Definition Rutschungen
Rutschungen sind hangabwärts gerichtete gleitende Bewegungen von Fest- und/oder Lockergesteinen. Sie entstehen an definierten Gleitflächen, wobei je nach Form der Gleitfläche zwischen Translationsrutschung und Rotationsrutschung unterschieden wird. Während der Bewegung auf einer Gleitfläche behält die Rutschmasse den Kontakt zur Unterlage weitgehend bei (AD-HOC-Arbeitsgruppe Geologie, 2016). Größe, Tiefe und Geschwindigkeit einer Rutschung können stark variieren.
Ursache von Rutschungen
Gesteinsmassen haben in geneigtem Gelände die Tendenz, hangabwärts zu rutschen. Solange die treibenden Kräfte (Schwerkraft, ggf. Wasserdruck, Auflast etc.) kleiner sind als die einer Rutschung entgegenwirkenden Kräfte (Scherfestigkeit), bleibt ein Hang stabil. Die Hangstabilität ist zeitlich variabel. Eine Rutschung wird ausgelöst, wenn die treibenden Kräfte die haltenden Kräfte überschreiten. Dies kann durch eine Erhöhung der treibenden und/oder durch eine Reduktion der haltenden erfolgen. Besonders labil (rutschanfällig) sind daher Hänge, in denen die treibenden Kräfte und die haltenden Kräfte etwa im Gleichgewicht stehen.
Die Hangstabilität hängt insbesondere von folgenden Faktoren ab:
- Geologie/Lithologie
- Hanggeometrie
- Wasser
- Erschütterungen
- Vegetation
Diese Faktoren sind lang- bis kurzfristigen Änderungen durch natürliche und anthropogene Prozesse unterworfen. Dabei wird zwischen den langfristigen geogenen Prozessen, den „vorbereitenden Faktoren“, und den relativ kurzfristigen geogenen oder äußeren Prozessen, den „auslösenden Faktoren“ unterschieden. Häufig liegt ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren vor.
Vorbereitende Faktoren
Zu den vorbereitenden Faktoren gehören alle Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, so dass sich eine Rutschung überhaupt entwickeln kann. Dazu gehört vor allem ein ausreichend ausgeprägtes Relief, welches sich in der Regel durch erosive, denudative und tektonische Prozesse über einen langen Zeitraum ausbildet, sowie ungünstige geologische/lithologische Verhältnisse.
Geologische/lithologische Voraussetzungen
Für die Entstehung von Rutschungen muss ein entsprechend rutschanfälliges Gestein mit einer geringen Scherfestigkeit vorhanden sein. Ab einer bestimmten Hangneigung kann aber jedes ausreichend aufgelockerte/entfestigte Gestein ins Rutschen geraten. Durch Verwitterung und Entfestigung/Auflockerung der anstehenden Gesteine verschlechtern sich allmählich die Scherparameter (effektiver Reibungswinkel und Kohäsion) und reduzieren damit die haltenden Kräfte. In veränderlich festen Gesteinen wie Ton-, Schluff- bis Mergelsteinen laufen diese Prozesse besonders schnell ab. Als rutschanfällig erweisen sich auch bestimmte geologische Strukturen, deren vorangelegte Trennflächen geringere Scherparameter aufweisen und daher Schwächezonen darstellen. Dies ist z. B. der Fall, wenn gut wasserdurchlässige Gesteine (z. B. Sandsteine, Kalksteine, Kiese und Sande) gering wasserdurchlässigen tonigen bis mergeligen Gesteinsschichten auflagern. In Baden-Württemberg sind die meisten und größten Rutschungen an eine derartige geologische Konstellation gebunden.
Auslösende Faktoren
Neben den vorbereitenden Faktoren, als zwingend erforderliche Voraussetzung, sind zwei Hauptursachen als auslösende Faktoren zu nennen, die bei der Entstehung von Rutschungen fast immer mitwirken. Dies sind die Wirkung des Wassers sowie eine kurzfristige Änderung in der Neigung und/oder der Höhe eines Hanges bzw. einer Böschung (Änderung der Hanggeometrie) (Prinz & Strauß, 2018).
Wasser
Wasser gilt allgemein als der „Motor“ von Rutschungen. Neben anderen Faktoren wie Hangneigung, Lithologie etc. hat bei der Entstehung von Rutschungen der Wasserzufluss eine übergeordnete Rolle. Der Einfluss des Wassers auf die Entstehung von Rutschungen beschränkt sich dabei nicht nur auf die Durchfeuchtung und Aufweichung von Locker- und Festgesteinen. Ein Anstieg des Grundwasserspiegels hat in Festgesteinen die Erhöhung des Kluftwasserdrucks und in Lockergesteinen eine Zunahme des Porenwasserdrucks auf einer potentiellen Gleitfläche zur Folge. Dies wiederum führt zu Auftrieb, welcher die haltenden Kräfte reduziert. Zudem bewirkt der erhöhte Wassergehalt eine Gewichtszunahme, die das Gewicht der Rutschmasse und damit die treibenden Kräfte erhöht, was das Abgleiten eines Rutschkörpers begünstigt. Schadensereignisse durch Rutschungen häufen sich daher nach langanhaltenden Niederschlägen, nach Starkniederschlägen oder nach der Schneeschmelze.
In sehr vielen Fällen werden Rutschungen auch durch künstliche Zufuhr von Oberflächenwasser oder durch konzentrierten punktuellen Wassereintrag in den Untergrund ausgelöst. Die Ursachen sind vielfältig und können von defekten Drainagen bis zu starken Wasserzutritten an Tiefpunkten von versiegelten Flächen reichen.
Änderung der Hanggeometrie
Ein weiterer entscheidender Faktor bei der Entstehung von Rutschungen ist eine kurzfristige Veränderung der Hanggeometrie. Viele Hänge befinden sich bereits in einem labilen Gleichgewichtszustand zwischen treibenden und haltenden Kräften. Durch geringfügige Änderungen in der Hanggeometrie kann dieses Gleichgewicht gestört werden. Dabei ist zwischen natürlichen und künstlichen Faktoren zu unterscheiden.
Als natürliche Faktoren kommt die Versteilung von Hängen durch Erosion und das Unterschneiden von Hängen durch Fließgewässer in Frage (z. B. bei Starkniederschlägen mit Ausbildung von Sturzfluten oder Anschwellen von Bächen oder Flüssen).
Als künstliche Faktoren sind in der Regel anthropogene Ablagerungen (Dammschüttungen, Deponien, Flurbereinigungen etc.) im oberen Bereich sowie Abgrabungen (tiefe und/oder breite Baugruben, Straßeneinschnitte etc.) im unteren Bereich einer sich später ausbildenden Rutschung zu nennen. So kommt es immer wieder vor, dass durch bauliche Maßnahmen Hänge, die sich in einem labilen Gleichgewicht befinden, instabil werden. Auch die Reaktivierung fossiler Rutschschollen ist durch künstliche Eingriffe in das Hanggleichgewicht möglich.
Erschütterungen
Ebenso können sich Erschütterungen (Erdbeben, Sprengungen, dynamische Belastungen infolge von Bautätigkeiten oder Verkehr) auf die Hangstabilität negativ auswirken und unter entsprechenden Vorbedingungen grundsätzlich Rutschungen auslösen.
Vegetation
Ein dichter Bewuchs (z. B. Waldbestand) hingegen wirkt sich mit seinem Wurzelgeflecht (Wurzelkohäsion) stabilisierend auf oberflächennahe Gesteinsschichten aus. Auch verringert Vegetation das Eindringen von Niederschlagswasser in den Untergrund sowie den dortigen Wassergehalt. Ursächlich hierfür sind Interzeptionsverluste sowie die Transpiration. Dies erhöht ebenfalls die Hangstabilität. Demgegenüber wirkt sich der Verlust einer Vegetation negativ auf die Stabilität von Hängen aus. Nach einem Waldbrand, Kahlschlag oder bei generellem Fehlen einer Pflanzendecke sind daher derartige Hangflächen anfälliger für Rutschungen.
Mit zunehmender Mächtigkeit der Rutschungsstrukturen (Tiefe der Gleitfläche) nimmt die Bedeutung der Vegetation als stabilisierender Faktor jedoch ab.
Rutschungstypen
Rotationrutschungen zeichnen sich durch eine tiefgreifende, schaufelförmige Gleitfläche aus. Diese Rutschungen treten sowohl in mächtigen homogenen Sedimenten auf, als auch am Übergang von wasserdurchlässigen Gesteinen (z. B. Kalk-, Sandsteine sowie Konglomerate) zu gering wasserdurchlässigen veränderlich festen Gesteinen wie Ton-, Schluff- bis Mergelsteinen.
Translationsrutschungen weisen meist eine flache, oft hangparallele Gleitfläche auf. Diese Rutschungen treten bevorzugt in Ton-, Mergel- und Schluffsteinen auf, aber auch im Übergangsbereich zwischen Locker- und Festgestein. Aufgrund der geringen Eindringtiefe des Wassers bzw. der geringmächtigen Lockergesteinsauflage treten solche Translationsrutschungen häufig während oder unmittelbar nach langanhaltenden und/oder starken Niederschlägen auf.
Die Übergänge zwischen Rotations- und Translationsrutschung sind fließend. Es treten in der Natur häufig Mischformen auf. So kann eine Rutschung im oberen Bereich die typischen Anzeichen einer Rotationsrutschung aufweisen, jedoch im unteren Bereich in Formen übergehen, die einer Translationsrutschung gleichen. Es besteht auch die Möglichkeit, dass die Rutschung aufgrund der starken Aufsättigung vom Prozess „Rutschen“ in den Prozess „Fließen“ übergeht und damit den murgangähnlichen Ereignissen zuzuordnen ist.
Strukturen einer Rutschung
Die Rutschung gliedert sich in der Regel in zwei verschiedene Hauptbereiche: den Abtragsbereich und den Ablagerungsbereich.
Der Abtragsbereich beginnt an der Hauptabrisskante, an welcher die Gleitfläche aufgeschlossen ist. Häufig treten rückwärtig der Hauptabrisskante Risse und Zerrspalten auf, die auf eine Rückverlagerung der Hauptabrisskante hindeuten. Zudem umfasst der Abtragsbereich das Material der Rutschmasse, welches unterhalb der ursprünglichen Geländeoberfläche liegt. In diesem Bereich treten häufig hangaufwärts (antithetisch) verkippte Schollen mit Quer- und Längsrissen auf.
Der Ablagerungsbereich (Akkumulationszone) zeichnet sich dadurch aus, dass das Material der Rutschmasse oberhalb der ursprünglichen Geländeoberfläche liegt. In diesem Bereich treten Stauchwülste auf. Der Ablagerungsbereich endet mit dem unteren Rand der Rutschmasse an einer Stirnwulst (UNESCO, 1993).
Im Allgemeinen zeichnen sich Rutschmassen durch eine unruhige Morphologie in Form von Rutschbuckeln, abflusslosen Senken mit Vernässungen, Nackentälern sowie verkippten bzw. krumm wachsenden Bäumen („Betrunkener Wald“, Säbelwuchs) aus. Innerhalb größerer Rutschungen sind sekundäre Rutschungen möglich, welche ebenfalls durch die verschiedenen Rutschungsmechanismen geprägt sein können.
Rutschungen in der Ingenieurgeologischen Gefahrenhinweiskarte von Baden-Württemberg
Rutschungsflächen sind landesweit in der Ingenieurgeologischen Gefahrenhinweiskarte von Baden-Württemberg (IGHK50) des LGRB von 2014 im Maßstab 1 : 50 000 als Gefahrenhinweisflächen „Rutschungsgebiete“ erfasst. Diese steht als Geoanwendung auf der Homepage des LGRB zur Verfügung (LGRB, 2016b).
Die Gefahrenhinweisflächen „Rutschungsgebiete“ sind Gebiete mit deutlichen Hinweisen auf aktive oder inaktive Rutschungen inkl. Hangzerreißung. Dargestellt ist der Prozessraum ohne Angabe der Gleitflächentiefe. Die Rutschungsprozesse sind bereits erfolgt, eine Reaktivierung bzw. Vergrößerung der Rutschung ist möglich. Die Rutschungsgebiete entstammen der Geologischen Karte sowie aus der fernerkundlichen Auswertung des hochauflösenden Digitalen Geländemodells (DGM) des Landesamts für Geoinformation und Landesentwicklung (LGL).
Aus dieser Karte kann aufgrund der rein fernerkundlichen Auswertung keine Aussage über die Aktivität von Rutschungen getroffen werden. Die Ingenieurgeologische Gefahrenhinweiskarte ist auf die Belange der Raumplanung ausgelegt und deshalb nicht parzellenscharf. Nach der Ingenieurgeologischen Gefahrenhinweiskarte von Baden-Württemberg sind rund 2,5 % (≈ 89 000 ha, über 9000 Einzelflächen) der Landesfläche von Rutschungen betroffen.
Rutschempfindliche Formationen und Konstellationen
Im Bereich der Landesfläche gelten folgende geologische Konstellationen als rutschempfindlich. In diesen Gebieten treten vermehrt Rutschungen auf, welche sich in der Regel mit einer spezifischen geologischen Situation in Verbindung bringen lassen (Wagenplast, 2005).
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Hangrutschungen in den tertiären Gesteinen des südlichen Oberrheingrabens
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Hangrutschungen in den tertiären Gesteinen des Molassebeckens
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Hangrutschungen im Grenzbereich des Mitteljuras zum Oberjura am Albtrauf
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Hangrutschungen in den Gesteinen des Unterjuras bis Mitteljuras im Albvorland
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Hangrutschungen in den Gesteinen vom Muschelkalk bis Oberjura im Wutachtal
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Hangrutschungen in den Gesteinen des Mittelkeupers, Trossingen-Formation
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Hangrutschungen in den Gesteinen des Mittelkeupers, Steigerwald-Formation bis Mainhardt-Formation
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Hangrutschungen im Grenzbereich des Mittleren zum Oberen Muschelkalk
Literatur
- (2016). Gefahrenhinweiskarten geogener Naturgefahren in Deutschland – ein Leitfaden der Staatlichen Geologischen Dienste (SGD). 88 S., Stuttgart (Schweizerbart Science Publishers).
- (1996). Landslide Types and Processes. – Landslides Investigation and Migration, Special Report 247, Washington, D.C. (Transportation Research Board, National Research Council).
- (2016b). Homepage LGRB » Informationssysteme » Geoanwendungen » Geogefahren » Ingenieurgeologische Gefahrenhinweiskarte von Baden-Württemberg, verfügbar unter http://www.lgrb-bw.de/informationssysteme/geoanwendungen/geogefahren.
- (2018). Ingenieurgeologie. 6. Auflage, XVI + 898 S., Berlin, Heidelberg (Springer Spektrum).
- (1993). Multilingual Landslide Glossary. 59 S., Richmond, B.C., Canada (BiTech Publishers Ltd.).
- (2005). Ingenieurgeologische Gefahren in Baden-Württemberg. – LGRB-Informationen, 16, S. 1–79.