Definition Rutschungen
Rutschungen sind hangabwärts gerichtete gleitende Bewegungen von Fest- und/oder Lockergesteinen. Sie entstehen an definierten Gleitflächen, wobei je nach Form der Gleitflächen zwischen Translations- und Rotationsrutschung unterschieden wird. Während der Bewegung auf einer Gleitfläche behält die Rutschmasse den Kontakt zur Unterlage weitgehend bei. Dabei erfassen die Rutschungen oft große Areale (AD-HOC-Arbeitsgruppe Geologie, 2016).
Rotationrutschungen zeichnen sich durch eine tiefgreifende, schaufelförmige Gleitfläche aus. Diese Rutschungen treten sowohl in mächtigen Sedimenten, als auch am Übergang von wasserdurchlässigen Gesteinen (Kalk-, Sandsteine sowie Konglomerate) zu wasserstauenden, veränderlich festen Gesteinen (Ton- und Mergelgesteine) auf. Die Gleitflächen großer Rutschschollen liegen oft weit unter der Geländeoberfläche, wodurch das Niederschlagswasser eine lange Sickerstrecke bis zur Gleitfläche zurücklegen muss. Aus diesem Grund können Rutschereignisse mit einem zeitlichen Abstand zu den auslösenden Niederschlagsereignissen auftreten. Dies ist jedoch nicht zwingend der Fall. Grundsätzlich führt eine Bewässerung der Gleitfläche zu einer Erhöhung der Porenwasserdrücke. Dies wirkt der Normalkraft entgegen, wodurch die haltende Kraft reduziert wird. Überschreitet die hangabtreibende Kraft die haltende Kraft der Rutschmassen, kommt es zu einem Abrutschen.
Translationsrutschungen weisen eine flache, oft hangparallele Gleitfläche auf. Die Rutschungen treten vor allem in Ton-, Mergel- und Schluffgesteinen auf. Hierbei findet durch Wasserzutritte eine Aufsättigung der Verwitterungs- und oberen Gesteinsschichten statt. Insbesondere bei Ton- und Mergelgesteinen führt die Wasseraufnahme zu einer Entfestigung und damit zu einer deutlichen Verschlechterung der Scherfestigkeit (Reibungswinkel/Kohäsion). Dies bedeutet, dass durch die Verwitterung bei der Umwandlung von Festgesteinen zu Lockergesteinen zum einen der Reibungswinkel herabgesetzt wird, wobei das Wasser eine indirekte Rolle spielt. Die direkte Wasseraufnahme zum anderen führt zu einer Reduzierung der Kohäsion. Gesteine, die unter Wassereinfluss ihr Verhalten von Festgesteins- zu Lockergesteinseigenschaften ändern, werden deshalb als veränderlich feste Gesteine bezeichnet. Beide Faktoren führen zu einer Reduktion der haltenden Kraft. Falls durch die Wasseraufnahme die Scherfestigkeit soweit herabgesetzt wird, dass das Hanggleichgewicht nicht mehr gegeben ist und die haltende Kraft kleiner als die hangabtreibende Kraft wird, kommt es zum Abrutschen der aufgesättigten und entfestigten Gesteinsbereiche auf dem unterliegenden festen Ausgangsgestein. Aufgrund der geringen Eindringtiefe des Wassers treten solche Translationsrutschungen häufig während oder unmittelbar nach starken Niederschlägen auf.
Die Übergänge zwischen Rotations- und Translationsrutschung sind fließend. Es treten in der Natur häufig Mischformen auf. So kann eine Rutschung im oberen Bereich die typischen Anzeichen einer Rotationsrutschung aufweisen, jedoch im unteren Bereich in Formen übergehen, die einer Translationsrutschung gleichen. Es besteht auch die Möglichkeit, dass die Rutschung aufgrund der starken Aufsättigung vom Prozess „Rutschen“ in den Prozess „Fließen“ übergeht und damit den murgangähnlichen Ereignissen zuzuordnen ist.
Auslöser von Rutschungen
Im Prinzip kann man außer den geologischen Voraussetzungen, die für das Auftreten einer Rutschung immer gegeben sein müssen, zwei Hauptursachen nennen, die fast bei allen Rutschungen mitwirken, nämlich die Veränderung in der Neigung oder der Höhe eines Hanges, bzw. einer Böschung (Änderung der Hanggeometrie) und die Wirkung des Wassers (Prinz & Strauß, 2011).
Wasser
Wasser gilt allgemein als der „Motor“ von Rutschungen. Neben anderen Faktoren wie Hangneigung, Lithologie etc. hat bei der Entstehung von Rutschungen der Wasserzufluss eine übergeordnete Rolle. Der Einfluss des Wassers auf die Entstehung von Rutschungen beschränkt sich dabei nicht nur auf die Durchfeuchtung und Aufweichung von Locker- und Festgesteinen. Ein Ansteigen des Grundwasserspiegels hat in Festgesteinen die Erhöhung des Kluftwasserdrucks und in Lockergesteinen eine Zunahme des Porenwasserdrucks auf einer potentiellen Gleitfläche zur Folge. Dies wiederum führt zu Auftrieb, welcher die haltenden Kräfte reduziert. In Lockergesteinen bewirkt der erhöhte Wassergehalt außerdem eine Gewichtszunahme, die das Gewicht der Rutschmasse und damit die hangabtreibenden Kräfte erhöht, was das Abgleiten des Rutschkörpers begünstigt. Schadensereignisse durch Rutschungen häufen sich daher nach lang anhaltenden Niederschlägen und der Schneeschmelze.
In sehr vielen Fällen werden Bodenbewegungen auch durch künstliche Zufuhr von Oberflächenwasser ausgelöst. Die Ursachen sind vielfältig und können von defekten Drainagen bis zu starken Wasserzutritten an Tiefpunkten von versiegelten Flächen reichen.
Änderungen der Hanggeometrie
Ein weiterer entscheidender Faktor bei der Entstehung von Rutschungen ist die Veränderung der Hanggeometrie. Viele Hänge befinden sich in einem labilen Gleichgewichtszustand zwischen abtreibenden und haltenden Kräften. Durch geringfügige Änderungen in der Hanggeometrie kann dieses Gleichgewicht gestört werden. Dabei ist zwischen natürlichen und künstlichen Faktoren zu unterscheiden.
Als natürliche Faktoren kommen die Versteilung von Hängen durch Erosion und das Unterschneiden von Hängen durch Fließgewässer in Frage. Dies sind Prozesse, die über einen langen Zeitraum ablaufen können. So sind in Baden-Württemberg zahlreiche Rutschungen im Bereich von Steilstufen vorhanden, die ihre Ursache in der Denudation vergangener Eiszeiten haben.
Als künstliche Faktoren sind in der Regel anthropogene Ablagerungen (Dammschüttungen, Deponien, Flurbereinigungen etc.) sowie Abgrabungen im Bereich des Hangfußes (tiefe und/oder breite Baugruben, Straßeneinschnitte etc.) zu nennen. So kommt es immer wieder vor, dass durch bauliche Maßnahmen Hänge, die sich in einem labilen Gleichgewicht befinden, instabil werden. Auch die Reaktivierung fossiler Rutschschollen ist durch künstliche Eingriffe in das Hanggleichgewicht möglich.
Erschütterungen
Ebenso können sich Erschütterungen (Erdbeben, Sprengungen, dynamische Belastungen infolge von Bautätigkeiten oder Verkehr) auf die Hangstabilität negativ auswirken und unter entsprechenden Vorbedingungen grundsätzlich Rutschungen induzieren.
Strukturen einer Rutschung
Die Rutschung gliedert sich in der Regel in zwei verschiedene Hauptbereiche: den Abtragsbereich und den Ablagerungsbereich.
Der Abtragsbereich beginnt an der Hauptabrisskante, an welcher die Gleitfläche aufgeschlossen ist. Häufig treten rückwärtig der Hauptabrisskante Risse und Zerrspalten auf, die auf eine Rückverlagerung der Hauptabrisskante hindeuten. Zudem umfasst der Abtragsbereich das Material der Rutschmasse, welches unterhalb der ursprünglichen Geländeoberfläche liegt. In diesem Bereich treten häufig hangaufwärts (antithetisch) verkippte Schollen mit Quer- und Längsrissen auf.
Der Ablagerungsbereich (Akkumulationszone) zeichnet sich dadurch aus, dass das Material der Rutschmasse oberhalb der ursprünglichen Geländeoberfläche liegt. In diesem Bereich treten Stauchwülste auf. Der Ablagerungsbereich endet mit dem unteren Rand der Rutschmasse an einer Stirnwulst (UNESCO, 1993).
Im Allgemeinen zeichnen sich Rutschmassen durch eine unruhige Morphologie in Form von Rutschbuckeln, abflusslosen Senken mit Vernässungen, Nackentälern sowie verkippten bzw. krumm wachsenden Bäumen („Betrunkener Wald“, Säbelwuchs) aus. Innerhalb größerer Rutschungen sind sekundäre Rutschungen möglich, welche ebenfalls durch die verschiedenen Rutschungsmechanismen geprägt sein können.
Rutschungen in der Ingenieurgeologischen Gefahrenhinweiskarte von Baden-Württemberg
Rutschungsflächen sind landesweit in der Ingenieurgeologischen Gefahrenhinweiskarte von Baden-Württemberg (IGHK50) des LGRB von 2014 im Maßstab 1 : 50 000 als Gefahrenhinweisflächen „Rutschungsgebiete“ erfasst. Diese steht als Geoanwendung auf der Homepage des LGRB zur Verfügung (LGRB, 2016b).
Die Gefahrenhinweisflächen „Rutschungsgebiete“ sind Gebiete mit deutlichen Hinweisen auf aktive oder inaktive Rutschungen inkl. Hangzerreißung. Dargestellt ist der Prozessraum ohne Angabe der Gleitflächentiefe. Die Rutschungsprozesse sind bereits erfolgt, eine Reaktivierung bzw. Vergrößerung der Rutschung ist möglich. Die Rutschungsgebiete entstammen der Geologischen Karte sowie aus der fernerkundlichen Auswertung des hochauflösenden Digitalen Geländemodells (DGM) des Landesamts für Geoinformation und Landesentwicklung (LGL).
Aus dieser Karte kann aufgrund der rein fernerkundlichen Auswertung keine Aussage über die Aktivität von Rutschungen getroffen werden. Die Ingenieurgeologische Gefahrenhinweiskarte ist auf die Belange der Raumplanung ausgelegt und deshalb nicht parzellenscharf. Nach der Ingenieurgeologischen Gefahrenhinweiskarte von Baden-Württemberg sind rund 2,5 % (≈ 89 000 ha, über 9000 Einzelflächen) der Landesfläche von Rutschungen betroffen.
Rutschempfindliche Formationen und Konstellationen
Im Bereich der Landesfläche gelten folgende geologische Konstellationen als rutschempfindlich. In diesen Gebieten treten vermehrt Rutschungen auf, welche sich in der Regel mit einer spezifischen geologischen Situation in Verbindung bringen lassen (Wagenplast, 2005).
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Hangrutschungen in den tertiären Gesteinen des südlichen Oberrheingrabens
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Hangrutschungen in den tertiären Gesteinen des Molassebeckens
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Hangrutschungen im Grenzbereich des Mitteljuras zum Oberjura am Albtrauf
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Hangrutschungen in den Gesteinen des Unterjuras bis Mitteljuras im Albvorland
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Hangrutschungen in den Gesteinen vom Muschelkalk bis Oberjura im Wutachtal
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Hangrutschungen in den Gesteinen des Mittelkeupers, Trossingen-Formation
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Hangrutschungen in den Gesteinen des Mittelkeupers, Steigerwald-Formation bis Mainhardt-Formation
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Hangrutschungen im Grenzbereich des Mittleren zum Oberen Muschelkalk
Literatur
- (2016). Gefahrenhinweiskarten geogener Naturgefahren in Deutschland – ein Leitfaden der Staatlichen Geologischen Dienste (SGD). 88 S., Stuttgart (Schweizerbart Science Publishers).
- (1996). Landslide Types and Processes. – Landslides Investigation and Migration, Special Report 247, Washington, D.C. (Transportation Research Board, National Research Council).
- (2016b). Homepage LGRB » Informationssysteme » Geoanwendungen » Geogefahren » Ingenieurgeologische Gefahrenhinweiskarte von Baden-Württemberg, verfügbar unter http://www.lgrb-bw.de/informationssysteme/geoanwendungen/geogefahren.
- (2011). Ingenieurgeologie. 5. bearb. u. erw. Aufl., XIII + 738 S., Heidelberg (Springer Spektrum).
- (1993). Multilingual Landslide Glossary. 59 S., Richmond, B.C., Canada (BiTech Publishers Ltd.).
- (2005). Ingenieurgeologische Gefahren in Baden-Württemberg. – LGRB-Informationen, 16, S. 1–79.