Ereignis
Nach lang anhaltenden Starkniederschlägen, vor allem vom 31.05.2013 bis zum 02.06.2013, mit bis zu 160 mm Niederschlag sowie überdurchschnittlich nassen Vormonaten hat sich am Sonntag, dem 02.06.2013, gegen 20:00 Uhr am Albtrauf auf der Gemarkung Mössingen-Öschingen unterhalb des Roßbergs in den Gewannen Dachslochberg und Roßstaig ein Bergrutsch ereignet. (In Analogie zur früheren Begriffsverwendung im Zusammenhang mit dem Ereignis „Mössingen-Öschingen“ wird weiterhin der Begriff Bergrutsch verwendet. Nach Definition handelt es sich um eine Rutschung.) Auf einer Länge von etwa 500 m und einer Breite von bis zu 300 m haben sich auf einer Fläche von über neun Hektar rund eine halbe Million Kubikmeter Boden- und Felsmassen talwärts in Bewegung gesetzt. Die Tiefenlage der Gleitflächen variiert nach den Erkenntnissen der durchgeführten Bohrungen zwischen wenigen Metern bis 17 m unter Geländeoberfläche (durchschnittlich 7–10 m). Im Abtragsbereich (Rutschung), im obersten Drittel der Rutschung, befindet sich die Geländeoberfläche im Vergleich zur ehemaligen Hangoberfläche nun bis zu 13 Höhenmeter tiefer. Demgegenüber haben sich im Ablagerungsbereich (Rutschung), in den unteren zwei Dritteln der Hangbewegung, die abgeglittenen Boden- und Felsmassen bis zu 10 Meter über der ursprünglichen Geländeoberfläche aufgestaut.
Das Ereignis ist als Reaktivierung einer wahrscheinlich Jahrhunderte oder Jahrtausende alten Hangbewegung zu verstehen.
Morphologie und Rutschungsstrukturen
Das Rutschgebiet befindet sich am Südsüdwesthang des Dachslochberges. Die Rutschung gliedert sich in ein Abrissgebiet, eine mittlere Bewegungszone und eine Rutschungszunge. Das Abrissgebiet liegt etwa 170 Höhenmeter über dem Talniveau des Öschenbachs auf etwa 750 m ü. NHN und ist durch den bereits aus der Ferne sichtbaren, weißgrau erscheinenden Hauptabriss charakterisiert. Im Zentralbereich des ca. 35° bis 40° steilen Abrisses befand sich kurz nach dem Ereignis noch eine etwa 50 m breite, nur unvollständig abgerutschte Teilscholle mit hangaufwärts verkippten Bäumen. Diese ist mittlerweile deutlich reduziert und teils nachgerutscht. Die mittlere Bewegungszone ist bis zu 300 m breit und beginnt auf etwa 680 m ü. NHN (etwa auf Niveau des ehemaligen „Köllesweges“) mit einer deutlichen Verebnung unterhalb der Steilwand. Diese etwa 20° bis 25° geneigte Zone zeichnet sich durch staffelartig zerlegte, schollenförmige Hangleisten mit dazwischen liegenden abflusslosen Senken und steilen sekundären Abrissen aus und geht talwärts in die Rutschungszunge über. Die mit 10° bis 15° nur flach geneigte Rutschungszunge läuft an der markanten, aus aufgeschobenen Erd- und Felsmassen und wirr ineinander liegenden Bäumen bestehenden Stirnwulst aus. Die Stirnwulst endet nur wenige Meter oberhalb der höchst gelegenen Gebäude der Landhaussiedlung auf etwa 610 m ü. NHN und ist dort bis zu 120 m breit. Das Gelände der Landhaussiedlung fällt mit stellenweise weniger als 5° zum Öschenbach ab.
Die direkt westlich des ausgebildeten Rutschgebiets angrenzenden, festgestellten Hangbewegungen unterhalb des „Kölleswegs“ bzw. „Schembergweg“ scheinen in Mitnahmebewegung an die große Hangrutschung vom 02.06.2013 gekoppelt zu sein. In ihrem Ausmaß deutlich kleinere Hangbewegungen finden sich noch an weiteren Stellen im Hanggelände.
Geologischer Überblick
Der Untergrund des betroffenen Hangabschnitts wird aus den Gesteinen des Mitteljura und Oberjura aufgebaut. Die Gesteine des Mitteljura stehen im unteren und mittleren Hangbereich, im Bereich der Rutschungszunge mit Stirnwulst sowie im Bereich der Landhaussiedlung an. Dabei handelt es sich vor allem um verwitterungsanfällige, mergelige Ton- und Schluffsteine mit eingelagerten, geringmächtigen Kalksteinbänken der Dentalienton-Formation sowie der Ornatenton-Formation. Darüber lagern Mergel- und Kalksteine der Impressamergel-Formation (Oberjura), die nach oben von den Karbonatgesteinen der Wohlgeschichtete-Kalke-Formation (Oberjura) überlagert werden. Die bereits zur Albhochfläche gehörende Verebnung baut sich aus Mergelsteinen der Lacunosamergel-Formation (Oberjura) auf. Der Mittel- und Unterhang ist von mehreren Metern bis Zehnermeter mächtigen Deckschichten aus mergeligem Hangschutt und alten Rutschmassen überdeckt.
Schäden
Die Gebäude der Landhaussiedlung waren nicht unmittelbar von den Rutschmassen betroffen. Die Rutschungszunge endet wenige Meter oberhalb der ersten Gebäude. Jedoch wurden die Gebäude mittelbar durch die talwärts gerichtete Druckausbreitung der im Hang oberhalb bewegten Boden- und Felsmassen und dadurch bedingte Untergrundverformungen betroffen und infolge dessen mehr oder minder stark beschädigt. Die Schäden zeigten sich in Form von Schubrissen im Mauerwerk sowie von Aufwölbungen in den Außenanlagen (z. B. Aufwölbung von Verbundsteinpflaster).
Im bewaldeten Hang etwa 70 Höhenmeter oberhalb der Landhaussiedlung ist ein etwa höhenlinienparallel verlaufender Waldwirtschaftsweg, der sogenannte „Köllesweg“ bzw. „Schembergweg“, auf einer Länge von 260 m vollständig abgerutscht. Ebenfalls sind zwei kleinere Wirtschaftswege im Osten abgerutscht. Der westlich der aktiven Rutschmasse verlaufende „Kalkofenweg“ wurde durch Spalten und einzelne Abrisse mit Sprunghöhen von mehreren Dezimetern unbefahrbar.
Im Umfeld dieser Rutschbewegungen wurde am Westrand des Bergrutsches ein dort vorhandener Bachlauf zugeschoben, was zur Folge hatte, dass das Wasser unkontrolliert den Rutschmassen zufloss, zu einer weiteren intensiven Durchnässung im Mittelhang geführt hat und somit die Rutschsituation noch verschärfte. Hinter dem Stauchwulst des Bergrutsches wie auch in sonstigen durch die Rutschung entstandenen abflusslosen Senken haben sich freie Wasserflächen eingestaut, die durch Sofortmaßnahmen (s. u.) gezielt entwässert werden mussten. Dadurch wurde sichergestellt, dass es zu keiner Verbreiung und zu keinem unkontrollierten Durchbruch des Stauchwulstes als Erd- und Schlammstrom kommen konnte, der für die Bebauung wie auch für die sonstige Infrastruktur zusätzlich bedrohlich geworden wäre.
Sofortmaßnahme
Unmittelbar nach Eintreten des Rutschungsereignisses wurden in Abstimmung mit der Einsatzleitung umfangreiche Sofortmaßnahmen durchgeführt:
- Evakuierung der Landhaussiedlung am selben Abend
- Auspumpen der Öltanks
- Abstellen der Strom- und Wasserversorgung
- Absperren der beschädigten bzw. abgerutschten Waldwirtschaftswege mit Trassierband und Baugittern
- Umsetzen eines Betretungsverbotes der Siedlung durch Baugitter
- Ableitungen des Bachwassers aus dem durch die Rutschmassen zugeschobenen Graben an zwei Stellen mittels Minibagger
- Installation des Einsatzstellen-Sicherungs-System (ESS) des THW auf dem Kalkofenplateau
- Installation von insgesamt 11 Messpunkten innerhalb der Siedlung
- Überwachung der Gebäude- und Hangbewegungen durch ESS (Zeitraum: 03.–07.06.2013)
- Durchführung einer Hubschrauberbefliegung zur Fertigung von Luftbildern
- Begehung der Randbereiche des Bergrutsches durch LGRB und Feuerwehr
- Installation von provisorischen Messstrecken am „Kalkofenweg“
- Entwässerung einer neu gebildeten Seefläche auf der Rutschungszunge mittels horizontaler Entlastungsbohrungen
Sanierung
Im weiteren Verlauf wurden Einrichtungen zur kontinuierlichen Überwachung von etwaigen weiter anhaltenden Hangbewegungen installiert (Geodätische Messungen (Laseroptisches Messsystem), Messstrecken, Gipsmarken an Gebäuden, automatische Schlauchwaagensysteme, Inklinometermessstellen, Grundwassermessstellen). Entscheidend für eine dauerhafte Sicherung des Hanges waren die Planung und Umsetzung langfristiger Konzepte. Hierbei lag das Augenmerk vor allem auf der geordneten Entwässerung des Rutschhangs. Dazu wurde der teilweise verschüttete Bach verlegt. Das sich im Rutschgebiet befindliche Bruchholz wurde entfernt und das gesamte Rutschgebiet wurde so profiliert, das sämtliche abflusslose Senken beseitigt sind und das anfallende Oberflächenwasser bei einem einheitlichen Gefälle abfließen kann.
Zur Stabilisierung der Rutschmasse wurden insgesamt drei quer zum Hang verlaufende „Sickergalerien“ errichtet. Über eine basale Horizontalbohrung sind diese hydraulisch miteinander verbunden und entwässern die Rutschmasse im freien Auslauf in den Öschenbach. Die drei Sickergalerien unterbrechen jeweils die Gleitfläche der Rutschung und sollen zukünftig ein Aufstauen von Hangwasser innerhalb des Rutschkörpers unterbinden. Die Sickergalerien bestehen aus insgesamt mehr als 800, in Reihe angeordneter, überschnittener Kiespfähle. Die Kiespfähle haben einen Durchmesser von 90 cm und binden bis zu 17 m tief in den Untergrund ein.
Nachdem nach Abschluss der durchgeführten Sicherungs- und Sanierungsmaßnahmen die Hangbewegungen zum Stillstand gekommen waren, konnte die Evakuierung der Landhaussiedlung am 16.07.2014 wieder aufgehoben werden.
Für eine dauerhafte Sicherung sind ein konsequentes Monitoring des Hangbereiches, der Entwässerungssysteme sowie deren Instandhaltung entscheidend.
Nachfolgend sind die wichtigsten Punkte der Rutschung Mössingen-Öschingen vom 02.06.2013 tabellarisch aufgelistet:
Stammdaten:
Objekt-ID |
7520_Ru00001 |
Objektname |
Rutschung Landhaussiedlung Mössingen-Öschingen |
Lokalität |
Dachslochberg |
Gemeinde |
Mössingen-Öschingen |
Stadt-/Landkreis |
Tübingen |
TK25-Nr. |
7520 |
TK25-Name |
Mössingen |
Datengrundlage |
Geländebegehung, Messungen, Bohrungen, DGM, Fachgutachten, GeoLa, Luftbild |
Lage-Bezugspunkt |
Höchster Punkt der Abrisskante/Hangbewegung |
Ostwert |
509810 |
Nordwert |
5362590 |
Koordinatenreferenzsystem |
ETRS89/UTM32 |
Koordinatenfindung |
Karte |
Höhe [m ü. NHN] |
750 |
Höhenermittlung |
Karte |
Allgemeine Fachdaten:
Entstehungszeitraum |
02.06.2013 |
Aktivität |
stabilisiert (durch technische Maßnahmen saniert) |
Geländenutzung während der Entstehung |
Wald, Grünland, Wohngebiet, Feldweg, Forststraße, Gemeindeweg, Stromleitung, Strommast, Gasleitung, Trinkwasserleitung, Abwasserleitung |
Schäden |
Gebäudeschäden, Straßenschäden, Schäden an Wasserleitung, Schäden an Abwasserleitung, Schäden an Gasleitung, Schäden an fließenden Gewässern |
Spezielle Fachdaten Massenbewegungen:
Primär-/Folgeereignis |
Primärereignis |
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Prozess der Hauptbewegung |
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Max. Länge [m] |
ca. 500 |
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Max. Breite [m] |
ca. 300 |
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Fläche der Hangbewegung [m²] |
ca. 80 000 |
||
Max. Tiefe der Gleitfläche [m] |
17 |
||
Durchschn. Tiefe der Gleitfläche [m] |
7–10 |
||
Fläche der Rutschmasse [m²] |
ca. 75 000 |
||
Kubatur der Rutschmasse [m³] |
ca. 500 000 |
||
Höchster Punkt der Abrisskante [m ü. NHN] |
750 |
||
Höchster Punkt der Rutschmasse [m ü. NHN] |
680 |
||
Max. Höhenunterschied zwischen Abrisskante und Rutschmassentop [m] |
70 |
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Tiefster Punkt der Rutschmasse [m ü. NHN] |
610 |
||
Max. Höhenunterschied (H) zwischen höchstem und tiefstem Punkt der Rutschung [m] |
140 |
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Exposition [°] |
200 |
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Durchschnittliche Hangneigung zwischen Abrisskante und Rutschmassenfuß [°] |
22 |
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Hangneigung [°] |
Oben (zwischen Abrisskante und Rutschmassentop) |
40 |
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Mitte (oberer Teil der Rutschmasse) |
20 |
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Unten (unterer Teil der Rutschmasse) |
10 |
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Ursache |
geogen |
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Auslöser |
geogen (Starkniederschläge, überdurchschnittlich nasse Vormonate) |
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Geologie |
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Wohlgeschichtete-Kalke-Formation (joW) |
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Impressamergel-Formation (joI) |
Mergelstein, (Kalkstein) |
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Ornatenton-Formation (jmOR) |
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Dentalienton-Formation (jmDT) |
Tonstein, (Mergelstein, Kalkstein) |
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Gefahrenbeurteilung |
geringe Gefahr |
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Überwachungsmaßnahmen |
Geodätische Messungen (Laseroptisches Messsystem), Messstrecken, Gipsmarken an Gebäuden, automatische Schlauchwaagensysteme, Inklinometermessstellen, Grundwassermessstellen |
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Sicherungsmaßnahmen |
Verlegung des Baches, Oberflächen- und Tiefenentwässerung (Horizontalbohrungen, Entwässerungsgräben, Drängräben, Tiefdrainagen „Sickergalerien“ mittels überschnittener Kiespfähle, Sickerstützscheiben), Beseitigung Bruchholz, Profilierung der Rutschungsoberfläche (Beseitigung abflussloser Senken), Fassung von Quellaustritten |
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Sonstige Anmerkungen |
Festgesteinsschollen, z. T. gespanntes Grundwasser, abflusslose Senken (durch technische Maßnahmen beseitigt), Quellaustritte, Vernässungszonen, Reaktivierung von Teilen einer älteren Rutschmasse |