichender Verkarstung wurden die Alblehme sowie der steinig lehmige Felszersatz mittels Bodenaustauschbohrungen ersetzt. Dabei wurden unbewehrte Bohrpfähle in einem Raster von 1,4 m · 1,4 m bis in eine Einbindetiefe von 1–1,5 m in den Fels hergestellt (Kallash et al., 2019).
Literatur
- (2006). Ingenieurgeologie, Erd- und Ingenieurbauwerke. – Erläuterungsbericht, Anlage 14.1A zu Planfeststellungsunterlagen, PFA 2.3 Albhochfläche, ABS/NBS Stuttgart–Augsburg, Bereich Wendlingen–Ulm, Westheim/Ettlingen, S. 1–72.
- (2015). NBS Wendlingen-Ulm: Karsthöhle beim Bau des Tunnels Widderstall entdeckt. Verfügbar unter https://www.georesources.net/index.php/german-news/nbs-wendlingen-ulm-karsthoehle-beim-bau-des-tunnels-widderstall-entdeckt.
- (2019). Fertigstellung Rohbau der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm auf der Hochfläche der Schwäbischen Alb – Ein Erfahrungsbericht aus der Realisierungsphase. . Tagungsband der Fachsektionstage Geotechnik 29.–30. Oktober 2019, CongressCentrum Würzburg, S. 132–137, Essen.
- (2016). Bahnprojekt Stuttgart-Ulm, Querung der Albhochfläche und Einbindung der Neubaustrecke in den Bahnhof Ulm Hbf, Gastvortrag an der Universität Ulm, Teil 1: Das Problem des verkarsteten Baugrunds. DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH. 45 S., verfügbar unter www.bahnprojekt-stuttgart-ulm.de/mediathek/detail/download/teil-1-das-problem-des-verkarsteten-baugrunds/mediaParameter/download/Medium/.
- (2017). Bau der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm im verkarsteten Baugrund der Schwäbischen Alb. . Tagungsband der Fachsektionstage Geotechnik 06.–08. September 2017, CongressCentrum Würzburg, S. 114–119, Essen.
- (2015). Bau der Strecke Wendlingen–Ulm in verkarstetem Baugrund. . EI-Eisenbahningenieur, 10, S. 18–25, Hamburg (DVV Media Group).