Einleitung
Bereits seit ca. 150 Jahren werden in Baden-Württemberg zahlreiche Tunnel gebaut – zunächst für die Eisenbahn, später auch für den Straßen- und Autobahnverkehr. In einigen dieser Tunnel wurde das Phänomen von ausgeprägten Gebirgsdrücken und Gebirgshebungen beobachtet, so dass in kurzen Zeitabständen immer wieder Schäden am Tunnelgewölbe und Hebungen an der Tunnelsohle beseitigt werden mussten. Gehäuft trat dieses Phänomen auf, wenn Tunnel Gesteine der Grabfeld-Formation (Gipskeuper) durchörterten. Ein eindrucksvolles und gut untersuchtes Beispiel hierfür ist der Wagenburgtunnel in Stuttgart.
Übersicht
Der Wagenburgtunnel quert auf 824 m Länge die Uhlandshöhe in Stuttgart. Die maximale Gebirgsüberlagerung über Fahrbahnhöhe beträgt ca. 60 m. Der Straßentunnel verbindet dabei die Stuttgarter Innenstadt mit den östlichen Stadtteilen Gablenberg, Gaisburg und Ostheim. Erste Überlegungen zum Bau des Wagenburgtunnels gehen bis in die 1920er Jahre zurück. 1941 wurde mit dem Bau an beiden Tunnelröhren (Nordröhre und Südröhre) begonnen. Während der Kriegsjahre dienten die beiden Tunnelröhren als Luftschutzraum. Nach Kriegsende wurde in den Jahren 1946 bis 1957 die Südröhre als Straßentunnel ausgebaut und war bei Fertigstellung der längste Straßentunnel Deutschlands. Die Nordröhre hingegen wurde nur auf einem kurzen Streckenabschnitt weiter ausgebaut (Stadt Stuttgart, 1958; Krause & Wurm, 1975). Im Rahmen eines großen Forschungsprojektes (Finanzierung: Straßenbauverwaltung des Bundes, Stadt Stuttgart, Deutsche Bundesbahn) wurden bis 1975 interdisziplinär (sechs beteiligte Institute) die mineralogischen, geologischen und geotechnischen Parameter der quellfähigen Gesteine der Grabfeld-Formation erforscht. Besonders intensive Untersuchungen fanden dabei im Wagenburgtunnel statt.
Geologische Gegebenheiten
An der Uhlandshöhe stehen im Bereich des Wagenburgtunnels unter Hangschutt sowie teils mächtigen Anthropogenen Ablagerungen (Aufschüttungen, Auffüllungen) Gesteine der Stuttgart-Formation (Schilfsandsteine) und der Grabfeld-Formation (Gipskeuper) an. Der Wagenburgtunnel selbst durchörtert die Obere Grabfeld-Formation (Estherienschichten) sowie die Mittlere Grabfeld-Formation (Mittlerer Gipshorizont), jeweils Subformationen der Grabfeld-Formation. Im etwa 35 m mächtigen Mittleren Gipshorizont sind Sulfatgesteine vor allem in Form von dünnen Bänken, Knauern und als Fasergips ausgebildet. Ausgesprochene Gipsbänke sind selten. Der Sulfatanteil erreicht bis zu 20 %. Daneben sind in der Grabfeld-Formation hohe Anteile des quellfähigen Tonminerals Corrensit enthalten. Die Schichten sind im Tunnelbereich nahezu horizontal gelagert. Bedingt durch ein Ansteigen des Tunnels in östlicher Richtung mit ca. 5–6 % werden im Ausbruchsprofil nach Osten immer jüngere Gesteinsschichten angetroffen (Stadt Stuttgart, 1958; Einfalt, 1975; Krause & Wurm, 1975; Lippmann & Schürle, 1975).
Anhand zahlreicher Erkundungsbohrungen sowie durch den Tunnelbau konnte die Lage des Gipsspiegels nachgewiesen werden. Im Bereich der Nordröhre liegt der Gipsspiegel meist ca. 35–40 m unter Gelände und ist im Vergleich zu manchen anderen Tunneln (z. B. Tübingen) besonders scharf ausgebildet. Lokal wird in beiden Röhren ausgelaugtes Gebirge im Tunnelprofil angeschnitten. Unterhalb des Sulfatspiegels nimmt mit zunehmender Tiefe der Gipsanteil zugunsten des Anhydritanteils ab und die Umwandlung von Anhydrit in Gips (Lösungs-/Fällungsreaktion) ist immer weniger weit fortgeschritten. Die Sulfatgesteine liegen schließlich nahezu vollständig als Anhydrit vor und Gips tritt fast ausschließlich als Fasergips auf (Einfalt, 1975; Krause & Wurm, 1975; Krause, 1977).
Grundwasser
Die Wasserführung (weniger als 1 l/s) beschränkt sich vor allem auf die Portalzonen des Wagenburgtunnels sowie auf Bereiche unmittelbar über dem Gipsspiegel. Daneben wurden auch an verschiedenen Stellen des Tunnelprofils teils schwache, teils starke Kluftwasserzutritte beobachtet, welche auf lokal begrenzte, tiefreichende Auslaugungszonen hindeuten. Im Berginnern ist das Wasser stark sulfathaltig und folglich betonaggressiv (Stadt Stuttgart, 1958; Krause & Wurm, 1975).
Bauliche Gegebenheiten und beobachtete Hebungen
Ausgeprägte Sohlhebungen wurden in beiden Röhren des Wagenburgtunnels beobachtet. Diese beschränken sich auf den berginneren Kern zwischen Station 0+300 und 0+500. Eindrucksvoll lässt sich dieses Phänomen im 1942 fertiggestellten Sohlstollen der Nordröhre (Ausbruchsquerschnitt: 3,2 m breit, 2,7 m hoch; Betongewölbe 20–30 cm stark; kein Sohlgewölbe) beobachten, welcher heute als Fluchtstollen dient. Bei ungehindertem Quellen/Schwellen wurden im Zeitraum bis 1970 Sohlhebungen von bis zu 120 cm (bei ca. Station 0+391) gemessen. Zeitgleich wurden an der Tunnelfirste Hebungen von bis zu 30 cm festgestellt. Der 1957 fertiggestellte Straßentunnel (Südröhre) wurde im Widerstandsprinzip mit einem 50 cm starken Sohlgewölbe sowie einem Zugband zwischen den Ulmenfußpunkten einschließlich zwei hydraulischen Druckkissen in den Ulmen gebaut. Im Zeitraum von 19 Jahren (1957–1976) wurden in der Fahrbahn Hebungen von bis zu ca. 20 cm festgestellt. Im Ab- und Zuluftkanal führte das Tiefbauamt Stuttgart ab 1962 Messungen durch. Bis März 1974 betrugen dort die Hebungen 9,3 cm (Krause & Wurm, 1975; Krause, 1977). Auch aus dem Jahr 1977 berichtet Krause (1977) noch von einer durchschnittlichen Hebung der gesamten Südröhre bei Station 0+385 von 0,7–0,8 cm pro Jahr. Seit 1982 wiesen zunehmende Hebungsraten in der Sohle auf ein sich abzeichnendes Versagen des Sohlgewölbes hin. 1986 musste daher das Sohlgewölbe im Anhydrit-führenden Gebirgsbereich saniert werden (Paul & Wichter, 1996). Nach erfolgreich durchgeführten Sanierungsmaßnahmen bestehen im Wagenburgtunnel derzeit keine Probleme durch Anhydritschwellen und Corrensitquellen oder sind Schäden gegenwärtig durch dieses Phänomen nicht zu erwarten.
Bis heute haben die Quelldrücke zu Hebungen der Tunnelschale von insgesamt bis zu ca. 25 cm geführt. Kleinere Auswirkungen sind bei genauem Hinsehen noch heute in der Fahrbahn wahrzunehmen. An der Geländeoberfläche traten bei einer Überdeckung der Tunnelfirste von über 40 m Hebungen im Bereich einiger Zentimeter auf (Krause & Wurm, 1975; Paul & Wichter, 1996; Rogowski et al., 2017).
Erkundungen im Wagenburgtunnel
Im Zuge der interdisziplinären Untersuchung des Phänomens der Sohlhebung von Tunnel in den Gesteinen der Grabfeld-Formation wurden in den 1970er Jahren im Wagenburgtunnel u. a. Bohrungen abgeteuft, Schürfe angelegt und Versuchsstollen (zwei 20 m lange, 3 m breite und 2,7 m hohe Versuchsquerschläge) gegraben.
Anhand von Schürfen im Sohlstollen der Nordröhre wurden die Veränderungen des Gebirges unterhalb der Sohle näher untersucht. Krause & Wurm (1975) berichten von deutlichen Schichtverdickungen, Relativbewegungen entlang von Trennflächen sowie einer fast vollständigen Umwandlung des Anhydrits. Die Gebirgsauflockerung konnten sie bei Station 0+384 bis in ca. 4,3 m Tiefe unter der Tunnelsohle beobachten.
Kirchmayer (1975) untersuchte Proben im Hinblick auf ihre Mineralogie und ihr Gefüge. Bei seinen gefügekundlichen Untersuchungen beschreibt er eine Reaktivierung fossiler Trennflächen, die zu einer Auflockerung des Probenmaterials führten. Vor allem starke Auflockerungen in dünnbankigen Schichtpaketen verursachten starke Sohlhebungen. Wohingegen massigere, kompetentere Lagen weniger anfällig für Gefügeneubildungen (Auflockerungen) waren. Dementsprechend waren die dortigen Sohlhebungen weniger stark ausgeprägt.
Um weitergehende Erkenntnisse zum Gebirgsverhalten zu erlangen, wurden Anfang der 1970er Jahre Großversuche in zwei Versuchsquerschlägen durchgeführt. Im Zeitraum von drei Jahren hat sich die Sohle in einem luftfeuchten Versuchsquerschlag um ca. 2,5 cm gehoben. Es wurden Quelldrücke mit durchschnittlich ca. 2,5 MPa (max. 4 MPa) mit steigender Tendenz gemessen. Der andere Versuchsquerschlag wurde bewässert. Innerhalb von einem Jahr wurden hierbei Sohlhebungen von bis zu 20 cm sowie durchschnittliche Quelldrücke von 3 MPa (max. 4,8 MPa) aufgezeichnet (Henke et al., 1975; Henke, 1975).
Die Erfahrungen der in-situ-Versuche konnten in der Folgezeit bei weiteren Tunnelbauwerken genutzt werden.
Zusammenfassung der Beobachtungen
Wie auch aus anderen Tunneln mit beobachteten ähnlichen Phänomenen bekannt, beschränken sich Tunnelabschnitte mit Sohlhebungen auf die bei der Auffahrung vollständig trockene, berginnere Zone von Gebirgen, in denen das Sulfatgestein als Anhydrit vorliegt (zu den Mechanismen des ablaufenden Hebungsprozesses siehe Themenseite zu Corrensitquellen und Anhydritschwellen). Auch setzten die Sohlhebungen i. d. R. bereits unmittelbar nach Freilegung des Anhydrit-führenden Gebirges ein und dauern über Jahrzehnte an. Eine langsam abnehmende Tendenz der Hebungsentwicklung ist aber meist deutlich erkennbar. Ehemals trockene Anhydrit-führende Gebirgsabschnitte zeigen bereits nach kurzer Zeit Veränderungen, wenn Schichtwasser aus den wasserführenden portalnahen Zonen dem zumeist einseitigen Gefälle folgend ins Berginnere (Längsläufigkeit) gelangt (entweder durch zwischenzeitlich zerstörte Sohldrainagen oder durch aufgelockertes und bereits gequollenes Gebirge im Sohlbereich). In Tunnelstrecken ohne Sohlgewölbe (i. d. R. ältere Eisenbahntunnel) kann zudem Wasser aus dem Bahnbetrieb und der Belüftung in Anhydrit-führendes Gebirge eindringen. In Gebirgsbereichen, in denen der Anhydrit bereits vor Auffahren einer Tunnelröhre in Gips umgewandelt wurde bzw. sulfathaltige Gesteine bereits vollständig weggelöst wurden (z. B. auch äußere Zonen des Wagenburgtunnels), wurden hingegen keine Sohlhebungen beobachtet (Krause & Wurm, 1975; Krause, 1977).
Weitere Ausführungen zur Problematik von Untertagebauten in Anhydrit-führenden Gebirgen sowie zu den daraus erforderlichen Maßnahmen im Tunnelbau werden in der Themenseite „Corrensitquellen und Anhydritschwellen“ dargelegt. Auf die dortigen Kapitel „Problematik bei Untertagebauten“ bzw. „Maßnahmen“ wird verwiesen.
Literatur
- (1975). Ergebnisse der Untersuchungen an den Calciumsulfatmineralien aus dem Gipskeuper Stuttgarts. . „Durchführung eines felsmechanischen Großversuches in der Nordröhre des Wagenburgtunnels in Stuttgart“, S. 95–118, Bonn (Band 184 der Schriftenreihe „Straßenbau und Straßenverkehrstechnik“, Forschungsberichte aus dem Forschungsprogramm des Bundesverkehrsministeriums und der Forschungsgesellschaft für das Straßenwesen e. V.).
- (1975). Magnitude and rate of heave in tunnels in calcium sulphate bearing rocks. – Bulletin of the International Association of Engineering Geology, 14(1), S. 61–64.
- (1975). Geomechanische Untersuchungen im Gipskeuper. . „Durchführung eines felsmechanischen Großversuches in der Nordröhre des Wagenburgtunnels in Stuttgart“, S. 149–162, Bonn (Band 184 der Schriftenreihe „Straßenbau und Straßenverkehrstechnik“, Forschungsberichte aus dem Forschungsprogramm des Bundesverkehrsministeriums und der Forschungsgesellschaft für das Straßenwesen e. V.).
- (1975). Die Sulfide in den Bohrungen innerhalb der Sohlhebung, die Verteilung der Verwitterungsfarben auf den Gesteinsoberflächen und die Gefügeregelung der Gesteine des Gipskeupers im Fensterinhalt Wagenburgtunnel-Großversuch, Stuttgart. . „Durchführung eines felsmechanischen Großversuches in der Nordröhre des Wagenburgtunnels in Stuttgart“, S. –, Bonn (Band 184 der Schriftenreihe „Straßenbau und Straßenverkehrstechnik“, Forschungsberichte aus dem Forschungsprogramm des Bundesverkehrsministeriums und der Forschungsgesellschaft für das Straßenwesen e. V.).
- (1977). Zur Geologie und Statistik des Tunnelbaus in Baden-Württemberg unter besonderer Berücksichtigung der Keupertunnel. – Jahreshefte des Geologischen Landesamtes Baden-Württemberg, 19, S. 35–57.
- (1975). Geologische Grundlagen und Untersuchungen zum Problem der Sohlhebungen in Keupertunneln Baden-Württembergs. . „Durchführung eines felsmechanischen Großversuches in der Nordröhre des Wagenburgtunnels in Stuttgart“, S. –, Bonn (Band 184 der Schriftenreihe „Straßenbau und Straßenverkehrstechnik“, Forschungsberichte aus dem Forschungsprogramm des Bundesverkehrsministeriums und der Forschungsgesellschaft für das Straßenwesen e. V.).
- (1975). Mineralogische Untersuchungen an Keupergesteinen unter besonderer Berücksichtigung der Tonminerale. . „Durchführung eines felsmechanischen Großversuches in der Nordröhre des Wagenburgtunnels in Stuttgart“, S. –, Bonn (Band 184 der Schriftenreihe „Straßenbau und Straßenverkehrstechnik“, Forschungsberichte aus dem Forschungsprogramm des Bundesverkehrsministeriums und der Forschungsgesellschaft für das Straßenwesen e. V.).
- (1996). Das Langzeitverhalten von Tunnelbauwerken in quellfähigem Gebirge – Neuere Meßergebnisse vom Stuttgarter Wagenburgtunnel. . Taschenbuch für den Tunnelbau 1996, 20, S. 135–164, Essen (Glückauf).
- (2017). Der Baugrund von Stuttgart – Erläuterungstext und digitale Baugrundgeologische Karten. 157 S., Freiburg i. Br. (Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau; Landeshauptstadt Stuttgart).
- (1958). Der Wagenburgtunnel in Stuttgart. – Die Arbeiten des Tiefbauamtes. Folge 1, 66 S., Stuttgart.