Ereignis
Am Freitagnachmittag des 23.01.2009 ereignete sich an der nördlichen Straßenböschung der Bundesautobahn A98 in Fahrtrichtung Kreuz Hegau bei Orsingen-Nenzingen nahe der Anschlussstelle Stockach-West eine Böschungsrutschung (Hangmure). Nach lang anhaltender Frostperiode und darauf einsetzendem Starkregen konnte der Boden die Wassermassen nicht aufnehmen. Schlammstromartig gingen, begleitetet von Baum- und Strauchgehölz, ca. 120 m3 Erdmaterial auf beide Fahrbahnen der A98 nieder. Im Zuge dieser plötzlich eintretenden Massenbewegung kam es zu Unfällen mit Personenschäden und Sachschäden.
Morphologie und Geologie
Die etwa 10,5 m hohe und mit rund 1:1,5 (ca. 33°) geneigte Böschung befindet sich an der A98 bei Autobahnkilometer 128,000. Rückwärtig grenzt eine landwirtschaftlich genutzte Geländeterrasse an die Böschung an. Diese Fläche fällt bereichsweise in Richtung der A98 ein, wobei der Geländetiefpunkt einer ca. 1,5 ha großen Teilfläche im Bereich einer T-förmigen Feldwegekreuzung unmittelbar nördlich der Oberflächenrutschung ausgebildet ist.
Die Böschung baut sich im Liegenden aus würmeiszeitlichen Sedimenten (Till) der Kißlegg-Subformation (Glazial geprägte Sedimente) auf. Diese setzen sich aus geschichteten kies- und blockführenden, stark schluffigen Feinsanden sowie stark sandigen Schluffen zusammen. Die Ablagerungen der Kißlegg-Subformation werden von den Hasenweiler-Schottern überlagert, welche im beschriebenen Bereich aus schluffigen Sanden und Kiesen bestehen und den anstehenden Untergrund der o. g. landwirtschaftlich genutzten Fläche im Rückfeld der Böschung bilden. Die von Sträuchern und niedrigen Bäumen bewachsene Böschung ist an ihrer Oberfläche von einer mehrere Dezimeter mächtigen, deutlich verbraunten und durchwurzelten, bindigen Verwitterungsschicht überdeckt.
Schadensereignis und Ursache
Bei dem Schadensereignis handelte es sich um eine spontane, wassergesättigte oberflächennahe Rutschung der natürlichen Verwitterungsauflage auf rund 14 m Breite, ca. 16 m Länge sowie etwa 0,5–1 m Tiefe. Der daraus hervorgehende Schlammstrom ergoss sich bis auf die gegenüberliegende Fahrbahnseite und beschädigte mehrere Fahrzeuge. Nachströmendes Wasser schnitt sich nach Abrutschen der Böschungsoberfläche erosiv in den Untergrund ein und schuf in der Böschungskrone eine etwa 2 m tiefe und 3 m breite Rinnenstruktur.
Als Ursache für die schlammstromartige Böschungsrutschung ist der konzentrierte Abfluss von Oberflächenwasser aufgrund der o. g. Topographie in Richtung des schadhaften Böschungsabschnittes zu nennen. Das Oberflächenwasser konnte nach starkem Dauerregen aufgrund der vorangehenden langen Frostperiode nicht in den Untergrund versickern und strömte der Schadstelle zu. Durch das über die Böschung strömende Wasser fand eine Aufsättigung des Porenraums und ein Aufweichen bzw. Verbreien der bindigen Verwitterungsschicht statt. Durch die Aufsättigung des Bodens nahm dessen Raumgewicht zu und gleichzeitig die Scherfestigkeit dieser Deckschichten ab. Damit einhergehend nahmen der Porenwasserdruck sowie der Strömungsdruck und somit die treibenden Kräfte zu. Dies führte zur Ausbildung einer Gleitfläche an der Basis der wassergesättigten Verwitterungsschicht und letztendlich zum Abrutschen des Schichtpaketes.
Sofortmaßnahmen
Nach dem Ereignis hat das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau (LGRB) den Schadensbereich zunächst auf Anzeichen für weitere Böschungsinstabilitäten (Abrissspalten, Aufwulstungen, Wasseraustritte etc.) untersucht.
Zum Schutz der Böschung vor weiterem Wasserzutritt und dadurch hervorgerufenen Abschwemmungen wurde das Oberflächenwasser zunächst durch eine aufgeschichtete Sandsackbarriere sowie zwei etwa 10 m lange Abfanggräben oberhalb der ehemaligen Böschungskrone des Schadensbereiches gefasst.
Nach Abschluss dieser Sofortmaßnahmen sowie der Säuberung der Fahrbahn konnte die gegenüberliegende Fahrspur in Richtung Lindau noch in derselben Nacht wieder freigegeben werden.
Im Anschluss mussten am Morgen des Folgetages (Samstag, 24.01.2009) an der Ostseite des Abrissgebiets noch weitere 30 m3 abrutschende und abrutschgefährdete Lockergesteinsmassen mittels Teleskop-Bagger abgetragen und durch eine Böschungsreprofilierung erste Stabilisierungsmaßnahmen des Böschungskörpers durchgeführt werden. Diese bestanden in einer Ausrundung der übersteilten Abrisskante der Rutschung sowie dem Entfernen von randlich stehenden, in den Abriss hineinragenden Bäumen.
Da die endgültigen Sicherungsmaßnahmen nicht unmittelbar nach den Sofortmaßnahmen erfolgen konnten, wurde zur geordneten Abführung von anfallendem Oberflächenwasser eine temporäre Entwässerungsrinne von der Böschungskrone zum Böschungsfuß modelliert, über die anfallendes Oberflächenwasser schadlos in die Streckenentwässerung der A98 abgeleitet wurde. Der Böschungsfuß wurde temporär durch eine etwa 3 m hohe, flach geneigte Vorschüttung aus schluffigem Sand und Kies stabilisiert. Nach Abschluss dieser Maßnahme konnte die A98 in Fahrtrichtung Autobahnkreuz Hegau am Samstagnachmittag wieder einspurig mit Geschwindigkeitsbeschränkung für den Verkehr freigegeben werden.
Sanierung
Da die o. g. Maßnahmen allein zur temporären Sicherung der Böschung vorgesehen waren, hat das LGRB abschließende Wiederaufbaumaßnahmen für die Böschung empfohlen. Diese Maßnahmen bestanden zunächst aus dem Einbau einer Filterschicht aus reibungsbegabtem und verwitterungsbeständigem Material (z. B. Schroppen, gebrochener Grobschotter o. ä.) an der Böschungsoberfläche. Zur Realisierung einer kraftschlüssigen Verbindung der Filterschicht mit dem Böschungsuntergrund sollte deren Aufstandsfläche abgetreppt hergestellt werden. Die Plattformen der Abtreppungen waren in einem leichten Gefälle in Richtung des Böschungsfußes herzustellen. In Bereichen mit stärker aufgeweichtem Bodenmaterial wurde der Einbau von Sickerstützscheiben in einem lateralen Abstand von ca. 5 m empfohlen.
Als weitere Maßnahme sollte der bestehende Abfanggraben oberhalb der Böschung im Schadensbereich ausgebaut werden, um zuströmendes Wasser schadlos aus der Böschung über eine dauerhafte Wasserführung (Rohr, Raugerinne, Halbschale [tech.]) in die Streckenentwässerung der A98 zu leiten.
Die empfohlenen Maßnahmen wurden im März 2009 umgesetzt. Danach konnten die restlichen Beschränkungen wieder aufgehoben werden.
Nachfolgend sind die wichtigsten Merkmale der schlammstromartigen Böschungsrutschung auf die A98 bei Orsingen-Nenzingen tabellarisch aufgelistet:
Stammdaten:
Objekt-ID |
8119_Fl00001 |
Objektname |
Schlammstromartige Böschungsrutschung an der A98 bei Orsingen-Nenzingen |
Lokalität |
A98, Autobahnkilometer 128 |
Gemeinde |
Orsingen-Nenzingen |
Stadt-/Landkreis |
Konstanz |
TK25-Nr. |
8119 |
TK25-Name |
Eigeltingen |
Datengrundlage |
DGM, Geologische Karte, Geländebegehung |
Lage-Bezugspunkt |
Höchster Punkt des Abrissbereichs |
Ostwert |
496894 |
Nordwert |
5297522 |
Koordinatenreferenzsystem |
ETRS89/UTM32 |
Koordinatenfindung |
Karte |
Höhe [m ü. NHN] |
459 |
Höhenermittlung |
Karte |
Allgemeine Fachdaten:
Entstehungszeitraum |
23.01.2009 |
Geländenutzung während der Entstehung |
Ackerland, Feldweg, Autobahn |
Schäden |
Straßenschäden, Personenschäden, Schäden an beweglichen Gütern |
Spezielle Fachdaten Massenbewegungen:
Primär-/Folgeereignis |
Primärereignis |
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Prozess der Hauptbewegung |
Fließprozess, sehr schneller Prozess |
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Max. Länge [m] |
ca. 16 |
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Max. Breite [m] |
Abrissbereich |
ca. 14 |
|
ca. 14 |
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Ablagerungsbereich |
k. A. |
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Betroffene Fläche [m2] |
800 |
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Max. Mächtig-keit [m] |
Abrissbereich |
2 |
|
Transportbereich |
< 1 |
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Ablagerungsbereich |
< 1 |
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Fläche des Abrissbereiches [m2] |
225 |
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Kubatur der Abrissmasse [m3] |
120 |
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Höchster Punkt des Abrissbereiches [m ü. NHN] |
459 |
||
Höchster Punkt des Ablagerungsbereiches [m ü. NHN] |
449 |
||
Max. Höhenunterschied zwischen Abrissbereich und Top des Ablagerungsbereiches [m] |
10 |
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Tiefster Punkt des Ablagerungsbereiches [m ü. NHN] |
449 |
||
Max. Höhenunterschied (H) zwischen höchstem Punkt des Abrissbereiches und tiefstem Punkt des Ablagerungsbereiches [m] |
10 |
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Exposition zwischen höchstem und tiefstem Punkt des Ereignisses [°] |
170 |
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Durchschnittliche Hangneigung zwischen höchstem und tiefstem Punkt des Ereignisses [°] |
33 |
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Hang-neigung [°] |
Abrissbereich |
33 |
|
Transportbereich |
33 |
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Ablagerungsbereich |
0 |
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Ursache |
geogen |
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Auslöser |
geogen |
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Geologie |
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Kißlegg-Subformation (qlLK) |
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Hasenweiler-Schotter (qHWg) |
Kies, Sand, Diamikt |
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Sicherungsmaßnahmen |
Entfernung labiler Lockergesteinsmassen, temporäre Sicherung (Böschungsreprofilierung, Entwässerungsrinne zum Ableiten von Oberflächenwasser, provisorische Stabilisierung des Böschungsfußes durch ca. 3 m hohe Vorschüttung), Wiederaufbau Böschung (kraftschlüssige Verzahnung von Filterschicht und abgetreppter Aufstandsfläche), Einbau von Sickerstützscheiben, dauerhafte Wasserführung oberhalb der Böschung |
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Sonstige Anmerkungen |
Starkregen nach anhaltender Frostperiode, rinnenartiges Eintiefen des abströmenden Wassers |