Lithostratigraphische Gruppe
Übergeordnete Einheit
Verbreitung in Baden-Württemberg, Landschaftsbild
Die Einheiten der Südschwarzwald-Gneis-Gruppe sind im Südschwarzwald südlich der Zone von Badenweiler–Lenzkirch aufgeschlossen. Die Gneisverbände der Gruppe bilden gleichzeitig Deckeneinheiten, die teilweise von den Südschwarzwälder Granitplutonen durchdrungen sind. Im südlichen Teil des Südschwarzwalds liegen die Hauptvorkommen der Murgtal-Gneisanatexit-Formation im Gebiet zwischen St. Blasien bis Tiengen und Waldshut bis Bad Säckingen bzw. Wehr. Mit den Gesteinen der Murgtal-Gneisanatexit-Formation vergleichbare Gneise und Migmatite sind unter mesozoischer Bedeckung bis mindestens 5 km südlich des Rheins in Bohrungen bei Kaisten und Leuggern in der Nordschweiz gefunden worden, sie bilden wahrscheinlich die südliche Fortsetzung der Einheit (Geyer et al., 2011). Über der Murgtal-Gneisanatexit-Formation liegen – aufgeschlossen in einem kleinen Bereich im Albtal – Gesteine der Todtmoos-Gneisanatexit-Formation; zwischen diesen beiden Gneiseinheiten ist die Wiese-Wehra-Formation eingeschaltet. Die Todtmoos-Gneisanatexit-Formation ist im mittleren und östlichen Teil des Südschwarzwalds verbreitet; ihre Hauptvorkommen liegen zwischen Todtmoos und Wehrhalden, südwestlich von St. Blasien zwischen Ibachtal und Albtal sowie südöstlich von Lenzkirch entlang des Steinatals. Die Wiese-Wehra-Formation liegt als Deckeneinheit über der Todtmoos-Gneisanatexit-Formation. Ihre Hauptverbreitung hat die Wiese-Wehra-Formation zwischen den Flüssen Wiese und Wehra im Südschwarzwald entlang des Südrandes der Zone von Badenweiler–Lenzkirch, sie tritt dort mit Unterbrechungen vom Wiesetal nach Westen bis zum Rand des Oberrheingrabens auf. Vom Wehratal nach Osten reichen die Vorkommen der Wiese-Wehra-Formation bis ca. 5 km südlich St. Blasien ins Albtal und nach Süden bis in das Gebiet zwischen Wehr, Herrischried und Allenschwand.
Lithologie, Abgrenzung, Untereinheiten
In der Murgtal-Gneisanatexit-Formation (gnM) überwiegen amphibolitfazielle, dunkle Cordieritgneise, die teilweise metatektisch und anatektisch überprägt sind und dann bis zu Migmatiten entwickelt sein können. Stärker migmatitische Bereiche v. a. am Südostrand der Murgtal-Gneisanatexit-Formation im Gebiet nördlich von Laufenburg bis nach Albbruck sind als Laufenburg-Gneisanatexit dargestellt, dort überwiegen Migmatite. Feinkörnigere Biotitgneise (Biotit-Quarz-Plagioklas-Gneise) bilden nach Süden hin größere Körper, die als Grauwackengneis in der gnM ausgeschieden werden. In den Grauwackengneisen treten Einschaltungen aus Quarziten, Hornblendegneisen und Pyroxengneisen auf, untergeordnet sind Kalksilikatgneise und seltener Marmor in der Einheit. Aufgrund ihrer geochemischen Charakteristika werden die Cordieritgneise von metamorph überprägten Tonsteinen abgeleitet, die Biotitgneise (Grauwackengneise) dagegen von metamorph überprägten Grauwacken.
Die Gesteine der Todtmoos-Gneisanatexit-Formation (gnT) sind überwiegend kalifeldspatreiche, meist helle und feinkörnige, geregelte Gneise (Biotit-Plagioklas-Quarz-Kalifeldspat-Gneis, +/- Granat). Oftmals sind diese Gesteine metatektisch überprägt und liegen als Migmatite vor, teils sind sie dabei schlierig bis lagig verfaltet. Lokal ist die anatektische Überprägung in den Gesteinen noch weiter fortgeschritten, in den Gneisen treten dann als Endprodukte lokaler Aufschmelzung Nester und Schollen aus Diatexiten und Aplitgraniten auf. Untergeordnet kommen Einschaltungen aus dunklen, kleinkörnigen Biotit-Plagioklas-Gneisen vor, die auf der Karte als biotitreicher Gneis in der gnT dargestellt werden. Etwas seltener sind Einschaltungen aus hellen, feinkörnigen und straff geregelten Gneisen, den Leptiniten. In den Randbereichen entlang der Grenzen zur Wiese-Wehra-Formation sind auch Amphibolitlinsen eingeschaltet.
Charakteristisch für die Wiese-Wehra-Formation (diW) ist das gemeinsame Auftreten von metasedimentären, metamorphen, plutonischen und z. T. migmatischen Merkmalen (Hanel et al., 2001). Die Einheit besteht großenteils aus grobkörnigen, dunklen Biotit-Plagioklas-Gneisen, die sehr häufig bis mehrere cm große Kalifeldspatblasten führen. Oft sind Amphibolitschollen in die Gneise eingeschaltet. Auch Wechsellagerungen aus Gneis und Amphibolit treten auf. Vielfach sind anatektische bis diatektische Überprägungen in der Einheit zu finden, so sind Anteile der Wiese-Wehra-Formation bereits aufgeschmolzen und durchdringen die Einheit in Form von quarzdioritischen Schlieren und aplitgranitischen Adern, sowie größeren Körpern aus Granodiorit („Granodiorite des oberen Wehratals“). Durch die fortschreitende Migmatisierung haben die Gesteine dann teilweise auch ein massiges, plutonitartiges Gefüge. In den am stärksten aufgeschmolzenen Zonen treten (anatektische) Granite als unregelmäßige Körper auf, die als Granit in der diW auf der Karte dargestellt werden (z. B. ein Teil des ehemaligen „Blauen-Granits“). Daneben finden sich in anderen Bereichen restitische, dunkle Gneise, deren leukokrate Anteile, Quarz und Feldspat, bereits weitgehend aufgeschmolzen sind. In den südlichen Ausstrichbereichen der Wiese-Wehra-Formation sind teils größere, meist linsenförmige Körper aus feldspatreichen, hellen Gneisen eingeschaltet, die als leukokrater Gneis auskartiert sind (Sawatzki & Hann, 2003).
Sowohl in der Wiese-Wehra-Formation als auch in der Todtmoos-Gneisanatexit-Formation befinden sich metamorph und kataklastisch überprägte ultrabasische Scherkörper aus Metagabbros, Metaanorthositen und Metanoriten, sowie Körper aus serpentinisierten Peridotiten, Pyroxeniten und Hornblenditen (Geyer et al., 2011).
Mächtigkeit
Nach Geländeausstrichen sollte die Murgtal-Gneisanatexit-Formation mindestens 500 m bis in den Kilometerbereich mächtig sein, möglicherweise liegt sie dabei aber tektonisch verdoppelt vor. Ähnliches gilt für die Todtmoos-Gneisanatexit-Formation, die unter der Decke der Wiese-Wehra-Formation liegt. Nach Verbreitung und Ausstrich sollte diese Einheit ca. 500 bis 1000 m mächtig sein, sie ist aber auch möglicherweise tektonisch verdoppelt. Die Mächtigkeit der Wiese-Wehra-Formation ist nicht genau zu erfassen, sie sollte von 400 m bis in den Kilometerbereich betragen, auch diese Einheit könnte tektonisch verdoppelt sein (Sawatzki & Hann, 2003).
Alterseinstufung
Ausgangsgesteine der Murgtal-Gneisanatexit-Formation waren marine Sedimente (Cordieritgneis: Tonsteine, Biotitgneis: Grauwacken); Mikrofossilfunde von Chitinozoen und Acritarchen deuten Sedimentationsalter zwischen Ordovizium bis Silur an. Die Gesteine der Einheit wurden im Rahmen der variskischen Orogonese amphibolitfaziell metamporph überprägt, z. T. bis in das Migmatitstadium. Dieser Hochtemperatur-Niedrigdruck-Metamorphose während des Viseums (oberes Unterkarbon) ging vermutlich eine frühere Phase mit Hochdruckmetamorphose-Bedingungen voraus.
Die in der Todtmoos-Gneisanatexit-Formation eingeschalteten Leptinite werden als Metarhyolite, also als metamorph überprägte Vulkanite interpretiert. Die magmatischen Bildungsalter dieser Metavulkanite liegen nach Zirkondatierungen im Kambrium (vor 500–510 Mio. Jahren). Diese Alterseinstufung kann dann auch als Bildungsalter für die mit den Metarhyoliten wechsellagernden metasedimentären Ausganggesteine der Einheit gelten. Die Gesteine der Formation unterlagen im frühen Viseum (vor ca. 340 Mio. Jahren) zunächst einer Hochtemperaturmetamorphose bei einer Temperatur von 1000–1100 °C in einer Krustentiefe von 40–50 km (Granulitfazies). Anschließend, noch im oberen Unterkarbon, wurden die Gesteine dann in einer Krustentiefe von 15 km bei ca. 650 °C amphibolitfaziell überprägt. Dabei kam es auch zur Migmatitbildung und teilweisen Aufschmelzung.
Auch bei der Wiese-Wehra-Formation kann von marinen, tonigen Sedimenten als Ausgangsgesteinen ausgegangen werden. In nicht so intensiv metatektisch überprägten Anteilen der Formation konnten in biotitreichen Paragneisen Reste von Chitinozoen gefunden werden, die ordovizische Sedimentationsalter der Ausgangsgesteine nahelegen. Im Zuge der variskischen Orogenese wurden auch die Gesteine der Wiese-Wehra-Formation im Unterkarbon amphibolitfaziell metamorph überprägt, parallel dazu wurden die Gesteine duktil deformiert und tektonisch zerschert. Mit fortschreitender metamorpher Überprägung kam es dann zu umfangreichen Migmatitbildungen und teilweiser Aufschmelzung, die bis zur Bildung von anatektischen Graniten führte. Anschließend wurde die Einheit gefaltet und kataklastisch deformiert, was wahrscheinlich im Zusammenhang mit der Deckenbildung im Südschwarzwald zu sehen ist.
Ältere Bezeichnungen
In der Murgtal-Gneisanatexit-Formation sind die bei Metz & Rein (1958) getrennt ausgeschiedenen „Paragneis-Anatexite des Hotzenwalds Typ Hauensteiner Murgtal“ und der „Metatexit Typ Laufenburg“ zusammengefasst. Die Todtmoos-Gneisanatexit-Formation wurde zuerst von Hoenes (1948) als „Mischgneisanatexite Typ Horbach-Wittenschwand“ und „Typ Todtmoos“ benannt, bei Metz & Rein (1958) hieß sie „Gneisanatexit Typ Todtmoos“ und „Typ Horbach“. Die Leptinite der Todtmoos-Gneisanatexit-Formation wurden auch als „granatführende Meta-Aplite Typ Happach“ bezeichnet (Metz & Rein 1958). Die Wiese-Wehra-Formation wurde bei Hoenes (1948) erstmals als „Aufschmelzungszone zwischen Wehra und Wiesental“ als Einheit benannt und bei Sittig (1969) als „Wehra-Wiesental-Diatexit“ bezeichnet. Bei Metz & Rein (1958) wurde sie als „Gesteinskomplex des Wiese-Wehratalgebiets“ getrennt von den „Palingeniten des Blauengebiets“ bzw. „Blastiten des Blauengebiets“ dargestellt.
Literatur
- (2011). Geologie von Baden-Württemberg. 5. völlig neu bearb. Aufl., 627 S., Stuttgart (Schweizerbart).
- (2001). Schwarzwald. . Stratigraphie von Deutschland II. Ordovizium, Kambrium, Vendium, Riphäikum, S. 13–64, Frankfurt a. M. (Courier Forschungsinstitut Senckenberg, 234).
- (1948). Petrogenese im Grundgebirge des Südschwarzwalds. – Heidelberger Beiträge zur Mineralogie und Petrographie, 1, S. 121–202.
- (1958). Erläuterungen zur Geologisch-petrographischen Übersichtskarte des Südschwarzwaldes 1 : 50 000. 126 S., Lahr (Schauenburg).
- (2003). Badenweiler–Lenzkirch-Zone (Südschwarzwald). – Erläuterungen zur Geologischen Karte von Baden-Württemberg 1 : 50 000, 182 S., Freiburg i. Br. (Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau Baden-Württemberg).
- (1969). Zur geologischen Charakterisierung des Moldanubikums am Oberrhein. – Oberrheinische Geologische Abhandlungen, 18, S. 119–161.