Vorbemerkungen
Die verkehrsreiche Bundesstraße B31 überwindet im Höllental auf ca. 10 km Länge den Aufstieg aus der Rheinebene bis auf die Höhe des Schwarzwaldes. Das tief eingeschnittene und streckenweise schluchtartige Tal birgt aufgrund der natürlichen morphologischen Verhältnisse für die Verkehrswege Straße und Bahn eine hohe Steinschlag- bis Felssturzgefährdung.
Der steilste und markanteste Schluchtbereich ist ca. 300 m lang. Die Bahnlinie, etwa 10 m höher als die Straße auf der orographisch rechten (nordöstlichen) Talseite trassiert, überwindet diesen Abschnitt mit Hilfe des Unteren und Oberen Hirschsprungtunnels. Auf der Gegenseite erhebt sich der markante Hohfelsen. Auf einem vorspringenden Grat steht, etwa 25 m oberhalb der Fahrbahn, als bekanntes Wahrzeichen die Hirschstatue („Hirschsprung“).
Entstehung des Höllentals und geologische Verhältnisse
Bei der Entstehung des Höllentals spielte die Konkurrenz zwischen Donau (Gutach) und Rhein (Dreisam) um die Wasserscheide eine wesentliche Rolle. Durch rückschreitende Erosion nahm der Rhein mit seinen Südschwarzwaldnebenflüssen zunehmend (flach nach Südosten einfallendes) danubisches Einzugsgebiet ein und es kam zu Flussumlenkungen nach Westen. Der Alpersbach, der vormals zum Hinterzartener Hochmoor entwässerte, oder der Jungholzbach (von Breitnau-Hinterdorf kommend), der durch die Ravennaschlucht angezapft wurde, erhöhte den Abfluss des Höllenbachs (Rotbach) überproportional. Während die danubischen Täler im Osten breite Hochtäler bilden, sorgte die aufgrund der hohen Reliefenergie überaus hohe Erosionskraft in den rheinischen Tälern für tiefe und steile Einschnitte.
Neben dem fließenden Wasser formte Eis das Höllental in erheblichem Maße. Allerdings ist lediglich über die letzte der zahlreichen Eiszeiten Genaueres bekannt. Ältere eiszeitliche Ablagerungen sind im unmittelbaren Umfeld des Höllentals gänzlich durch Erosion abgetragen. Die Eismassen, vom Feldberg herunter vordringend, rückten nach Nordosten über Birsten und Alpersbach vor und bildeten im Oberen Höllental einen Talgletscher. Hierdurch entstand der breite, wannenförmige Querschnitt mit flachen Unterhängen und einer Talsohle. Der Talgletscher reichte nach heutigem Wissensstand bis zur Station Hirschsprung. Beim Abschmelzen dieses Eiskörpers hat sich die auffällig junge Ravennaschlucht eingetieft.
Im gesamten Höllental wird der tiefere Gesteinsuntergrund von kristallinem Grundgebirge aufgebaut. Dieser besteht aus Paragneis, der aus sedimentärem Ausgangsmaterial entstand und durch Metamorphose im Gebirgsinnern unter hohem Druck und Temperatur verändert wurde. Die Gneise sind in der Südflanke des Oberen Höllentals verbreitet. Man unterscheidet zwischen mehr massigen, schiefrigen oder feinlagigen Gneisen. Im Gebiet des Hirschsprungs sind verbreitet Migmatite anstehend. Diese entstanden aus Gneisen unter Teilaufschmelzung und Neukristallisation. Dabei wurden helle (Feldspat, Quarz) und dunkle (Biotit) Gesteinsanteile sichtbar getrennt. Es kommen unterschiedliche Stadien der Überprägung vor und die Ausbildung kann mehr streifig-schlierig (streifig-schlieriger Migmatit, Mss) oder mehr nebulitisch (Granofels, diG) entwickelt sein. Der Gneis-Migmatit-Komplex ist durch ein charakteristisches Parallelgefüge gekennzeichnet. Dieses geht auf eine Schieferung, Lagigkeit oder Schlierentextur zurück und entstand vor der Intrusion der Ganggesteine durch tektonische Kräfte in großer Tiefe. Die Schieferungsflächen fallen vorwiegend steil nach Südosten ein.
Geologische Übersicht der Höllentalschlucht
Im Unteren Höllental ist die vorherrschende Paralleltextur der Gesteine rechtwinklig zur Talachse angeordnet. Das Einfallen ist steil oder talauf gerichtet. Im Oberen Höllental herrscht in der nördlichen Talflanke ein Einfallen nach Norden vor, während in der Südflanke ein eher spitzwinkliger Verlauf mit wechselndem Einfallen zu beobachten ist. Eine weitere Schwächung des primär kompakten und massigen Grundgebirges erfolgt durch die Klüftung. Diese Trennflächen entstehen zum einen durch tektonische Prozesse, zum anderen durch die atektonische Gebirgsentspannung bei der Talbildung. Durch die Hebung des Schwarzwaldes kam es seit dem Tertiär, verstärkt im Quartär, zur Bildung von Bruchstrukturen oder Störungszonen, die relevante Schwächezonen darstellen. Typisch und relativ häufig sind in diesen meist Dezimeter breite, unverfestigte Kluftfüllungen (Ruscheln). Quellaustritte und Runsen sind häufig an solche Störungszonen gebunden. Bei breiterer Ausbildung und intensiver Klüftung liegen Zerrüttungszonen vor. Eine besonders eindrucksvolle Störungszone durchzieht die Nordflanke des Hohfelsens. Die geklüftete Felsböschung ist dabei drei wichtigen stabilitätsmindernden Einflüssen ausgesetzt: Die jahreszeitlichen Temperaturzyklen führen längerfristig zu einer zunehmenden Öffnung der Klüfte und dadurch zu einer sukzessiven Reduktion der rückhaltenden, kohäsiven Verbindung mit dem Anstehenden. Periodische Frostsprengung und Kluftwasserdrücke in den wasseraktiven Klüften verursachen zusätzliche Spannungen und Deformationen.
Ereignis
Am Abend des 23. Juli 2009 kam es gegen 18:25 Uhr auf Höhe des „Hirschsprungs“ im Höllental, beim Hohfelsen zu einem Steinschlagereignis. Dabei gingen faust- bis kopfgroße Felsstücke nieder und durchschlugen dort mehrere Eichendielen des über den Höllenbach (Rotbach) aufgeständerten Wanderwegs (Jägerpfad). Eine größere Anzahl an Steinen übersprang auch den Höllenbach und schlug sowohl auf dem Stahlgeländer am Straßenbankett als auch auf beiden Fahrstreifen der Bundesstraße B31 über einer Länge von ca. 30 m auf. Durch das Sturzereignis wurden insgesamt fünf PKW beschädigt, die zum Ereigniszeitpunkt den Hirschsprung passierten. Personenschäden waren glücklicherweise nicht zu beklagen.
Nach Polizeibericht war davon auszugehen, dass sich ca. 20 m oberhalb des Hirschsprungfelsens ein Felsblock gelöst hatte. Wie die Einsichtnahme der Hohfelsenwand am 24. Juli 2009 vom gegenüber aufragenden Oberen Hirschsprungfelsen aus ergab, dürfte der Ausbruchbereich ca. 75–80 m über Fahrbahnniveau liegen; frischer Lehmbesatz auf der Felsoberfläche deutet auf die Ausbruchnische hin. Hier hat sich ein Felsblock mit einem Volumen von ca. 0,5–1,0 m3 im Bereich der oben beschriebenen Großspalte gelöst und sich bei mehrmaligem Aufschlagen in kleinere Fragmente zerteilt, die in Form eines durch den Verlauf der Großspalte kanalisierten Steinschlags nieder gingen.
Hohfelsen
Auf der linken Talseite ist der Hohfelsen das beherrschende Element und ragt bis ca. 100 m über das Straßenniveau auf. Seine Gipfelzone ist vom Talboden aus nicht einsehbar. Der Hohfelsen wird an seiner Ostseite von einer steilstehenden, 5–10 m breiten Großspalte durchtrennt, die sich aus einer Störungszone bildete und den Gipfelbereich zweiteilt. Insgesamt macht der Hohfels-Komplex zunächst einen eher massigen Eindruck. Wie die Detailbeurteilung am hängenden Seil gezeigt hat, waren allerdings zahlreiche talwärts geneigte Großklüfte, wandparallele Entspannungsklüfte, Platten, Schuppen und Spaltenzonen sowie verbreitet auch zwischengelagerter Blockschutt auf den Rampen und Vorsprüngen vorhanden. Insgesamt wurden bei der Durchsteigung 19 kritische Bereiche identifiziert, die im Zuge der Ausführung der Sicherungsmaßnahmen gesichert oder abgebaut wurden.
Sicherungsmaßnahmen
Nach der Identifikation und Bewertung kritischer Felspartien wurde ein 3-phasiges Sicherungskonzept zur Felssicherungsmaßnahme „Hohfelsen“ erstellt und in folgenden Phasen erfolgreich umgesetzt:
Phase 1 (unter Vollsperrung der B31)
- Ziel: Kurz- bis mittelfristige Minimierung der Felssturzgefährdung für die B31
- Systematische Beräumung der Felsoberflächen inklusive Baumfällungen
- Durchführungszeitraum: 13. September bis 8. Oktober 2010
- Baubegleitung / Begutachtung labiler Felspartien durch LGRB
- Ökologische Baubegleitung
Phase 2 (unter laufendem Verkehr bzw. kurzfristiger Ampelregelung)
- Ziel: Langfristige Minimierung der Felssturzgefährdung für die B31
- Konstruktive Einzelsicherungen / Installation von Steinschlagschutzzäunen
- Durchführungszeitraum: z. B. ab Frühjahr 2011
- Baubegleitung (ingenieurgeologisch, ökologisch)
Phase 3
- Ziel: Reduktion der Felssturzgefährdung für die B31 auf Restrisikoniveau
- Kontrolle, Wartung und Reparatur der Sicherungseinrichtungen
- Ggf. kleinere Beräumungen und weitere Einzelsicherungen
Im Vorfeld der Felssicherungsarbeiten erfolgten umfangreiche Schutzvorkehrungen (Schotterabdeckung, Verklausungsschutz des Höllenbachs, Schutz der Brückenkappen), um die B31 vor Beschädigung durch herabstürzendes Felsmaterial zu schützen. Die Höllentalbahn blieb während der vierwöchigen Vollsperrung der B31 unter laufendem Betrieb und wurde durch installierte Stahlnetzvorhänge am Galeriebauwerk sowie bahnseits durch entsprechende Sicherungsposten abgesichert.
In Phase 1 wurden bei insgesamt 16 Sprengungen überschlägig ca. 245 m3 Fels abgetragen. Verbliebene, absturzgefährdete Felspartien wurden anschließend in Phase 2 durch konstruktive Sicherungsmaßnahmen gesichert u.a. durch Gefügestabilisierung mittels Spritzbeton, Vernagelungen, Umgürtungen mittels Stahlseiltrossen sowie Steinschlagschutznetzen. Für die flächigen Steilwände des Hohfelsenmassivs, bei denen trotz der Beräumung und Einzelsicherung Partien fraglicher Stabilität verblieben sind resp. künftig zunehmende Instabilitäten nicht ausgeschlossen werden konnten, wurden zusätzliche Steinschlagmodellierungen durchgeführt. Basierend auf den Modellierungsresultaten wurden ergänzende Hochenergie-Steinschlagschutzzäune dimensioniert und im Bereich des Hohfelsens installiert.
Darüber hinaus wurden bei mehreren Felspartien Messpunkte („Felsspione“) für vorsorgliche Kontrollmessungen hinsichtlich eventueller Felsbewegungen eingerichtet, um eine etwaige künftig zunehmende Absturzgefährdung frühzeitig erkennen zu können. Durch die erfolgreich umgesetzten (Sicherungs-) Maßnahmen konnten die bestehenden Risiken für die Straßenbenutzer auf ein akzeptables Maß (Restrisiken) reduziert werden.
Der Höllenbach (Rotbach) erwies sich im Zuge der Beräumungsarbeiten als natürlicher Auffangraum für kleinteiliges Sturzmaterial. Ein Großteil der abgetragenen Felsmassen wurden im Anschluss unterhalb der Steilwand, nahe des ehemaligen Kiosks, zu einem Wall aufgeschüttet, welcher einen passiven Schutzraum für allfälligen Steinschlag aus der Steilwandkulisse begrenzt.
Nach Beseitigung aller temporären Schutzabdeckungen zeigte sich die Fahrbahn der B31 einschließlich der Kappe über den Höllenbach als unversehrt.
Nachfolgend sind die wichtigsten Merkmale des Steinschlags am Hirschsprung tabellarisch aufgelistet:
Stammdaten:
Objekt-ID |
8014_St00001 |
Objektname |
Steinschlag am Hirschsprung, Höllental |
Lokalität |
Hirschsprung im Höllental, B31 ca. 1,5 km südöstlich von Falkensteig |
Gemeinde |
Buchenbach |
Landkreis |
Breisgau-Hochschwarzwald |
TK25-Nr. |
8014 |
TK25-Name |
Hinterzarten |
Datengrundlage |
Dokumentenrecherche, Geländebegehung, Geologische Karte, DGM |
Lage-Bezugspunkt |
Höchster Punkt des Abbruchgebiets |
Ostwert |
426829 |
Nordwert |
5309796 |
Koordinatenreferenzsystem |
ETRS89/UTM32 |
Koordinatenfindung |
Karte |
Höhe [m ü. NHN] |
643 |
Höhenermittlung |
Karte |
Allgemeine Fachdaten:
Entstehungszeitraum |
23.07.2009 |
Geländenutzung während der Entstehung |
Bundesstraße |
Schäden |
Straßenschäden, Schäden an beweglichen Gütern (PKW) |
Spezielle Fachdaten Massenbewegungen:
Primär-/Folgeereignis |
Primärereignis |
|
Prozess der Hauptbewegung |
Steinschlag |
|
Max. Reichweite [m] |
ca. 50 |
|
Max. Breite [m] |
ca. 30 |
|
Schattenwinkel [°] |
- |
|
Geometrisches Gefälle (Fahrböschungswinkel) [°] |
ca. 58 |
|
Kubatur der Sturzmasse [m3] |
ca. 0,5–1,0 |
|
Höchster Punkt der Abbruchkante [m ü. NHN] |
643 |
|
Höchster Punkt des Ablagerungsbereichs [m ü. NHN] |
529 |
|
Tiefster Punkt des Ablagerungsbereichs [m ü. NHN] |
531 |
|
Max. Höhenunterschied (H) zwischen dem höchsten Punkt der Abbruchkante und dem tiefsten Punkt des Ablagerungsbereichs [m] |
80 |
|
Exposition zwischen höchstem und tiefstem Punkt des Ereignisses [°] |
90 |
|
Hangneigung im Abbruchbereich [°] |
70–80 |
|
Ursache |
geogen |
|
Auslöser |
geogen |
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Geologie |
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Streifig-schlieriger Migmatit (Mss) |
Migmatit |
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Gefahrenbeurteilung |
erhebliche Gefahr |
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Überwachungsmaßnahmen |
regelmäßige Kontrollen und Beräumungen |
|
Sicherungsmaßnahmen |
systematische Beräumung und Abtrag, Einzelsicherungen, Steinschlagschutznetze, Steinschlagschutzzäune |
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Sonstige Anmerkungen |
Steinschlagmodellierung |