Überblick
Das Wutachtal und seine Seitentäler sind gekennzeichnet durch eine überdurchschnittlich hohe Aktivität an Massenbewegungen. Hauptursache hierfür ist eine für Mittelgebirge ungewöhnlich starke Tiefenerosion seit der Wutachablenkung, die vor etwa 19 000 bis 20 000 Jahren erfolgte und im frühen Holozän bereits abgeschlossen war (Hebestreit, 1995). Durch die Wutachablenkung wurde der Oberlauf der heutigen Wutach (Abschnitt westlich des sog. Wutachknies bei Blumberg-Achdorf), die bis dahin noch ein Quellfluss der Donau war, zu einem Nebenfluss des Rheins.
Begünstigt wird die hohe Massenbewegungsaktivität im Wutachgebiet durch die bei der Tiefenerosion angeschnittenen rutschanfälligen, zum Teil sehr mächtigen tonigen, mergeligen und evaporitischen Sedimentgesteine. Mit der Tiefenerosion ging deshalb die denudative Talverbreiterung durch Rutschungen Hand in Hand (Rohn in: Franz & Rohn, 2004) . Seit etwa 10 000 Jahren dominiert nach Jordan (1993) im Wutachtal die Verbreiterung der Talquerschnitte durch Rutschungen und damit verbunden die Rückverlagerung der das Tal begrenzenden Steilhänge. Etwa gleichzeitig setzte auch die Verbreiterung der Schluchtabschnitte in den relativ standfesten Muschelkalk-Gesteinen ein.
Im Wutachtal lassen sich zwei geotechnisch unterschiedliche Bereiche unterscheiden: Ein „Tonsteingebiet“ mit überwiegend veränderlich festen Ton- und Mergelsteinen des Keupers, Unter- und Mitteljuras (Mächtigkeit dieser Abfolge ca. 300 m) sowie ein „Muschelkalkgebiet“, in dem die insgesamt etwa 60 m mächtigen überwiegend gebankten, relativ harten Karbonatgesteine des Oberen Muschelkalks vorherrschen und von relativ weichen veränderlich festen Ton- und Mergelsteinen sowie Auslaugungsresiduen unter- bzw. überlagert werden.
Tonsteingebiet
Das Tonsteingebiet beginnt im Westen zwischen dem Zufluss der Gauchach in die Wutach und der Wutachmühle. Es erstreckt sich bis zur ehemaligen Moggerenmühle (etwa 2 km südlich von Blumberg-Achdorf). Hier setzt südlich einer Störung der Südrandverwerfung des Bonndorfer Grabens der Muschelkalk ein und das zweite Muschelkalkgebiet beginnt (Rohn in: Franz & Rohn, 2004). Das Tonsteingebiet umfasst ebenfalls alle Seitentäler der Wutach in diesem Abschnitt (Bach-, Aubach-, Krottenbach- und Schleifebächletal).
Das Tonsteingebiet ist charakterisiert durch eine erhebliche Verbreiterung des Talquerschnitts der Wutach auf etwa 1000–1300 m Breite. Das Hangprofil ist konkav und besteht aus einem steilen Oberhang sowie einem flachen Unterhang. Im Tonsteingebiet stehen im Wutachtal i. W. Gesteine des Keupers und des Unterjuras an, in den Seitentälern der Wutach Gesteine des Mitteljuras (i. W. Opalinuston-Formation). Im Unterhang sind die anstehenden Gesteine vielfach vollständig von ausgedehnten tonig-lehmigen Rutsch- und Verwitterungsmassen aus umgelagerten Keuper- und Juragesteinen bedeckt, deren Mächtigkeit 10 m und mehr betragen kann (Jordan, 1993).
Im Tonsteingebiet steuern die sich zu einem komplexen System ergänzenden Massenbewegungen die Abflachung der Hänge und die Talverbreiterung (Jordan, 1993). Im Oberhang zählen hierzu sowohl tiefgreifende Rotationsrutschungen in den anstehenden Tonsteinen als auch flache Translationsrutschungen in der Verwitterungszone der Tonsteine.
In den im Oberhang natürlich anstehenden Felswänden/Steilhängen entstehen durch langsame Kriechbewegungen tiefgreifende gekrümmte Gleitflächen, an denen sich – oft durch Witterungseinflüsse ausgelöst – mächtige, bis mehrere Hektar große und wenige Zehnermeter tiefe Rutschschollen plötzlich lösen und im Verband abgleiten können. Beispiele hierfür sind die Hangrutschung Eichberg (letzte größere Aktivierung Januar 1966) und die Hangrutschung Scheffheu (letzte größere Aktivierungen 1880, November 1940, Januar 1966) im Krottenbachtal (vgl. Rohn in: Franz & Rohn, 2004). Zahlreiche große Rutschschollen, z. B. im Aubachtal, zeugen von weiteren vergangenen (Groß-)Rutschungen.
Ebenfalls im Oberhang entstehen in der Verwitterungszone der Tonsteinhänge flache Translationsrutschungen, meist mit Gleitfläche in einer Tiefe von wenigen Dezimetern im Übergangsbereich von der Verwitterungszone W2 (mäßig verwittert) zur Verwitterungszone W3 (stark verwittert; vgl. Jordan, 1993). Im Vergleich zu den vorgenannten Großrutschungen sind die Oberflächenrutschungen meist nur wenige Zehnermeter lang und wenige Meter breit (Jordan, 1993).
Vor allem westlich des Buchbergs erstrecken sich darüber hinaus bis etwa 500 m lange und i. d. R. wenige Zehnermeter breite Schuttströme vom Oberhang bis zur Wutach. Jordan (1993) ermittelte exemplarisch an einem dieser Schuttströme eine maximale Mächtigkeit von 8,5 m und eine Bewegungsgeschwindigkeit bis 0,8 m pro Jahr.
Die tonig-lehmigen Rutsch- und Verwitterungsmassen im Unterhang befinden sich vielfach im labilen Gleichgewicht. Hier kommt es großflächig zu einem von Witterungseinflüssen abhängigen, i. d. R. langsamen Kriechen der oberen Bodenzone. An übersteilten Ein- und Anschnitten bilden sich darüber hinaus Rotationsrutschungen mit Gleitflächentiefen bis mindestens 15 m unter GOK (Jordan, 1993).
Muschelkalkgebiet
Aufgrund der tektonischen Situation (Verlauf der Wutach etwa bis zum Wutachknie im Bonndorfer Graben, dann Querung der Südrandverwerfung und Verlauf außerhalb des Bonndorfer Grabens) kommen im Wutachtal zwei Muschelkalkgebiete vor. Die beiden Gebiete werden vom Tonsteingebiet getrennt. Das erste Muschelkalkgebiet beginnt östlich der Schattenmühle und endet zwischen dem Zufluss der Gauchach in die Wutach und der Wutachmühle. Auch der südliche Abschnitt des Gauchachtals (etwa bis zum Schalmendobel) gehört zu diesem Gebiet. Das zweite Muschelkalkgebiet beginnt an einer Störung der Südrandverwerfung des Bonndorfer Grabens bei der ehemaligen Moggerenmühle (etwa 2 km südlich von Blumberg-Achdorf) und erstreckt sich – mit abnehmender Höhe der Talhänge – etwa bis Wutöschingen. Das Gebiet umfasst auch alle größeren Seitentäler in diesem Abschnitt vom Weilergrabental bis zum Mauchenbachtal.
Morphologisch unterscheiden sich im Muschelkalkgebiet die Talabschnitte, in denen sich die Wutach bereits bis in die Gesteine des Unteren bzw. Mittleren Muschelkalks eingeschnitten hat (stratigraphisch tieferer Abschnitt), von den Talabschnitten, in denen sich die Wutach noch nicht bis in die Gesteine des Mittleren Muschelkalks eingeschnitten hat (stratigraphisch höherer Abschnitt bzw. Übergangsbereich Oberer Muschelkalk/Keuper, vgl. Jordan, 1993). Die morphologischen Unterschiede resultieren aus den im stratigraphisch tieferen Abschnitt wirksamen, in Oberflächennähe meist weit fortgeschrittenen Auslaugungs- und Subrosionsprozessen im Mittleren Muschelkalk.
Insbesondere der stratigraphisch höhere Abschnitt ist durch eine deutliche Verringerung des Talquerschnitts der Wutach auf etwa 500–600 m Breite und einem schluchtartigen Charakter gekennzeichnet. Das Hangprofil ist konvex und besteht aus einem steilen Unterhang aus Karbonatgesteinen des Oberen Muschelkalks sowie einem nach oben flacher werdenden Oberhang aus Gesteinen des Unter- und Mittelkeupers.
Die meisten rezenten Massenbewegungen ereignen sich im Bereich von Prallhängen der mäandrierenden Wutach und der Gauchach. Im Unterhang kommt es zu einer Unterschneidung der Felsböschungen und in Folge dessen zu Steinschlag, Blockschlag und Felsstürzen aus den Steilwänden des Oberen Muschelkalks. Begünstigt werden diese Prozesse durch das Trennflächengefüge, das aus vertikalen tektonischen Klüften, steil stehenden höhenlinienparallelen Entlastungsklüften sowie den flach geneigten Schichtflächen gebildet wird. Im Oberhang bilden sich – wie im Tonsteingebiet – sowohl tiefgreifende Rotationsrutschungen in den anstehenden Gesteinen der Grabfeld-Formation als auch flache Translationsrutschungen in der Verwitterungszone der Tonsteine.
Im stratigraphisch tieferen Abschnitt des Muschelkalkgebiets ist der Talquerschnitt der Wutach etwas breiter (500–700 m, im tektonisch überprägten Abschnitt zwischen Schattenmühle und Dietfurtbrücke bis etwa 1000 m). Das Hangprofil ist zweiteilig und besteht aus einem flachen Unterhang mit Auslaugungsresiduen des Mittleren Muschelkalks, die von Rutsch- und Felssturzmassen überlagert sind, und einem Oberhang mit Steilwänden aus Karbonatgesteinen des Oberen Muschelkalks, die eine rigide Platte bilden. In diesem Abschnitt werden die Böschungen an Prallhängen durch die mäandrierende Wutach unterschnitten. Es entstehen so bis zu 15 m hohe Uferanbrüche. Oberhalb der Uferanbrüche schließen sich vielfach große zusammenhängende Gleitschollen aus noch überwiegend im Verband abgeglittenen Muschelkalk-Abfolgen an.
Besonders in der Nähe der Steilwände reagiert die rigide Kalkplatte auf den durch Auslaugung und Hangrutschungen verursachten talseitigen Massenverlust mit Spaltenbildung. In einem weiteren Stadium lösen sich dann an höhenlinienparallelen Entlastungsklüften ganze Felstürme aus der Steilwand und wandern auf ihrem duktilen Unterlager langsam hangabwärts. Im weiteren Verlauf kommt es meist zum Kippen (Toppling) und schließlich zum Einsturz des Felsturms unter Ablagerung großer Felssturzmassen, wie z. B. in den Wutach-Flühen.
Literatur
- (2004). Erläuterungen zu Blatt 8117 Blumberg. – 3. Aufl., Erl. Geol. Kt. 1 : 25 000 Baden-Württ., VII+196 S., 2 Beil., Freiburg i. Br. (Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau Baden-Württemberg).
- (1995). Zur jungpleistozänen und holozänen Entwicklung der Wutach (SW-Deutschland). – Tübinger Geowissenschaftliche Arbeiten, Reihe C, 25, S. 1–88.
- (1993). Die holozänen Massenverlagerungen des Wutachgebietes (Südschwarzwald). – Tübinger Geowissenschaftliche Arbeiten, Reihe C, 16, S. 1–132.
- (1989). Geologie, Massenverlagerungen und Landschaftsgeschichte im Krottenbachtal und Umgebung (Wutachgebiet, Südbaden). – Dipl.-Arb. Univ. Tübingen, Tübingen. [unveröff.]
- (1967). Die Rutschungen am Eichberg bei Achdorf (Wutach), Erscheinungsformen, Mechanik, Ursachen. – Erdkunde, 21, S. 169–180.