Ereignis
Mitte März 1988 ereignete sich an der Kriegsebene, einem dem Hornberg nördlich vorgelagerten Höhenrücken im Östlichen Albvorland, eine große Hangrutschung. Das Rutschgebiet befindet sich an einem südexponierten Hangabschnitt in den Gewannen Tannenwald und Vögelesrain, ca. 1,5 km östlich der Ortsmitte von Waldstetten (Ostalbkreis). Die Rutschung ist ca. 275 m breit, misst zwischen ihrem höchsten Punkt bei rund 526 m ü. NHN und ihrem Tiefpunkt am Langenbach bei etwa 410 m ü. NHN in der Länge ca. 400 m (Mayer & Rothgerber, 1991) und umfasst somit eine Fläche von ca. 100 000 m2. Die Tiefe der Gleitfläche wird in bis zu 20 m unter Gelände vermutet (Vicedom, 1989). Die Kubatur der bewegten Masse wird auf rund 800 000–1 000 000 m3 geschätzt.
Erste Anzeichen der sich entwickelnden Großrutschung Tannenwald wurden am 16. März 1988 festgestellt. Am darauffolgenden Tag wurde das Abrutschen größerer Bereiche beobachtet (Mayer & Rothgerber, 1991).
Der Rutschung wie auch kleinerer Rutschereignisse in der näheren Umgebung sind im Februar 1988 intensive Niederschläge vorausgegangen, mit dem rund 1,4-fachen (95,3 mm) der durchschnittlichen Februarniederschlagsmenge. Insbesondere der Monat März 1988 war mit ca. 227,7 mm (etwa das 3,5-fache der üblichen Märzniederschlagsmenge) außergewöhnlich niederschlagsreich. Damit war der März 1988 der bisher niederschlagsreichste März sowie einer der fünf niederschlagsreichsten Monate überhaupt, welcher seit Januar 1924, dem Beginn der Wetteraufzeichnungen an der Station Schwäbisch Gmünd-Strassdorf (ca. 2,5 km nordwestlich des Rutschgebiets), gemessen wurde. Wenige Tage vor dem Rutschungsereignis ging ein Starkregen mit fast 40 mm Niederschlag nieder. Zudem setzte etwa zeitgleich eine rasche Schneeschmelze ein, die dem Hang kurzfristig weitere große Wassermengen zuführte und aufweichte.
Die Hangrutschung Tannenwald stellt größtenteils keine neu entstandene Bewegungsstruktur dar. Vielmehr ist die Hangbewegung in weiten Teilen als Reaktivierung einer Jahrhunderte bis Jahrtausende alten Massenbewegung zu interpretieren. Anzeichen auf Massenbewegungen, wie eine unruhige („wellige“) Hangmorphologie oder abflusslose Senken, lassen sich auch an den direkt angrenzenden Hangbereichen beobachten und sind in der Ingenieurgeologischen Gefahrenhinweiskarte von Baden-Württemberg (IGHK50) räumlich abgegrenzt.
Geologie
Der Untergrund des betroffenen Hangabschnitts wird aus den Gesteinen des Mitteljuras aufgebaut. Vom Talgrund beginnend, stehen bis etwa 480 m ü. NHN im unteren und mittleren Hangabschnitt in unverwittertem Zustand feingeschichtete, dunkelgraue bis schwarze Tonsteine der Opalinuston-Formation an, welche zu einem sehr plastischen Ton verwittern. In aller Regel sind diese veränderlich festen Gesteine der Opalinuston-Formation von einer meist rund 5 m mächtigen, verschieden stark verwitterten sandig/schluffigen, steinigen (Sandsteinkomponenten in Zentimeter bis Meter Größe) Hangschuttdecke überdeckt und oberflächlich nicht aufgeschlossen. Einhergehend mit einer deutlichen Versteilung des Hanggeländes wird die Opalinuston-Formation von Sandsteinen der Eisensandstein-Formation überlagert, die den Höhenrücken der Kriegsebene einnehmen. In die Sandsteine sind Tonstein- und Kalksandsteinschichten eingeschaltet.
Morphologie und Rutschungsstrukturen
Das Rutschgebiet gliedert sich im obersten Hangdrittel in ein Hauptabrissgebiet sowie eine deutlich ausgebildete Geländestufe, die das Top der Rutschmasse markiert und zusammen den oberen Teil der Rutschung bilden. Talseitig daran schließt sich eine deutlich ausgeprägte untergeordnete Abrisskante an, die in den mittleren Teil der Rutschung überleitet. Der mittlere Teil der Rutschung endet in einer deutlich erkennbaren Wulst. Der Rutschungsfuß nimmt das unterste Drittel des Rutschgebiets bis zum Langenbach im Talgrund ein.
Das Abrissgebiet liegt ca. 115 Höhenmeter über dem Talniveau des Langenbachs am Grat des Höhenrückens Kriegsebene auf etwa 526 m ü. NHN und wird durch eine markante, bis zu 25 m hohe Steilwand charakterisiert. Unterhalb dieser rund 60–70°, stellenweise senkrechten Abrisswand, schließt sich der obere Bereich der Rutschung als eine bis zu 50 m breite und rund 3° geneigte Verebnungsfläche an. Der mittlere Teil der Rutschung beginnt auf etwa 500 m ü. NHN entlang einer untergeordneten Abrisskante, ist zunächst rund 40–45°, lokal deutlich steiler geneigt und flacht sich talwärts auf rund 15–20° ab. Dieser Teil der Rutschung zeichnet sich durch zahlreiche Stauchwülste sowie abflusslose Senken (sehr unruhige/„wellige“ Oberflächenstruktur) aus und ist von einer Vielzahl an bis zu 100 m3 großen Sandsteinblöcken übersät. Auf etwa 435 m ü. NHN endet der mittlere Teil des Rutschgebiets in einer mehrere Meter mächtigen, lobenförmigen Stirnwulst. Unterhalb schließt der Rutschungsfuß im stellenweise < 5° abfallenden Hanggelände bis zum Langenbach auf etwa 410 m ü. NHN an. Der Rutschungsfuß zeichnet sich vor allem im Umfeld der markanten Stirnwulst durch großflächige Vernässungszonen sowie generell durch eine deutlich ruhigere Morphologie als im höher gelegenen, mittleren Teil der Rutschmasse aus.
Ursache und Ablauf
Außergewöhnlich hohe Niederschläge und die einsetzende Schneeschmelze im Vorfeld des Rutschereignisses führten zu einer starken Aufsättigung der Lockergesteinsauflage und weichten zudem die als stark rutschungsempfindlich bekannten Gesteine der Opalinuston-Formation auf. Eine nachhaltige Störung des vorherrschenden labilen Hanggleichgewichts und einsetzende Bewegungen waren die Folge. Als Gleithorizont dienten hierfür die Gesteine der Opalinuston-Formation.
Erste Instabilitäten der Rutschung Tannenwald entwickelten sich vermutlich im März 1988 im mittleren Hangabschnitt im Bereich der untergeordneten Abrisskante auf etwa 500 m ü. NHN (Übergangsbereich der gering durchlässigen, veränderlich festen Gesteine der Opalinuston-Formation im Liegenden zu den überlagernden, gut wasserdurchlässigen Festgesteinen der Eisensandstein-Formation im mittleren Teil der Rutschmasse). Die dabei mobilisierten Boden- und Felsmassen erstreckten sich bis etwa 435 m ü. NHN und verwüsteten in weiten Teilen das Hanggelände. Der unterhalb anschließende Rutschmassenfuß war nicht mehr unmittelbar von den abrutschenden Massen betroffen und es traten hier entsprechend weniger Schäden auf. Im Rutschmassenfuß kam es vor allem zu Untergrundverformungen infolge der talwärts gerichteten Druckausbreitung der im Oberhang abgerutschten Boden- und Felsmassen. Das Abrutschen der Boden- und Felsmassen im mittleren Teil der Rutschmasse reduzierte die haltenden Kräfte für den oberhalb anschließenden Hangabschnitt und störte somit nachhaltig das labile Hanggleichgewicht. Tiefgründige, antithetische Rotationsbewegungen größerer Sandsteinschollen und abstürzende Sandsteinblöcke im Hangbereich zwischen Hauptabrisskante und untergeordneter Abrisskante (oberer Teil der Rutschung) waren die Folge (Naturschutzgebiet 1.219).
Schäden
Im Rutschgebiet wurden große Waldareale verwüstet. Das Rutschareal wurde ursprünglich von drei Wirtschaftswegen (unterer Weg auf etwa 420–430 m ü. NHN, mittlerer Weg auf etwa 450 m ü. NHN, oberer Weg auf etwa 492–500 m ü. NHN) gequert, die zum Teil vollständig zerstört wurden. Am westlichen Rand der Rutschmasse ließ sich am unteren Weg ein Bewegungsbetrag von bis zu 15 m ermitteln. In den 1950er Jahren wurden an den oberen Weg, angrenzend auf der morphologischen Geländestufe, mehrere Munitionsbunker errichtet. Drei Bunker wurden durch das Rutschungsereignis zum Teil stark beschädigt. Ein im Zentrum des Rutschgebiets errichteter Bunker war zerbrochen und teilweise eingestürzt. Ein weiterer Bunker wies ebenfalls deutliche Risse auf. Das am westlichen Rand des Rutschgebiets gelegene Bauwerk blieb dagegen nahezu unbeschädigt. Antithetische Rotationsbewegungen bis 10° ließen sich an den Bunkern nachvollziehen. Auf etwa 445 m ü. NHN befindet sich wenige Meter westlich der Rutschung Tannenwald ein Wasserhochbehälter (800 m3 Fassungsvermögen). Dieser wurde vermutlich auf einer fossilen Rutschscholle errichtet. Zunächst wurde befürchtet, dass diese Rutschscholle ebenfalls reaktiviert werden könnte und somit der Wasserhochbehälter auch gefährdet wäre. Dies bewahrheitete sich jedoch nicht (Mayer & Rothgerber, 1991).
Sanierung
Im Hangbereich oberhalb des Wasserhochbehälters wurde die Entwässerung durch Verlegen von Drainagerohren verbessert. Der untere und mittlere Wirtschaftsweg wurden notdürftig instandgesetzt. Umgestürzte und abgestorbene Bäume wurden dem Rutschgebiet entnommen. Das Rutschgelände wurde mit Erlen und Eschen aufgeforstet, die aufgrund ihres stark ausgebildeten Wurzelgeflechts und hohen Wasserbedarfs (ingenieurbiologische Bauweise) das Hanggelände stabilisieren sollen (Mayer & Rothgerber, 1991).
Die Rutschung Tannenwald ist als ein herausragendes Ereignis rezent ablaufender geomorphologischer Prozesse im Albvorland anzusehen. Daher wird das Rutschareal seit Oktober 1996 als Naturschutzgebiet gewürdigt. Das Rutschgelände soll möglichst von anthropogenen Eingriffen ausgeklammert werden, wodurch sich seitdem eine natürliche Sukzession entwickeln kann (Naturschutzgebiet 1.219).
Nachfolgend sind die wichtigsten Punkte der Hangrutschung Tannenwald tabellarisch aufgelistet:
Stammdaten:
Objekt-ID |
7225_Ru00001 |
Objektname |
Rutschung Tannenwald |
Lokalität |
Tannenwald, Vögelesrain, ca. 1,5 km östlich von Waldstetten |
Gemeinde |
Waldstetten |
Stadt-/Landkreis |
Ostalbkreis |
TK25-Nr. |
7225 |
TK25-Name |
Heubach |
Datengrundlage |
|
Lage-Bezugspunkt |
Höchster Punkt der Abrisskante |
Ostwert |
561895 |
Nordwert |
5401995 |
Koordinatenreferenzsystem |
ETRS89/UTM32 |
Koordinatenfindung |
Karte |
Höhe [m ü. NHN] |
426 |
Höhenermittlung |
Karte |
Allgemeine Fachdaten:
Entstehungszeitraum |
16.03.1988 |
Aktivität |
Einstufung Aktivität unsicher |
Geländenutzung während der Entstehung |
Wald, Grünland, Feldweg, Forststraße, Militärobjekte |
Schäden |
Straßenschäden, Gebäudeschäden |
Spezielle Fachdaten Massenbewegungen:
Primär-/Folgeereignis |
Primärereignis |
||
Prozess der Hauptbewegung |
|||
Max. Länge [m] |
400 |
||
Max. Breite [m] |
275 |
||
Fläche der Hangbewegung [m2] |
ca. 95 000 |
||
Max. Tiefe der Gleitfläche [m] |
20 |
||
Durchschn. Tiefe der Gleitfläche [m] |
10 |
||
Fläche der Rutschmasse [m2] |
ca. 91 000 |
||
Kubatur der Rutschmasse [m3] |
800 000–1 000 000 |
||
Höchster Punkt der Abrisskante [m ü. NHN] |
526 |
||
Höchster Punkt der Rutschmasse [m ü. NHN] |
505 |
||
Max. Höhenunterschied zwischen Abrisskante und Rutschmassentop [m] |
21 |
||
Tiefster Punkt der Rutschmasse [m ü. NHN] |
410 |
||
Max. Höhenunterschied (H) zwischen höchstem und tiefstem Punkt der Rutschung [m] |
116 |
||
Exposition [°] |
175 |
||
Durchschnittliche Hangneigung zwischen Abrisskante und Rutschmassenfuß [°] |
16 |
||
Hang-neigung [°] |
Oben (zwischen Abrisskante und Rutschmassentop) |
60–70 |
|
Mitte (oberer Teil der Rutschmasse) |
3–20 |
||
Unten (unterer Teil der Rutschmasse) |
< 5–12 |
||
Ursache |
geogen |
||
Auslöser |
geogen |
||
Geologie |
|||
Eisensandstein-Formation (jmES) |
|||
Opalinuston-Formation (jmOPT) |
Tonstein |
||
Gefahrenbeurteilung |
unbekannt |
||
Überwachungsmaßnahmen |
nein |
||
Sicherungsmaßnahmen |
Entwässerungsmaßnahmen, Aufforstung |
||
Sonstige Anmerkungen |
Antithetisch rotierte Festgesteinsschollen und Sturzprozesse als Folgeereignisse, Vernässungszonen, Tümpel, untergeordnete Abrisskante, abflusslose Senken |
Literatur
- (1996). 1.219 Bergrutschung Tannenwald, verfügbar unter rips-dienste.lubw.baden-wuerttemberg.de/rips/ripsservices/apps/naturschutz/schutzgebiete/steckbrief.aspx?id=929001000026.
- (1991). Der Bergrutsch von Waldstetten. – Schriftenreihe des Deutschen Naturkundevereins e. V., 10, S. 1–4.
- (1989). Geologische und ingenieurgeologische Untersuchungen der Rutschung im Staatswald bei Waldstetten (östliche Schwäbische Alb). – Dipl.-Arb. Univ. Karlsruhe, Teil 2, – S., Karlsruhe. [unveröff.]