Prozess der Karbonatverkarstung
Die Verkarstung von Karbonatgesteinen (Kalkstein, Kalkmergelstein, Dolomit) erfolgt durch chemische Lösung des Calciumkarbonats (CaCO3). Hierbei kommt dem freien Kohlendioxid (CO2) eine maßgebende Rolle zu, welches sich mit dem Wasser zu Kohlensäure (H2CO3) verbindet. Über mehrere Zwischenschritte kann Kohlensäure das Calciumkarbonat in Calciumhydrogenkarbonat (Ca(HCO3)2) überführen. Ca(HCO3)2 ist wasserlöslich und kann mit dem Niederschlags- bzw. Grundwasser abgeführt werden. Diese chemischen Reaktionen werden von zahlreichen Gleichgewichten gesteuert und können in beide Richtungen ablaufen – Lösung von Karbonatgesteinen bzw. Ausfällung von Karbonat, z. B. als Quelltuff:
CO2 + 2H2O ⇌ H3O+ + HCO3- ⇌ H2CO3 + H2O
CaCO3 + H3O+ + HCO3- ⇌ Ca(HCO3)2 + H2O ⇌ Ca2+ + 2HCO3- + H2O
Das Kohlendioxid wird vom Regen in der Atmosphäre aufgenommen. Der Regen versickert im Boden, wobei das Sickerwasser mit weiterem Kohlendioxid aus der Bodenluft in der belebten Oberbodenzone (z. B. biogenes CO2 aus dem Abbau organischer Substanz) angereichert wird. Auch aus tieferen Gesteinsschichten kann sich aufsteigendes Kohlendioxid (z. B. postvulkanischer Herkunft) im Grundwasser ansammeln. Sulfationen oder Huminsäuren können den Lösungsvorgang zusätzlich beschleunigen.
Der CO2-Gehalt im Grundwasser und somit die Löslichkeit der Karbonatgesteine hängt vom Druck und der Temperatur ab. Mit steigendem Druck kann Grundwasser mehr CO2 aufnehmen und entsprechend mehr Karbonat lösen. Umgekehrt kann mit steigender Temperatur weniger CO2 im Grundwasser gelöst werden und folglich weniger Karbonat lösen. Bei einer Sättigung an gelöstem Karbonat von > 90 % kann deutlich weniger weiteres Karbonat gelöst werden. Die Karbonatlösung findet größtenteils oberflächennah oder im Bereich der schwankenden Karstgrundwasseroberfläche statt und nimmt mit zunehmender Tiefe ab. In größeren Tiefen erfolgt die Lösung vor allem durch so genannte Mischungskorrosion. Dabei mischen sich zwei Grundwässer mit unterschiedlichen Gehalten an gelöstem Karbonat und/oder Temperaturen, wodurch wieder freies CO2 entsteht und weiteres Karbonatgestein gelöst werden kann (Prinz & Strauß, 2011; Hölting & Coldewey, 2013).
Die Verkarstungsintensität variiert auf kleinem Raum zum Teil sehr stark. Insbesondere Gesteinsabschnitte im Einflussbereich schwankender Grundwasserstände sind von schneller voranschreitenden Verkarstungsprozessen betroffen. Auch lässt sich dieses Phänomen z. B. im Übergangsbereich zu weniger durchlässigen Gesteinsschichten (Stauhorizonten) beobachten, wie beispielsweise an der Basis von Karbonatgesteinen zu unterlagernden tonig/mergeligen Schichten, die als Stauhorizonte dienen. Ausgeprägtere Verkarstungserscheinungen sind hier die Folge.
Darüber hinaus sind diagenetisch umkristallisierte zuckerkörnige und löchrige Kalk- und Dolomitgesteine besonders verkarstungsanfällig.
Wenn der Tonanteil in Karbonatgesteinen etwa 30 % überschreitet (z. B. Impressamergel-Formation, Lacunosamergel-Formation, Zementmergel-Formation), kommt die Verkarstung wegen der generell geringeren Wasserdurchlässigkeit des Gesteins und vor allem aufgrund des tonigen Lösungsrückstands weitgehend zum Stillstand.
Infolge ihrer starken Verkarstung bilden die Gesteine des Muschelkalks und insbesondere des Oberjuras die bedeutendsten und ergiebigsten Festgesteinsgrundwasserleiter des Landes mit oft überregionaler Bedeutung. Aufgrund des geringen Schutzpotenzials der Grundwasserüberdeckung, des geringen Reinigungspotenzials des Grundwasserleiters und der sehr schnellen Fließverbindungen ist das Karstgrundwasser im Oberjura und das Karstgrundwasser im Muschelkalk allerdings sehr anfällig für Verunreinigungen.
Erscheinungsformen der Karbonatverkarstung
Gemeinhin sind Karbonatgesteine relativ wasserundurchlässig. Die spröden Festgesteine bilden jedoch bereits bei geringen mechanischen Beanspruchungen (z. B. Gebirgsspannungen und anderen tektonischen Belastungen) Wasserwegsamkeiten wie feine Haarrisse, Klüfte und Störungsflächen aus. Entlang der Fließwege von Sicker- und Grundwässern setzt in der Regel die Verkarstung der Karbonatgesteine ein. Mit der Zeit erweitern sich diese Fließpfade zu immer größeren Gängen und Schloten etc., wodurch letztendlich große Hohlräume und ganze Höhlensysteme, wie beispielsweise die Kolbinger Höhle entstehen. Die Karsthöhlensysteme können dabei riesige Ausmaße annehmen, sind häufig weit verzweigt und befinden sich oftmals abschnittsweise über und unterhalb der Grundwasseroberfläche.
Als ein weitverbreitetes Erscheinungsbild deuten oberflächlich abflusslose Bodensenken mit meist rundlichem Umriss – gemeinhin als Dolinen bezeichnet – auf Lösungsvorgänge im Untergrund hin. Je nach Entstehung wird hierbei zwischen Lösungsdoline, Schwunddoline, Einsturzdoline oder Sackungsdoline unterschieden.
Einsturzdolinen oder Sackungsdolinen zeichnen sich zudem durch meist plötzlich eintretende Einbrüche an der Geländeoberfläche infolge von verstürzenden unterirdischen Hohlräumen aus, welche im Allgemeinen unter dem Begriff „Erdfall“ zusammengefasst werden. Im Gegensatz zur Sulfatverkarstung sind Erdfälle im Karbonatkarst in Baden-Württemberg jedoch relativ selten. Sie treten vor allem in Verbindung mit unterlagerndem Sulfatkarst (z. B. Mittlerer/Oberer Muschelkalk) auf.
Bauen im Karbonatkarst
Allgemein ist die Errichtung von Bauwerken in Gebieten mit vorhandenen Verkarstungsstrukturen immer risikobehaftet. Wo möglich sollten daher diese Gebiete nicht bebaut werden. Sollte sich eine Errichtung von Gebäuden und Infrastruktureinrichtungen aufgrund äußerer Rahmenbedingungen nicht vermeiden lassen (z. B. aus Platzgründen), ist eine objektbezogene Baugrunderkundung unerlässlich. Der Gefährdung durch Karbonatverkarstung sollte im Vorfeld mit entsprechenden Maßnahmen (Baugrundverbesserungen, konstruktive Maßnahmen) begegnet werden, anstatt im Schadensfall nachträglich aufwendigere und kostenintensivere Sicherungsmaßnahmen durchführen zu müssen.
Methoden zur Baugrunderkundung
Die Verfahrensauswahl zur Baugrunderkundung erfolgt auf Grundlage des zu erwartenden Untergrunds sowie nach der Art und Größe des geplanten Bauwerks. In Karbonatkarstgebieten liegt der Schwerpunkt vor allem auf der Erkundung von Hohlräumen im Untergrund und verfüllten, ehemaligen Verkarstungsstrukturen, die sich an der Geländeoberfläche nicht mehr erkennen lassen.
Die Methoden zur Baugrunderkundung lassen sich unterteilen in geologisch-morphologische Verfahren (z. B. Auswertung von Kartenwerken, Luftbildern, Schummerungskarten etc.), geotechnische Verfahren (z. B. direkte Baugrundaufschlüsse mittels Kernbohrungen und bohrbegleitenden Rammsondierungen, Laboruntersuchungen an Bohrproben etc.) und geophysikalische Messverfahren zur Erkundung oberflächennaher Verkarstungsstrukturen (z. B. Reflexions- und Refraktionsseismik, Georadar etc.).
Verbesserung des Baugrundes
Der Baugrund in Gebieten mit Karbonatverkarstung ist durch eine starke Variation der Tragfähigkeit auf engem Raum geprägt. Unverwitterte Karbonate stellen einen guten, tragfähigen Baugrund dar. Demgegenüber sind ehemalige Verkarstungsstrukturen häufig mit locker gelagertem Lockergestein mit teils organischen Anteilen verfüllt und können bei Belastung stark setzungsempfindlich reagieren. Eine Verbesserung des Baugrundes erfolgt daher häufig durch Ausräumen dieser wenig tragfähigen Verkarstungsfüllungen und Ersetzen mit Betonplomben, Magerbeton oder grobem Kiesmaterial, bzw. dem Verpressen von Hohlräumen oder von Auflockerungszonen. Schwierige Untergrundverhältnisse können aber auch eine Tiefgründung (z. B. mittels Gründungspfählen) im tragfähigen, idealerweise karstfreien Gebirge erfordern. Zur Überbrückung verkarsteter Bereiche und Verhinderung von plötzlichen Einbrüchen kann bei Verkehrswegen ferner der Bodenaustausch und Einbau von Zuglagen aus bewehrter Erde oder der Einbau von armierten Betonplatten erfolgen (Prinz & Strauß, 2011).
Konstruktive Maßnahmen
Ziel der konstruktiven Sicherung von Bauwerken ist eine schadlose Aufnahme auftretender zusätzlicher Spannungen, die infolge der im Untergrund ablaufenden Verkarstungsprozesse entstehen. Dies kann z. B. durch ausgesteifte Einzel- und Streifenfundamente mit einer zusätzlichen horizontalen Aussteifung sowie ggf. zugfesten Verbindungen der einzelnen Gründungselemente erreicht werden. Die Bauwerkslasten sollten hierbei – je nach Erfordernis – über eine größere Fläche in den Untergrund eingeleitet werden.
Neben den Gründungselementen können innerhalb der Gebäude durch Einbau von Dehn- oder Gleitfugen sowie einer flexiblen Konstruktion von Gebäudeteilen zusätzliche Sicherheiten geschaffen werden. Bei Brückenbauwerken können beispielsweise die Auflager nachjustierbar konstruiert werden, sowie Bauelemente generell getrennt ausgebildet werden (Büchner, 1991; Prinz & Strauß, 2011).
Wasser spielt beim Verkarstungsprozess eine entscheidende Rolle, weshalb konzentriertes Eindringen von Wasser in den Untergrund (z. B. durch Leckagen an Leitungen) im Einflussbereich von Gebäuden, Infrastruktur oder Versorgung-/Entsorgungsleitungen verhindert werden sollte. Auch sollten technische Versickerungsanlagen außerhalb des Einflussbereichs von Bauwerken und technischer Einrichtungen errichtet werden. Durch diese technischen Maßnahmen soll verhindert werden, dass feinkörnige Ablagerungen aus lockergesteinserfüllten Hohlräumen ausgespült werden und den oberflächennahen Baugrund verschlechtern. Ver- und Entsorgungssysteme sollten daher generell flexibel konstruiert werden, um Verformungen bis zu einem bestimmten Grad schadlos aufnehmen zu können.
Karbonatkarst in der Gefahrenhinweiskarte von Baden-Württemberg
Gebiete, in denen in Baden-Württemberg eine Gefährdung durch Karbonatverkarstung besteht, werden in der Ingenieurgeologischen Gefahrenhinweiskarte von Baden-Württemberg (IGHK50) des LGRB im Maßstab 1 : 50 000 in der Objektart „Verkarstungsgefährdung“ mit dem Attribut „Karbonatkarst“ ausgewiesen. Grundlage zur Ausweisung der Verkarstungsflächen bildet das geologische 3-D-Modell, welches bisher nicht landesweit verfügbar ist. In den nicht bearbeiteten Bereichen (wie beispielsweise im Oberrheingraben) wird bisher grob nach Verkarstungswahrscheinlichkeit (möglich/unwahrscheinlich), jedoch nicht nach Sulfat- bzw. Karbonatkarst unterschieden.
Weiterhin werden in der Objektart „Vermutete Verkarstungsstruktur“ Erdfälle, Senken, Dolinen etc. über verkarstungsfähigem Untergrund als punktförmige Objekte angezeigt. Auf eine Angabe der Geometrie, des vollständigen Prozessraums sowie der Verkarstungstiefe der Verkarstungsstrukturen wird verzichtet.
Gebiete mit Gefährdung durch Karbonatverkarstung machen ca. 31,7 % der Landesfläche Baden-Württembergs aus und sind vor allem in den Georegionen Gäulandschaften (östlich sowie nördlich entlang des Schwarzwaldes und im nordöstlichen Landesteil) sowie auf der Schwäbischen Alb vorzufinden. Ca. 66 000 vermutete Verkarstungsstrukturen (ca. 86 % der insgesamt in der IGHK50 verzeichneten Objekte) befinden sich im Verbreitungsbereich von Flächen mit Gefährdung durch Karbonatkarst.
Verkarstungsfähige Karbonatgesteine in Baden-Württemberg
In Baden-Württemberg besteht vor allem in den Gäulandschaften sowie auf der Schwäbischen Alb eine Gefährdung durch Karbonatverkarstung. Verantwortlich hierfür sind Kalk- und Dolomitgesteine der folgenden Gesteinseinheiten:
- Georegion Gäulandschaften:
- Georegion Schwäbische Alb:
Auch im Verbreitungsbereich von Gesteinen des Unterkeupers, der Erfurt-Formation, sind Verkarstungsstrukturen (Dolinen, Erdfälle etc.) weit verbreitet. Diese werden jedoch häufig von Verkarstungsprozessen aus dem Oberen Muschelkalk verursacht und können meist nicht eindeutig einzig der Verkarstung im Unterkeuper zugeschrieben werden.
Über diese flächige Verbreitung der Karbonatgesteine hinaus besteht auch für lokal begrenzte Gebiete mit kleinen Karbonatgesteinsvorkommen eine Verkarstungsgefährdung, wie beispielsweise für die Hauptrogenstein-Formation (Mittlerer Mitteljura) in der Vorbergzone des südlichen Oberrheingrabens.
Darüber hinaus entstehen – wenn auch in weitaus geringerem Umfang – Verkarstungsstrukturen (Hohlräume, Spalten, Erdfälle, Dolinen etc.) in Formationen/Gesteinseinheiten mit deutlich geringeren Karbonatanteilen.
Literatur
- (1991). Die Gefährdung von Bauwerken durch Erdfälle im Vorland des Westharzes. – Geologisches Jahrbuch, Reihe C, 59, 40 S., Stuttgart (Schweizerbart).
- (2013). Hydrogeologie – Einführung in die Allgemeine und Angewandte Hydrogeologie. 438 S., Berlin, Heidelberg (Springer-Verlag).
- (2011). Ingenieurgeologie. 5. bearb. u. erw. Aufl., XIII + 738 S., Heidelberg (Springer Spektrum).
- (2005). Ingenieurgeologische Gefahren in Baden-Württemberg. – LGRB-Informationen, 16, S. 1–79.