Lithostratigraphische Gruppe
Übergeordnete Einheit
Quartär
Die Lithostratigraphische Gruppe Anthropogene Bildung steht für alle geologischen Körper, die durch menschliche Tätigkeit entstanden sind. Hierzu zählen Aufschüttungen, Bauwerksreste, Kulturreste sowie Umlagerungsmaterial, das durch menschliche Aktivitäten entstanden ist.
Verbreitung in Baden-Württemberg, Landschaftsbild
Mit der nacheiszeitlichen Klimaverbesserung wurden die Lebensbedingungen für die Menschen immer besser und das gesamte Landesgebiet konnte zum Leben und Wirtschaften genutzt werden. Mit der Differenzierung und Weiterentwicklung der menschlichen Tätigkeiten im Holozän nahm auch die Vielfalt der landschaftlichen Überprägung zu. Menschen graben ab und füllen auf, bauen Terrassen, schütten Dämme auf, Flussläufe werden künstlich verlegt und zur Nutzung von Rohstoffen werden Kiesgruben oder Steinbrüche angelegt. Anthropogene Bildungen kommen deshalb nahezu überall vor und fallen meist leicht ins Auge, weil sie unnatürliche Formen und Umrisse haben. Schwieriger zu erkennen sind Auffüllungen, die präexistente Hohlformen auffüllen und alte Ablagerungen, die aus dem Mittelalter oder aus noch früherer Zeit stammen. Derartige Reste sind häufig durch Setzung und Verwitterung zusätzlich überprägt und bewachsen.
Lithologie, Abgrenzung, Untereinheiten
Für alle anthropogenen Bildungen wird der Formationsname Anthropogene Ablagerungen (Aufschüttung, Auffüllung) verwendet.
Lithologisch sind die Sedimente sehr heterogen. Einerseits können natürliche Ablagerungen und Gesteine durch Umlagerungstätigkeiten zu Anthropogenen Ablagerungen werden, z. B. Bergwerks- und Abraumhalden und Auffüllungen, andererseits schafft der Mensch neue Ablagerungen in Form von Kulturresten, Bauwerksschutt oder einfach von Müll. Deren Abgrenzung zum unterlagernden Gestein ist meistens einfach, weil die Basis der künstlich gebildeten Ablagerungen fast immer diskordant ist und oft eine erosive Basis aufweist. Bei konkordanter Überlagerung aus natürlichen Materialien wie Sand oder Kies, kann deren Abgrenzung zum Anstehenden schwierig werden. In aller Regel sind Anthropogene Ablagerungen aber weniger verfestigt und grundsätzlich fehlen ihnen natürliche interne Sedimentstrukturen.
Mächtigkeit
Menschliche Siedlungen bestehen oft über Jahrhunderte, in denen nicht nur gebaut, sondern auch zerstört wird. So bilden mehrere Meter bis wenige Zehnermeter mächtige Kulturschichten den flachen Untergrund aller Städte und in geringerem Maß von Einzelgehöften, Burgen und aufgegebenen Siedlungen. Auch der Wege- und Straßenbau hinterlässt nur geringmächtige Ablagerungen. Die meisten Aufschüttungen für Brückenbauten sowie solche aus Bauschutt, Gewerbe- oder Hausmüll bleiben unter 20 m Mächtigkeit. Größere Mächtigkeiten bis hundert Meter werden gelegentlich bei Schutthalden von Bergwerken, bei der Auffüllung von Steinbrüchen, und vereinzelt bei der Aufschüttung großer Müllberge erreicht. Hervorzuheben sind auch die Trümmerberge („Monte Scherbelino“), die nach dem Zweiten Weltkrieg im Zuge der Aufräumarbeiten aufgeschüttet wurden. So wurde der Birkenkopf in Stuttgart um rund 40 m erhöht, östlich der A81 bei Weilimdorf erhebt sich weithin sichtbar der Grüne Heiner rund 70 m über die Umgebung. Er besteht ausschließlich aus Trümmermaterial.
Alterseinstufung
Baden-Württemberg ist seit über 600 000 Jahren Lebensraum für Menschen, so alt ist der Unterkiefer des Homo erectus heidelbergensis , der in der Sandgrube bei Mauer im Odenwald gefunden wurde (Wagner & Beinhauer, 1997; Wagner et. al, 2010). Die Nutzung von natürlichen Überhängen und Höhlen durch Menschen ist bereits aus dem Altpaläolithikum bekannt, spätestens seit dem Aurignacien (ab rund 35 000 Jahre vor heute) wurden Höhlen zumindest für mehrere Wochen als Behausung genutzt und damit beginnt auch die Überlieferung von Anthropogenen Bildungen.
Vermutlich sind die paläolithischen Besiedlungsreste in den Höhlen der Schwäbischen Alb (Vogelherdhöhle, Hohle Fels-Höhle, Geißenklösterle und andere) die ältesten Anthropogenen Ablagerungen des Landes. Verschiedene archäologische Fundstücke konnten auf rund 40 000 Jahre vor heute datiert werden (Higham et al., 2012). Solche Fundstellen sind von herausragendem kulturellem Wert, bleiben aber Einzelfälle. Häufiger werden vom Menschen gebildete Ablagerungen erst ab dem Neolithikum und der Nutzung des Ackerbaus. Etwa ab dem 5. Jahrtausend vor Christus werden Höhensiedlungen innerhalb von Ringwällen angelegt, die teilweise heute noch erhalten und geomorphologisch erkennbar sind. Jungsteinzeitliche Grabhügel und die Siedlungsreste der Bronze- und Keltenzeit sind umfangreicher und zahlreicher erhalten.
Am häufigsten und umfangreichsten sind zwangsläufig die Hinterlassenschaften aus historischer Zeit, besonders gilt dies für Reste aus den letzten 100 Jahren.
Literatur
- (2012). Testing models for the beginnings of the Aurignacian and the advent of figurative art and music: The radiocarbon chronology of Geißenklösterle. – Journal of Human Evolution, 62(6), S. 664–676.
- (1997). Homo heidelbergensis von Mauer. Das Auftreten des Menschen in Europa. 316 S., Heidelberg.
- (2010). Radiometric dating of the type-site for Homo heidelbergensis at Mauer, Germany. – Proceedings of the National Academy of Sciences, 107 (46), S. 19726–19730.